Von Malte Hemmerich, 24.02.2018

VideoKunst-Kommerz

Letzte Woche eröffnete in Berlin eine Messe der speziellen Art. Nischige Musikfilme werden bei „Avant Première“ dem Business vorgestellt und angepriesen. Für mich als Messe-Erstling eine ungewohnte Erfahrung.

Wer kennt es nicht: Nach einem anstrengenden Arbeitstag liegt man abends zuhause im Bett, das WLAN streikt und Netflix fällt flach. Zeit fürs altgediente TV. Und zufällig stößt man, beinah ist es schon Mitternacht, auf eine Musikdokumentation auf Arte oder 3Sat. Nicht irgendeine, sondern die, die mit intimen Perspektiven arbeitet, Künstler und Musik nackt und ohne Marketingfassade zeigt, kurz diese eine Doku mit echter Sogkraft.
Umso unwirklicher ist jetzt das Gefühl, wenn nun gerade diese Nischenfilme, die wohl häufig einsam und alleine zu später Stunde konsumiert werden, im Scandic Hotel am Potsdamer Platz eine geradezu cineastische Bühne bekommen. Auf der Leinwand im abgedunkelten Konferenzsaal verfolgen an die hundert Besucher gebannt, wie der Pianist Francesco Piemontesi ganz schlicht, aber glänzend eingefangen, über das redet, was beim Klavierspielen in seinem Kopf passiert. Oder eine ungeschnittene, fünfminütige Probenszene, in der der sonst so sonderbar schüchterne Kirill Petrenko mit einer Sängerin geradezu in Ektstase an einer Puccini-Szene arbeitet, als ginge es um Leben und Tod.

Ich selbst habe schon einiges gehört von Bekannten, die auf Messen ihre großen Abschlüsse erzielen, sich präsentieren und in ihren Schilderungen dieses Branchenereignis allgemein mit Weihnachten gleichzusetzen scheinen. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen. So stellt sich leichte Enttäuschung ein, als auf einer Etage im Berliner Scandic Hotel auf einer Fläche, die so groß ist wie ein Seminarrraum, gut sechs Aussteller ihre Stände aufgebaut haben. „Avant Première“, so erklärt man mir, sei eben nicht die typische Messeveranstaltung, viel kleiner, intimer, fast familiär.

Ich kenne Kunst und Musik sonst fast immer nur in kommerzbefreiten Zusammenhängen, soweit man das heutzutage im Opern- und Festivalbetrieb überhaupt noch sagen kann. Zu hören, wie über Konzertmitschnitte gefeilscht wird und der Wert eines Bernstein-Porträts in Geld bemessen wird, ist ungewohnt, hat wenig mit journalistischem Idealismus zu tun. Umso erstaunlicher, wie die stillen Dokus vom Anfang hier begeistern, widersprechen sie doch so ziemlich allen Gesetzen des Filmmarktes der heutigen medialen Welt. Weder sind sie schnell und leicht konsumierbar, noch effektheischend – nein, der Musikfilm beruft sich allein auf seinen Inhalt und das tut gut.

Natürlich gibt es, so ist es wohl auf Messen üblich, viel Lobhudelei, Selbstdarstellung und wenig Selbstkritik.

Natürlich sind da auch die anbiedernden Operngenusstrailer und schrägen Experimente, aber das Neue, Innovative scheint den Inhalt nicht zu verdrängen. Und wer von uns Blaseneuropäern hätte gedacht, dass auch in Australien und Südamerika geniale Ansätze im Musikdokumentationsbereich entstehen?
Ein Filmemacher aus Brasilien, neu im IMZ-Verbund, zeigt schließlich in seinem Panel eine dreckig gefilmte zeitgenössische Oper ganz selbstverständlich neben einer Doku über den Bossa Nova. Vorurteile, Trennung von E und U und hochnäsiges Naserümpfen: Fehlanzeige - es zählt nur die Qualität des Produkts. Hier könnte sich manch engstirniger Veranstalter im Klassikbereich etwas abschauen!


Das IMZ (Internationales Musik- und Medien-Zentrum) aus Wien organisiert die Veranstaltung schon seit Jahren. Über 600 Produktionen werden vorgestellt, vom Virtual Reality-Projekt bis zur Hannigan-Doku, rund 500 Produzenten, Journalisten, Marketingmenschen und Künstler sind hier. Natürlich gibt es, so ist es wohl auf Messen üblich, viel Lobhudelei, Selbstdarstellung und wenig Selbstkritik. Die Umsätze der Branche gehen zurück, die Konkurrenz im Mediensektor wird immer größer, besonders für Produkte, die eine längere Aufmerksamkeitsspanne erfordern. Und doch: Erstaunlich mit welcher kreativ-positiven Haltung die Menschen auftreten und wie offen alle Aussteller technischen, aber auch inhaltlichen Experimenten gegenüber stehen. Ein Abend, der sich wie eine willkommene Abwechslung anfühlt: Denn wann ist man als junger Musikmedienmacher schonmal in der Kulturbranche unterwegs und hört und merkt nichts von Lähmungserscheinungen und dem mantraartigen „Weiter so".

© Marcus Gaertner


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