Von Ricarda Natalie Baldauf, 20.06.2017

Würzburger Weisheiten

Im Musikbetrieb wimmelt es vor Fachidioten – Musiker, die sich nicht verkaufen können, Managern fehlt Feingefühl und Journalisten wissenschaftliche Expertise. Im MozartLabor kommen junge Akteure des Musikbetriebs zusammen, um für die Zukunft voneinander zu lernen.

Eine Reportage von Thilo Braun & Ricarda Baldauf

Die Musiker sind verärgert. Unangemeldet stürmen sieben Fotografen den engen Probenraum. Die Auslöser knipsen, der Boden knarzt, sie zwängen sich zwischen die acht im Halbkreis sitzenden Musiker. Zum ersten Mal proben sie gemeinsam, die Streichquartette „eigenArt“ und „Minguet“, und die Zeit ist knapp. Nur ein paar Tage, dann müssen die Stücke sitzen, fürs Abschlusskonzert in der Würzburger Residenz.

„Eine Stunde länger in der Übezelle macht keinen besseren Musiker aus Ihnen.“

Evelyn Meining (Intendantin)

Im MozartLabor prallen Gedankenwelten aufeinander. Die interdisziplinäre Plattform des Mozartfest Würzburg würfelt nicht nur Künstler und Fotografen zusammen, auch Manager und Agenten, Musikwissenschaftler und -journalisten, in Podien, Lectures und Proben. Von einem „offenen Schutzraum“ spricht Intendantin Evelyn Meining. Man merkt, wie sehr er ihr am Herzen liegt. Dozenten wie Stipendiaten sollen zu Fragenden werden, scheitern dürfen. Sie will Diskurs statt Perfektion: „Eine Stunde länger in der Übezelle macht keinen besseren Musiker aus Ihnen.“

„Das hat mir aus der Seele gesprochen“, sagt Bratschist Gabriel Uhde, „die Töne kann man irgendwann. Dann muss man darüber nachdenken, wie man etwas spielt und aus seinem Dunstkreis heraustreten.“ Der Orchestermusiker, 27 Jahre alt, dunkle Haare, ein paar schon grau, runde Brille, ein Beobachter, hat für das MozartLabor befreundete Musiker zusammengetrommelt und das eigenArt Quartett gegründet. Mit dem Minguet Quartett erarbeiten sie Oktette von Mendelssohn und Schostakowitsch. Der Laborversuch: Vier erfahrene Orchestermusiker reagieren mit einem eingespielten Streichquartett. Ergebnis: offen.

„Himmelspforten“ nennt sich das ehemalige Kloster am Stadtrand, bereits zum vierten Mal Zentrum des MozartLabors. Das Herzstück ist der Garten. Geschwungene Pfade führen zu Holzbänkchen im Schatten der Bäume, Steinheilige blicken würdevoll von ihren Sockeln herunter. Überall Frieden. Tritt man ins Innere des Klosterbaus, findet man sich in einer faszinierenden Mixtur aus 750 Jahre altem Bauwerk und moderner Architektur wieder: gläserne Fassaden, viel Licht, dazwischen uraltes Mauerwerk, an den Wänden Kunstwerke. Manchmal auch biblische Weisheiten, wie kleine, spirituelle Zwischenmahlzeiten.

„Ich habe auch schon Künstler über Fotos verkauft.“

Andrea Hampl (Künstleragentin)

Am Samstagabend finden die Sektionen erstmals zusammen. Jede Gruppe gibt einen Ausblick auf das, was sie erarbeiten will. „Wir dachten an eine Porträtserie vom Streichquartett“, teilt ein junger Stipendiat der Sektion Künstlerfotografie mit. „Für wen?“, grätscht Andrea Hampl, Dozentin der Sektion Künstlermanagement, dazwischen, „Zum übers Bett hängen? Oder für einen Veranstalter?“ Die Stipendiaten sind überrumpelt. Naja, das könne man später ja noch gucken. Nee, könne man nicht, meint Hampl: „Das ist mein täglich Brot als Agentin. Ich kriege wunderschöne Bilder. Aber wenn sie dem Veranstalter nicht gefallen, was bringt es dann?“ Etwas verärgert interveniert Wilfried Hösl, Fotograf der Münchner Staatsoper und Leiter der Sektion Künstlerfotografie: Einen künstlerischen Anspruch, den gebe es ja wohl auch noch, nicht bloß Kommerz. Es kriselt noch bevor die Arbeit begonnen hat. Und dann spricht Andrea Hampl diesen Satz aus, der noch bis spät in die Nacht für Diskussionen sorgen wird: „Ich habe auch schon Künstler über Fotos verkauft.“

