Mit Nikolaus Harnoncourts Tod verlässt nicht nur ein großer Dirigent, sondern auch ein großer Aufnahmekünstler die Bühne. War er in diesem Bereich doch ein Stolperstein in der oft aalglatten Landschaft der Klassik-CDs. Das beweist nicht erst seine letzte Aufnahme der Sinfonien 4 und 5 von Ludwig van Beethoven mit dem Concentus Musicus Wien. Um den Wert dieser Aufnahme wird sich eifrig gezofft, und schon dadurch erspielt sie sich ihre Daseinsberechtigung.
Wäre nicht dieser leicht oberlehrerhafte Harnoncourt-Text im CD-Beiheft, der darin für seine neue Aufnahme Deutungshoheit beansprucht, diesen Beethoven hätte man auch manch einem jungen Dirigentenwildfang zugetraut: Dynamik an der Grenze zum Hörbaren, zum Lautstärkekollaps, knarzende Blechbläser und nicht zuletzt die seltsam versetzten Schlussakkorde im letzten Satz der fünften Sinfonie, der doch eigentlich totinterpretierten. Natürlich spielen alle Beteiligten dabei historisch informiert, schön dreckig, doch irgendwie stört die Gewalt, mit der Harnoncourt und sein Ensemble uns mit der Nase unbedingt auf ihre historisch informierte Quellenarbeit stoßen wollen. Schaut und hört, was wir anders machen! Dieser Gestus schwingt durch die gesamte Sinfonie. Seltsam zerfranst oder erfrischender Neuansatz? An der Interpretation der Fünften kann man sich herrlich reiben.
Der Beethovenschen Vierten, die ja öfter mal durchs Raster fällt, widmet sich das Ensemble mit der gleichen Intensität und gleicher Akribie. Aber was bei der „Schicksalssinfonie" noch als eine Art erzwungene Neubedeutung zu hören sein kann, verwandelt sich hier in Musizierspaß. Eine Interpretation, die viel Freude macht, ganz ohne etwas unbedingt neu zu erfinden oder neu zu deuten. Man höre nur den wunderbar mystischen Beginn, dem die sandig-herbe Spielweise des Concentus ein besonderes Licht verleiht. Bevor dann wieder dröhnende Akkorde in Hörerohren geknallt werden. Diese Aufnahme in Extremen bleibt somit ein erinnerungswürdiges CD-Vermächtnis für einen Musiker wie Nikolaus Harnoncourt.