Schüsse im Konzertsaal: Was in Zeiten der Terrorangst vermutlich Panik auslösen würde, baute Malcolm Arnold 1956 sorglos als makabren Gag in seine „Grand Grand Overture“ ein. Die Besetzung für dieses gut 8-minütige Konzertstück sieht neben einem großen Sinfonieorchester mit viel Percussion und extra Orgel nämlich folgende Solisten vor: 3 Staubsauger, 1 Bodenpolierer und 4 Gewehre. Ein Vorreiter für die beliebten Besetzungsexperimente von späteren Komponisten Neuer Musik wie Karlheinz Stockhausen mit seinem Helikopter-Streichquartett aus den 90er Jahren? Wohl kaum. Der Komponist und Oscar-Preisträger Arnold parodierte hier die traditionelle, oft pathetische Konzertouvertüre des 19. Jahrhunderts und erlaubte sich dabei – ganz Brite – eine gute Portion schwarzen Humor.
„Crazy Concert“
Dass die Ouvertüre großspurig mit „Grand Grand“ überschrieben ist, gibt schon einen Hinweis auf die ironische Note. Arnold komponierte sie für das Hoffnung Festival, das dem deutsch-britischen Karikaturisten Gerard Hoffnung gewidmet war. Im Rahmen dieses Festivals fand 1956 ein restlos ausverkauftes Konzert in der Royal Festival Hall in London statt, bei dem auch die „Grand Grand Overture“ erstmals erklang. Die Londoner Presse feierte dieses Event als „Crazy Concert“. Schon bei den Proben, so ist überliefert, konnten die Musiker vor Lachen kaum spielen. Auch heute kann man diese kompositorische Rarität – wenn überhaupt – zu Anlässen erleben, bei denen Champagner fließt und die Krawatte locker sitzt. Bei Neujahrskonzerten zum Beispiel. Gern werden dann die vier Solistenrollen mit den wichtigsten Haus-Promis besetzt: Intendant, Chefdramaturg, Betriebsdirektor und Chefdirigent etwa, die enthusiastisch ihre Staubsauger anwerfen und sich im virtuosen Wettstreit ihrer schmucklosen Instrumente zu übertrumpfen versuchen.
Nach dem Stimmen der Putzgeräte beginnt das Werk zunächst mit einer kurzen Einleitung und einem ersten Thema mit reichlich Blechbläsern, das an Gershwin erinnert. Wenig später, als Kontrast: eine süffige Melodie mit Kitsch-Alarm – die Sonatenhauptsatzform 52 lässt grüßen. Dann aber werfen die drei Staubsauger und der Bodenpolierer den Strom an und zeigen, was sie drauf haben. Immer wieder bringen sie sich mit genauestens vorgeschriebenen Einsätzen ins klangliche Geschehen ein. Dass dabei ihr Rauschen kaum gegen den vollen Sound eines großen Sinfonieorchesters ankommt, macht die komische Tragik ihrer Solistenrollen nur umso deutlicher. Schließlich wird in bester Hollywood-Manier das elegische zweite Thema in der Coda 229 nochmal genüsslich ausgebreitet, verstummt dann aber in einem Trugschluss 185 … Bevor die Gewehrschüsse (wahlweise von den Staubsaugerspielern gegenseitig oder von extra eingesetzten Protagonisten abgefeuert) die vier Solisten niedermetzeln und alles in einer triumphalen Apotheose gipfelt. Vier Schüsse, vier Treffer, vier Leichen, The End.
Jetzt wirds komplex: Exposition, Hauptsatz, Seitensatz, Durchführung, Reprise und Coda. Ursprünglich meinte man mit der Sonata, später Sonatenhauptsatzform, ein rein instrumentales Stück, dann wurde die Opernsinfonie größer und separat aufgeführt. Da brauchte man ein passendes Schema, um sich in der Musikwissenschaft Halt zu geben. (CW) ↩
Eine Art von Publikumsverarsche. Eine Kadenz, also eine Schlusswendung endet in der parallelen Molltonart. Irgendwie ist also Schluss, aber doch nicht so richtig. Wird in der Klassik und in der Barockmusik oft bis zum Erbrechen praktiziert. Der geübte Hörer weiß so irgendwann fast immer, was kommt. Den Ersthörer mag es noch immer überraschen. (MH) ↩
Die Coda kommt immer am Schluss und klammert sich wie ein Anhängsel an den Satz. Vor allem in der Sonatensatzform findet man sie als finalen Rausschmeißer: Entweder beendet sie das Stück mit einem rasanten Klangfeuerwerk oder sie versüßt den Abschied mit einem sanften „fade out“. (AV) ↩
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