Mitten ins Herz
Gerade die Ambivalenz, die Uneindeutigkeit, das Hin und Her liebt Anna Lucia Richter an der „Dichterliebe“ von Robert Schumann. Sechzehn Lieder bilden den Zyklus, gedichtet hatte Heinrich Heine. Die Texte beschreiben die Liebe mit allem Drum und Dran: Der gefühlvollüberschäumende erste Funke, der qualvolle Moment des Abgewiesenwerdens und das depressionsähnliche Loslassen der Geliebten. Die Live-Aufnahme des Liederabends von Fritz Wunderlich wäre Anna Lucia am allerliebsten gewesen, der Beschwerdebrief an Spotify wurde sicherlich bereits geschickt. Aber auch die Studioaufnahme trifft sie am heftigsten mitten ins Herz. „Bei jedem Hören löst es in mir unbändige Freude und zugleich tiefste Sehnsucht aus", sagt Anna Lucia.
Unpackbare Spielfreude
Was man gerne singt, hört man auch gerne. Das Finale des ersten Aktes beginnt bei „Riposate, vezzose ragazze", und Anna Lucia Richter wird davon niemals satt. Der Schwerenöter Don Giovanni - der hartnäckigste Macho der Musikgeschichte - grabscht nach allem, was weibliche Züge hat. Am Ende des ersten Aktes stiftet Giovanni Unruhe, verführt Zerlina, die eigentlich entschlossen ist Masetto zu ehelichen. Als der Hilfeschrei Zerlinas gehört wird, schiebt Giovanni das Ganze seinem besten Freund in die Schuhe. Hat nichts genützt, keiner glaubt ihm, doch der Irrsinn dauert noch einen weiteren Akt. „Es macht einen unglaublichen Spaß, diese Mozart-Ensembles zu singen, Zuhören ist aber genauso toll." In der Aufnahme mit René Jacobs und dem Freiburger Barockorchester regiert die unbändige Energie - die Spielfreude und die Genialität explodieren.
Heulender Schlosshund
Diese Kraft der letzten Werke! Ein knappes Jahr vor Franz Schuberts Tod beginnt er mit den drei letzten Klaviersonaten. Jetzt sind wir am Grund von Anna Lucias Nähkästchen: „Ich verbinde die allerletzte Klavier-Sonate D960 von Franz Schubert mit einer wunderbaren Privataufführung. Sir András Schiff spielte sie nur für zwei Gesangskollegen und mich nach dem Mittagessen während der Proben für sein Festival in Vicenza. Im goldenen, warmen, italienischen Mittagslicht über den Dächern des Dörfchens spielte er, und wir durften in seinen Noten mitlesen. Ich habe wie ein Schlosshund geheult und dabei gelacht und war so überglücklich, dass ich die Wochen darauf kaum etwas anderes gehört habe. Leider gibt es bei Spotify keine Aufnahme mit Schiff, aber diese ganz hervorragende Live-Aufnahme mit Sokolov, die anders, aber ebenso berührend und warm ist. Für mich wohl auf immer ein Frühlings-Stück".