Von Christopher Warmuth, 08.04.2016

Himmelschreiend

Diese Mozartplatte ist phänomenal, Sabine Devieilhe werkelt ein Mozartbild heraus, das lange vergessen und ignoriert wurde. Wie kommt man auf so eine geniale Hommage?

Zwei Sekunden dauert das misstönende Tongestrüpp. Es ist ein jähzorniger Bruch am Ende der Arie „Schon lacht der holde Frühling”, der einen Schauer und Verstörung heraufbeschwört, sofort schließt sich die wohl berühmteste Arie Mozarts – „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen" – an. Die hartnäckigsten sechsundfünfzig Töne in sieben Takten der Mozartmusikgeschichte kennt jedes Kind. Es ist das Maximum an Tongirlanden und Virtuosität mit sportlichem Umfang bis zum dreigestrichenen f. Devieilhe setzt auf jeden zweiten Schlag schwermütige Marker, seziert das Wirr-Warr in seine Einzelteile und schlägt dem Hörer heftig ins Gesicht. Das ist ein Geschenk!



Sabine Devieilhe, Dirigent Raphaël Pichon und sein Ensemble „Pygmalion” schreiten kreuz und quer durch das Mozartrepertoire, die einzige Ordnung ist die Vierteilung des Konzeptalbums. Man kennt solche Vorhaben von anderen Künstlern, die einen Strauß berühmter Arien oder Stücke aufnehmen und das mit bedenklichen Geschichtchen rechtfertigen wollen, inhaltlich doch nur eine additive Aneinanderreihung liefern. Diese Konzeptplatte meint es ernst und gewinnt! Es ist eines der stichhaltigsten Porträts der gesamten Aufnahmegeschichte. Nach dem Einleitungsblock knöpft man sich die drei Weberdamen vor. Die Familie Weber war für Mozart einer der wichtigsten Wegbegleiter, vor allem auf die Töchter hatte es Wolferl abgesehen: Aloysia, Josepha und Constanze.

In der Familie wird wild herumgeschmachtet, geliebeleit und angebetet, bis Mozart letztlich Constanze ehelicht. Stimmlich könnte es nicht besser passen, Devieilhe zirpt mit seidigem Vibrato, schlägt ultimative Bögen, tollt in den Intervallsprüngen punktgenau herum und verlängert oder verkürzt millisekundengenau die Wechsel der typischen Harmonik Mozarts. Das Ensemble ist unaufgeregt, kommt ohne Klim-Bim aus und ergründet gerade im Register der Holzbläser neue Klangdimensionen. Devieilhe und Pichon übersetzen die Biografik durch die Notenlinien. Jeder Webergrazie sind vier Stücke oder Arien zugeordnet, auf dem Cover findet man bei Constanze allerdings nur drei. Doch im letzten Titel, dem „Et incarnatus est“, ist ein Bonustrack eingeschoben: Der geistreichste Einfall auf einer Klassik-CD seit Langem, es ist ein treffender Kommentar zu Mozart. Non plus ultra!


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Wolfgang Amadeus Mozart

The Weber Sisters

Sabine Devieilhe, Ensemble Pygmalion, Raphaël Pichon

Erato



© Josep Molina


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