niusic: Zeitgenössische Musik einer breiten Öffentlichkeit erschließen – das kann doch nur scheitern?
Lisa Benjes: (lacht) Natürlich hatte ich zu Beginn auch meine Zweifel, ob das überhaupt was werden kann. Es gibt ja genug Vorurteile der Neuen Musik gegenüber. Nun sind wir aber im Gegenteil überrascht, wie gut das Angebot angenommen wird.
niusic: Aber mal ehrlich – Hinz und Kunz wird jetzt vor den Hauptstadttempeln nicht plötzlich für Neue Musik Schlange stehen ...
Benjes: Nein. Das nicht. Man braucht natürlich den Willen, sich mit künstlerischen Inhalten auseinanderzusetzen. Aber ich denke da weniger an Hinz und Kunz, wobei die beiden natürlich auch herzlichst eingeladen sind, sondern an diejenigen, die wissbegierig ins Sprechtheater strömen, zeitgenössichen Tanz besuchen oder sich Ausstellungen ansehen. Die zeitgenössische Musik ist im Kulturkalender da meistens ausgeklammert.
niusic: Warum?
Benjes: Es ist profan. Aber dieses Publikum hat diese Musik nicht auf dem Schirm. Und genau deswegen habe ich, mit allen Zweifeln, an diese Kampagne geglaubt und für sie gekämpft.
Die Kampagne hat eine kurze Geschichte und dennoch eine längere Tradition! Die Initiative Neue Musik Berlin e.V. (inm) hat die Neue Musik vom Angeklagten zum Verteidiger ausgebildet. Der Verein, 1991 kurz nach dem Mauerfall begründet, bündelt und vertritt als Dachverband der freien Berliner Szene diese gegenüber Politik und Verwaltung, macht sozusagen Neue Musik zum Politikum. Eine unabhängige Jury wählt alljährlich aus einer Fülle eingereichter Projekte die interessantesten aus und greift ihnen finanziell unter die Arme. Und dabei klopft die „inm“ der Kulturpolitik auf die Finger, setzt sich mit Ungerechtigkeiten auseinander und drängt auf Veränderung. Seit März diesen Jahres realisiert die der Verein eine Kampagne zur Erhöhung der Sichtbarkeit der zeitgenössischen Musik in Berlin. Das zunächst auf zwei Jahre ausgelegte Programm soll die gesellschaftliche Relevanz der zeitgenössischen Musik stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken und einem breiteren Publikum Zugänge zu Konzerten und Veranstaltungen schaffen. Unter dem Namen field notes will die Kampagne, für die Lisa Benjes verantwortlich ist, die Hauptstadtszene so unterstützen, dass sie es auch mal nach vorne ins Schaufenster der Kulturhauptstadt schafft. Unter anderem mit dem Monat der zeitgenössichen Musik.
niusic: Gab es vorher schon Kommunikationsarbeit von der inm?
Benjes: Es gab einen Veranstaltungskalender, der rudimentär alle Veranstaltungen der zeitgenössichen Musik in Berlin aufgelistet hat...
niusic: Euer Magazin?
Benjes: Nein. Das field notes Magazin ist eben genau die Erweiterung des Kalenders.Wir wollten es neben Veranstaltungshinweisen mit Hintergrundwissen über die Szene unterfüttern, damit man eben nicht nur einen Komponistennamen liest, sondern verstehen kann, was sich dahinter verbirgt. Ich ignoriere bewusst die Klischees über zeitgenössische Musik in der Kampagne – zu hart, zu dröge, Nischenkunst – sondern ich versuche die Inhalte positiv in den Vordergrund zu stellen.
niusic: Also ist „field notes“ ein Vermittlungsprojekt?
Benjes: Das klingt despektierlich und böse.
niusic: Ein wenig ...
Benjes: Dann widerspreche ich! (lacht) „Field notes“ ist eine Feldforschung in der Berliner Szene der zeitgenössischen Musik. Wir führen nur zusammen, was bereits existiert und kanalisieren es, sodass alle voneinander profitieren. Zum Magazin, das fünf Mal jährlich erscheint, kommen noch Diskussionsveranstaltungen und eben der „Monat der zeitgenössischen Musik“.
niusic: 104 Veranstaltungen im September in Berlin. Ich war bei der Eröffnung, da waren viele Altbekannte der Neuen-Musik-Szene.
Benjes: Klar. Ich würde ja auch etwas falsch machen, wenn die nicht kommen würden. Aber auch viele neue Menschen, und vielleicht ja sogar Hinz und Kunz. Als wir mit der Website online gegangen sind, hätte ich nicht damit gerechnet, dass beispielsweise täglich immer mehr Leute den Newsletter in diesem Ausmaß abonnieren. Darunter sind mittlerweile Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen.
niusic: Du bist darüber hinaus noch die Sozialarbeiterin der Szene?
Benjes: Eine Sozialarbeiterin braucht die Szene nicht.
niusic: Aber du bist das Sorgentelefon, bei dem man durchklingeln kann, wenn man Fragen zum Marketing oder zur Presse oder generell zur Aufstellung in der freien Szene hat.
Benjes: Ja. Wir machen da Workshops und es ist teils erschreckend, wie schlecht die Szene finanziell aufgestellt ist, da kommt die Kommunikaitionsarbeit oft recht kurz. Mit einigen entwickeln wir langfristige Strategien, manchmal geht es aber auch um vermeintlich profane Dinge, dass man beispielsweise eine Pressemitteilung gegenliest.
niusic: Woher kommt der Antrieb? Warum setzt du dich so für die Neue Musik ein?
Benjes: Ich glaube daran. Ich bin vom Inhalt überzeugt und versuche meinen Teil dazu beizutragen.
niusic: Also doch die Sozialarbeiterin?
Benjes: Das funktioniert auch ohne mich. Ich mache nicht die künstlerische Arbeit. Ich hebe nur die bereits exzellente Szene auf ein Podest. Mehr nicht.
Die nächsten Veranstaltungen im Monat der zeitgenössischen Musik Berlin:
Minguet Quartett / Isang Yun: 2xhören
Musikfest Berlin
12. September, Konzerthaus Berlin, Werner-Otto-Saal. 20 Uhr
14. Internationales Klangkunstfest Berlin
Kulturaustausch :: Cultural Exchange
14. September, Bibliothek am Luisenbad. 20.30 Uhr
Das komplette Programm ist auf der Website des inm zu finden.
© Peter Jeschke
© Paul Demé