Das Forschungsteam

Gabriel gibt später zu: „Als ich das gehört habe, lief es mir kalt den Rücken runter.“ Er und das Quartett dienen den Stipendiaten der Sektion Künstlermanagement als Versuchsobjekt für Vermarktungsstrategien. Am Ende soll es Fotos geben, samt passender Künstlerbiografie. Beim Abendessen geht es los mit einem Kreuzverhör: „Repertoireschwerpunkt? Erste CD? Wunsch-Label? Konzertprogramm? Wo soll das stattfinden? Und was würden Sie da anziehen?“ Zögernd kommen Antworten: Neue Musik wäre schön und besondere Konzertorte, um Barrieren zu durchbrechen. Und Gabriel könnte sich moderierte Konzerte vorstellen. „Also Künstler zum Anfassen?“, fragt Hampl. Irritierte Blicke der Musiker. Eine Karriere als Quartett hatten die Musiker eigentlich nicht im Sinn, doch plötzlich wird es ernst. Für beide Seiten eine unangenehme Situation, man denkt aneinander vorbei.

Die Künstlermanager sind unter sich. Nun wird klar: der Fragenhagel hatte System. Denn um Programmmachern ein Quartett zu verkaufen, braucht ein Agent schmackhafte Köder: „Den Veranstalter interessiert, dass die sich schon ewig kennen“, erklärt Hampl. Außerdem könne das Quartett beides, Klassisches wie Experimentelles: „Sie sind also flexibel!“ Hampl tippt Floskeln in ihr Laptop. Die Musiker „begeistern Jung und Alt“ steht da, „spannende Konzertformationen“ preist sie an. Literarisch ist das ein Graus. Die Stipendiaten werfen sich skeptische Blicke zu, doch Hampl bleibt unbeirrt: „Ob es uns gefällt oder nicht. Wenn der Veranstalter solche Keywords lesen will, dann kriegt er sie!“

Andrea Hampl (links) und die Künstlerfotografen

Am nächsten Morgen kommen die Fotografen zu Besuch. Andrea Hampl stellt klar, welches Bild sie gebrauchen kann. Vom Bildschirm lacht ein Ensemble. Die Musiker stehen barfuß am Meeresstrand. Lässig, typischer Urlaubsflair. „Und das soll jetzt ein gutes Beispiel sein?“, bohrt ein junger Fotograf nach, er bemängelt den ästhetischen Mehrwert. „Dieses Bild ist seit Jahren nicht mehr aktuell. Trotzdem ziehen es sich die Veranstalter immer wieder aus dem Netz!“, kontert Hampl, „Es macht einfach gute Laune.“ Nur, wo bitte bleibt die künstlerische Vision? Ein schmaler Grat, gibt Hampl zu. Beide Seiten zufriedenstellen, das ginge nur, wenn im Vorfeld alle Bedürfnisse geklärt würden. „Wir müssen miteinander reden“, pflichtet Wilfried Hösl bei. Eine erste Annäherung.

Bei einem gemeinsamen Fotoshooting am nächsten Tag wird die Theorie in die Praxis umgesetzt. Die Stipendiaten der Sektion Künstlerfotografie, Dozent Wilfried Hösl und Andrea Hampl setzen das eigenArt Quartett in Szene: auf einer Bank oder im Stehen, mit und ohne Instrument, inmitten des Klostergarten-Grüns. „Den Kopf etwas zur Seite, das Cello noch ein bisschen drehen“, Hösl springt, ganz in seinem Element, zwischen Musikern und Fotografen herum. „Jetzt lächeln, ja sehr schön, und los!“ Die Stipendiaten knipsen eifrig: „Bitte noch einmal in meine Kamera gucken!“ Am Ende werden unterschiedlichste Fotos entstehen, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind. „Wir sind aufeinander zugegangen und haben gemeinsam Ideen entwickelt“, sagt auch Gabriel.

