Mit seiner Aktion „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ hat Jan Böhmermann bei seinen Fans für viel Vergnügen gesorgt: Der Text seines gleichnamigen Baukasten-Songs besteht aus Werbefilm-Twitter-Kalenderspruch-Schnipseln, deren Reihenfolge fünf Schimpansen aus dem Gelsekirchener Zoo ausgewählt haben sollen, und Musik und Video seien „in ein paar Stunden“ routinemäßig von Ton- und Videoleuten zusammen gebastelt worden, sagte Böhmermann in seiner Sendung vom 6. April. Mit dem Stück will Böhmermann die Musikindustrie, hier verkörpert durch den ECHO, auf die Schippe nehmen, die nur noch „Industriemusik“ produziere und auszeichne, deren Themen nicht mehr umfassten als „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“.
Weiterer Kritikpunkt: Dass die ausführenden Sänger dann auch noch behaupteten, sie hätten sich in diesen Songs das persönliche Leid von der Seele geschrieben, während eigentlich ein Monopol von Songschreibergrößen hinter Text, Harmonik und Melodie stecken. Es wird Tiefe vorgegaukelt, wo keine ist. Fallen nun auch die Narrative über die bewegende und individuell-persönliche Entstehungsgeschichte der Songs weg, bleibt nicht viel übrig: platte Schimpansendudelei, Wohlfühl-Tralala – Musik, die es nicht wert ist, derart finanziell gepushed zu werden?
„Die Musikindustrie“ ist bei weitem nicht so homogen, wie der bestimmte Artikel glauben machen möchte, zu ihr gehören vielmehr drei Ebenen: Musiker, Medien und Musikrezipienten. Musiker waren, um überleben zu können, immer entweder auf feste Stellen und Auftragskompositionen oder einfach auf ein breites Publikum für ihre Werke angewiesen, auf Medien, die ihnen Öffentlichkeit verschafften. Tatsächlich können es sich große Plattenfirmen wie Sony, Warner und Universal leisten, auch einige wenige Unbekannte und aus dem Raster Fallende zu produzieren, solange große Namen das Geschäft und den Umsatz am Laufen halten.
Und als ob private Radiosender wie 1live, Radio Bremen oder Antenne Unna den Mut hätten, hochpolitische artifizielle Randmusik zu spielen! Damit würden sie sich ja positionieren, sie müssten ein klares Profil entwerfen und es jedes Mal, quasi bei jedem neuen Song in der Playlist, schärfer definieren. Oder Klassik-Radiosender: Wer wagt es noch, 90-minütige historisch-rauschende Aufnahmen einer Beethoven-Sinfonie zu spielen? Oder gar Neue Musik? In den meisten Klassikradios plätschern uns doch normalisierte „Klassik-Klassiker“ um die Ohren, alle halbe Stunde Johann Sebastian Bachs „Air auf der G-Saite“, alle 45 Minuten Johann Pachelbels berühmter „Kanon“ und mindestens genauso häufig Wolfgang Amadeus Mozarts „Ave verum corpus“, in gefälligen Interpretationen, zum Augenzumachen und Wohlfühlen. Klassik ist ja so entspannend.
Die Sender fürchten, Hörer zu verlieren, weil sich ihre Zielgruppe verständlicherweise verengen würde. Aus diesem dreiseitigen Spannungsgeflecht erwächst genau das: austauschbare, langweilige Pop-Dudelei, die weder stört noch intellektuell fordert, im Fallen noch gerettet durch die ihr angeklebten Stories der vermeintlich emotionalen und persönlichen Entstehungsgeschichte. Emotion rechtfertigt heute schließlich fast alles. Es ist jedoch Musik, deren Lyrics Schimpansen in Zusammenarbeit mit Werbetextern und Kalenderspruch-Esoterikern zusammenstellen können, Hintergrundmusik mit Hintergrundthemen. Das Triviale ist das Ungefährliche ist das Lukrative. Jan Böhmermanns Schimpansen haben das wohl so pointiert wie nur möglich auf die Spitze getrieben.
Musik als Mittel wird zu Kitsch
Es kann also keine Kritik an einzelnen Songs und ihrer Machart sein, sondern es muss Kritik sein an der Gewohnheit, aus Musik exorbitanten Profit schlagen zu wollen und sie somit zur hintergrundmusikfähigen Dudelei zu degradieren. Musik als Mittel zum Zweck bringt immer Trivialisierung mit sich, Kunst wird, sobald sie nicht mehr Selbstzweck ist, zum Nutzgegenstand, gefällig, zu Kitsch.
Und all die, die sich auf die gegenüberliegende Seite stellen und voller Herablassung über den schlechten Geschmack „der Anderen“ und die Verlogenheit „der Musikindustrie“ witzeln, starten eine weitere biedermeierliche Pseudorevolution von der Wohnzimmercouch aus und fühlen sich individuell, gesellschafts- und systemkritisch. Während ihre Hymne Platz Eins der Charts verpasst. Dabei könnte aus dieser angefangenen Mini-Revolution so viel mehr erwachsen! Dass Böhmermann dem ECHO (beinahe) auf die Schuhe gepisst hat, ist lustig, ein raffiniert inszenierter Allgemeinplatz, aber was jetzt? Vielleicht werden Leute kritischer was die Auswahl ihres nächsten Musikkaufs angeht. Vielleicht fangen sie sogar an aufmerksamer zu hören, Texte aufmerksamer zu lesen, sich über Inhalte Gedanken zu machen. Das ist schwierig, denn es unterstellt, dass das vorher nicht der Fall gewesen ist. Tatsächlich wird „MLTW“ bei Festen, im Radio und in Discos als Gag-Nummer gespielt, Leute grölen den Text mit, tanzen dazu, zeigen sich gegenseitig, dass sie Böhmermanntechnisch auf dem neuesten Stand sind.
In ein paar Wochen wird die Aktion verpufft sein, Böhmermann hatte seinen Applaus, und die Organisatoren des ECHO klopfen sich den Staub vom Jackett. Schade eigentlich. Intelligent genug wäre Böhmermann, die Sache weniger populistisch, weniger applausorientiert anzugehen und vielleicht wirklich eine Bewegung anzustoßen, die sich nicht kurz vor dem Startschuss doch wieder zurückfallen lässt auf den Sessel auf der anderen Seite des Fernsehers. Man hat sich ja für den Marathon angemeldet. Enttäuschend.
Die Schimpansen-Nummer trifft einen Nerv. Und genau deshalb hätte sie nicht so glatt bleiben dürfen. Muss Satire lösungsorientiert sein? Muss sie die Alternative zu den vollgepissten Schuhen schon in der Tasche haben? Da kann man drüber diskutieren. Ich denke, nein, sie muss es nicht unbedingt, Satiriker sind schließlich keine Politiker. Ihre Rolle besteht vielmehr darin, mit ihren jeweiligen Mitteln auf Missstände aufmerksam zu machen. Aber, mit Verlaub, die Motivation guter Satire ist trotzdem nicht der Applaus für den lustigsten Streich. Vielleicht bin ich zu idealistisch, aber im besten Fall funktioniert Satire auch ohne den Satiriker.
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