Von Anna Vogt, 05.03.2017

Ab in den Müll?

Über der Presse tobt derzeit ein Sturmtief, aufgepeitscht von rechten Parolen gegen die „Lügenpresse“ und Trumps Schimpfen auf die vermeintlichen „Fake News“. Und wie steht’s um den Ruf der Musikkritiker?

Es ist ein groteskes Schauspiel. Als Donald Trump die Presse am 16. Februar zu seiner ersten Pressekonferenz als Präsident lädt, teilt er erst mal ordentlich aus: Ein Großteil der Presse würde „Fake News“ erfinden und dem Volk schaden. Außer den Trump wohlgesonnenen Medien, die machen einen „Great Job“, na klar. Mit ruhiger Stimme greift der Präsident der USA das Berufsethos der Journalisten an, macht die Kritiker nicht nur zu Kritisierten, sondern gleich zum „Enemy“. Die Presse als Feind, dem man das Vertrauen komplett entzieht und die man so gezielt diffamiert: Zum Glück ist diese Tendenz außerhalb der USA (noch?) die Ausnahme, auch wenn radikale Kreise hierzulande mit ihren Tiraden auf die „Lügenpresse“ schon länger ihre eigene Trump-Karte ausspielen. Wird über Unliebsames berichtet, versucht man den Spieß umzudrehen und den anderen als Lügner darzustellen. Ein leicht durchschaubares Muster. Aber ein umso fieseres, basiert doch das Image der Presse vor allem auf ihrer Glaubwürdigkeit.

Meinungen sind keine Fakten

Wo es weniger um Fakten als vielmehr um Meinungen geht, ist die Situation schon immer etwas kompliziert: in der Musikkritik. Die Zeiten, in denen ein Joachim Kaiser als unanfechtbare Musik-Instanz wirkte, sind lange vorbei. Heute kleben nur noch wenige Leser ehrfürchtig an den Feuilletonzeilen und nehmen die dort ausformulierten Meinungen für bare Münze. Und das ist gut so, denn natürlich hat Musikkritik keinen Absolutheitsanspruch, sondern sollte hinterfragt werden und auch mal Widerspruch provozieren. Vor allem dann, wenn sich Ratlosigkeit gegenüber dem Gehörten oder mangelndes Wissen hinter virtuos verschwurbelter Sprache zu verstecken versuchen. Der Ruf des Musikkritikers hat in den letzten Jahrzehnten gelitten, was auch am neuen Medium Internet liegt, wo jeder schnell zum Autor und Kritiker werden kann, aber das ist ein anderes Thema. In einer bitterbösen Musikkritiker-Satire hat Georg Kreisler schon 1959 den Finger tief in die Wunde des Schreiberling-Images gedrückt:

Und daß mir Musik so nichts bedeutet
Zahl ich jetzt den Musikern zurück.
Ah – wartet nur, ihr sollt es büßen,
Lebet zu den Füßen
des Musikkritikers!

Georg Kreisler (aus: „Der Musikkritiker“)

Wenn das Publikum seine Konzerterfahrung in den Worten eines Kritikers nicht wiedererkennt oder die Musiker sich ungerecht bewertet fühlen, dann wird heute längst zurückgeschossen. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja zum Beispiel hatte lange Zeit eine ganz eigene Strategie im Umgang mit unliebsamer Presse. Auf ihrer Homepage richtete sie einen „Trashbin“ ein, eine Mülltonne. Für schlechte Kritiken über ihre Konzerte. Dort verteidigte sie sich schriftlich gegen Kritiken, die ihrer Meinung nach „keine Faktenbasis hatten“. Die wurden dann nach den Kategorien von „Unwissenheit“, „Dämlichkeit“ und „Arroganz“ abgehandelt. So verständlich der Impuls und das Bedürfnis Kopatchinskajas sind, sich und ihr Spiel zu verteidigen: Ist das ein guter Umgang mit etwas, das nun mal als bisweilen hartes Los zu jedem Künstlerdasein gehört – nämlich beurteilt und bewertet zu werden?

„Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter ...“

Künstler stehen im Rampenlicht und machen Musik auf ihre ganz eigene Weise, Kritiker schreiben darüber in ihren eigenen Worten und vor allem: ihre eigene MEINUNG. Fakten gibt es dabei nur begrenzt, am ehesten in Bezug auf spieltechnische Fragen, auf den Entstehungskontext der Stücke oder sonstige musikhistorische Informationen. Darum geht es aber in den meisten Kritiken nur am Rande. Es geht es um Wirkungen und Erlebnisse, um gut begründete und dennoch höchst subjektive Einschätzungen, da kann es kein faktisches „richtig“ oder „falsch“ geben. Das muss man nicht nur als Kritiker aushalten können, sondern auch als Musiker, auch wenn das sicherlich oft schwer ist und manchmal weh tut. Man kann sich darüber streiten, anderer Meinung sein, sich getroffen fühlen. Doch eine Kritik zu „widerlegen“ – sozusagen als „fake News“ – ist vermutlich nicht die souveränste Methode, mit schlechter Kritik umzugehen. Patricia Kopatchinskaja füllt ihre „Mülltonne“ mittlerweile nicht mehr. Auf ihrer Trashbin-Seite erfährt man heute nur noch: „Ich denke, dass diese Sammlung ihren Dienst getan hat und nicht mehr nötig ist. Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter ...“ Versöhnlich klingt das allerdings nicht.

Sich bereichern oder sich zerfleischen? Künstler und Kritiker sollte sich zurückbesinnen auf eine gemeinsame Liebe: die Musik.

Zum Glück werden uns Musikjournalisten hierzulande eher selten böse Absichten oder gar Lügen unterstellt. Doch in Zeiten des Populismus und des Medien-Bashing durch Figuren wie Trump, die die unkalkulierbaren gesellschaftlichen Dynamiken befeuern, ist es wichtiger denn je, sich darauf zu besinnen, was Vertrauen in die Presse und Pressefreiheit heißt, und das für jeden journalistischen Bereich: nämlich Meinungsvielfalt und Meinungsverschiedenheiten nicht nur auszuhalten, sondern zu akzeptieren – als Preis einer offenen Gesellschaft. Zum Glück aber haben zumindest Kritiker und Künstler dabei auch immer eine kraftvolle Verbindung: durch die Liebe zur gemeinsamen Sache, zur Musik. Wem diese Liebe im Arbeitseinerlei abhandengekommen ist, der sollte allerdings ernsthaft über einen Berufswechsel nachdenken.



© Mark Freeth/flickr.com/CC BY 2.0
© Julia Wesely


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