„Mozart 36 – was ist Reife?“ ist das Motto beim MozartLabor 2017. Doch ein anderes Thema zieht sich wie ein roter Faden durch alle Veranstaltungen – der Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Meist nach dem Schema: Profis erklären dem Nachwuchs, wie es läuft und wo es hakt. Für die Frage, ob (und wie!) es anders ginge, fehlt die Zeit, die Veranstaltungen sind eng getaktet.

In den Abendstunden wird der Diskurs dafür umso intensiver nachgeholt, in geselliger Runde, auf der Gartenterrasse. „Trinksch’ no en Burgünderle mit?“, schwäbelt ein Künstlermanager. Es wird viel gelacht. Dennoch spürt man einen tiefen Ernst, sobald es um die Musik geht. Bis in die Morgenstunden wird debattiert, aus unterschiedlichen Perspektiven, mit vereinter Leidenschaft.

Vierter und letzter Tag: Die Stipendiaten präsentieren ihre Ergebnisse. Das Niveau ist beeindruckend. Eine Multimediareportage voller Witz haben die Musikjournalisten erschaffen, in cleverer Kombination der Medien. Fotografen zeigen Bilderreihen, mal Kunstwerk, mal gekonntes Gebrauchsbild, handwerklich makellos. Überhaupt fällt auf, wie reflektiert die Stipendiaten über ihre Fachgebiete sprechen. Viele dieser Persönlichkeiten wird man in Zukunft wiedersehen, so viel ist klar.
Die beste Performance legt die Sektion Publikumsentwicklung hin. Mit Dozent Peter Gartiser, Chef einer Münchner Unternehmensberatung für Kulturschaffende, hat sie für das Mozartfest ein fiktives Festival im Festival erdacht, vom Finanzplan über die Programmatik bis zum Marketing. Großartig!

Sich auf fremde Denkweisen einlassen, das ist nur möglich ohne den Zwang, sich auf großer Bühne beweisen zu müssen.

Das abschließende Stipendiatenkonzert findet in der Würzburger Residenz statt. Ein barocker Prunkbau mit allerlei überladenem Stuck und Schick. Hier wandelt die Hochkultur. Ein krasser Kontrast zur Abschottung der vergangenen Tage. Für Gabriel und das eigenArt Quartett wird es nun ernst. Zahlendes Publikum, vollbesetzte Stuhlreihen, dann noch eine Fernsehaufnahme. Vom Schutzraum, der das MozartLabor sein will, bleibt hier wenig. Man will Antworten, keine Fragen. Scheitern ist tabu. „Mit dem Konzert im Nacken konnten wir uns leider wenig mit anderen Stipendiaten austauschen“, ergänzt Gabriel, „trotzdem, es war ein spannendes Experiment. Viele Begegnungen und Eindrücke muss ich erstmal verdauen!“
Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis aus dieser intensiven Zeit. Sich auf fremde Denkweisen einlassen, das ist nur möglich ohne den Zwang, sich auf großer Bühne beweisen zu müssen. Interdisziplinäre Arbeit scheitert wohl oft weniger am Ziel, als an der Kommunikation, am mangelnden Verständnis des Gegenübers. Das braucht Zeit. Am besten hinter Klostermauern. Mit gutem Weißwein.

Das Mozartfest Würzburg

Was ist Reife? Nur eine Frage des Alters? Und was bedeutet musikalische Reife? Nicht nur das MozartLabor 2017 versucht dem Begriff der Reife auf die Spur zu kommen, vom 2. Juni bis 2. Juli steht er beim Mozartfest im Zentrum aller sechzig Veranstaltungen. Im Festivalzentrum, der Würzburger Residenz, treten Künstler wie Jörg Widmann, die Bamberger Symphoniker, Isabelle Faust oder das vision string quartet auf.
Schüler und Studenten bekommen ermäßigte Karten, weitere Informationen und das komplette Programm gibt es hier. Der Termin für nächstes Jahr steht übrigens auch schon fest: 25.05. - 24.06.2018.

© Max Hytrek, Stipendiat der Sektion Künstlerfotografie (Porträt Gabriel Uhde, Porträt eigenArt Quartett)
© Ricarda Baldauf & Thilo Braun
© Exerzitienhaus Himmelspforten
© Schmelz Fotodesign


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