Von Christopher Warmuth, 15.02.2017

Antipodenparade

Normalerweise kreiert niusic mit Stars und Sternchen Playlisten, die hinter die Künstlerfassaden blicken lassen. Nun mal andersrum: Was hören unsere Autoren und warum? Christopher beginnt und überrascht.

„Die einzige Droge, die Christopher vor den Berghains dieser Welt braucht, ist Wolfgang Amadé Mozart.“

Die niusic-Redaktion

Wer mich kennt oder liest, wird stutzen: Am Anfang war Pop. Um sich im freelance-Leben überhaupt irgendwie mühselig aus dem Bett zu schälen, dröhnt Flutes aus den Boxen, was vor der ersten Koffeininjektion aufpeppelt. Smoother Anfang, permanente Steigerung bis der Bass im schnellen Schritt zur Küche führt und dieses herrliche Percussion-Gewirr! Mit Superlativen sollten Musikjournalisten sparen. Also wirklich sparen! Aber Wolfgang Amadé Mozart ist für mich der größte Held, die neue Einspielung von Piotr Anderszewski läuft seit zwei Tagen auf Dauerschleife: sanft, rau, verspielt, wüst und irrsinnig, so will es Mozart, und so will es Anderszewski.

Wer mich kennt oder liest, wird darauf gewartet haben! Streichquintett D. 956 von Franz Schubert in der Einspielung vom kongenialen Quatuor Ébenè. Und wenn wir schon beim Privatleben von Musikkritikern sind: Dieser Satz hat mich unter der Dusche einst so fasziniert, dass ich schockverliebt stehenblieb und nach dem letzten Takt mit Schrumpelhänden aus der Dusche stieg. Kürzer, drängelnder und gut gegen Aggression ist Nneka mit Heartbeat. Ein wunderbarer Song, bei dem noch keiner angewurzelt stehen geblieben ist.

Auf meinem elektronischen Endgerät ist unangefochten auf Platz 1 das Weihnachts-Concerto-Grosso von Arcangelo Corelli. Die American Baroque Soloists legen hier die Referenzlatte hoch, maximal durchsichtig und mit irrwitzigem Gefühl für Tempoverzögerung. Und eigentlich sollte man in einer persönlichen Playlist ja eine große Bandbreite aufmachen, aber Mozart wird ein zweites Mal herbeizitiert, vor allem wegen der engelsgleichen Sopranistin Sandrine Piau, die hierzulande vielen kein Begriff ist. Ach, ich fühls entfaltet am Ende eine Spannung, bei der man zerspringen will, feine Punktlandungen beim höher werdenden Leid.

Dieses Hin und Her, diese Nicht-wissen-was-kommt tut es mir häufig an. Man sollte sich immer raus aus der gewohnten Komfortzone bewegen und Neues suchen. Wo, wenn nicht in der kurzen Zeit zwischen Barock und Klassik wäre das besser möglich. Carl Philipp Emanuel Bach ist der strahlende Epochenübergang, weiß mit Harmonie und Dissonanz herrlich zu spielen und bekommt in der neuen Einspielung von Emmanuel Pahud einen wunderbaren Schleudergang. Hin und Her und Her und Hin. Was will man mehr? Mit Forever More von Moloko, düster, unheimlich und hypnotisch, will ich aus dem Hit-Mix abmoderieren. Weil es nichts Schöneres gibt als das Unvereinbare, ja, die pure Antithese.




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