4, Borowksi, Holz, Keller: Klangrede. CD. Zafraan Ensemble, Titus Engel. bastille musique. Mehr steht da nicht auf dem weißen breiten Aufkleber der Vorderseite, fast alles gleichberechtigt groß. Auf den ersten Griff mischt sich unter die Verwunderung womöglich auch eine leichte Verärgerung. Mit einer Schachtel aus Pappe und diesen Minimalinformationen lockt man doch niemanden zur Musik. Vor allem nicht zur zeitgenössischen, die ja angeblich so schwer zu vertickern ist, weil zu sperrig, zu dröge und zu unkommerziell. So jedenfalls lauten die Thesen, oder mindestens die anerzogenen Phrasen einer Zeit, in der zeitgenössische Musik zum musikalischen Pendant des Brokkoli erklärt wird. Der Konsument würgt ihn nur dann herunter, wenn ihm auch das Dessert in Aussicht gestellt wird, als Mozart-Bach-Beethoven, die „Alten Meister“.
Hier aber wird nichts untergejubelt, „bastille musique“ feiert die Reinheit der Nischengattung Neue Musik 107 . Öffnet man die raue, recycelbare Ummantelung dieser Einspielungen, sieht man eine düstere Oberfläche, die die CD, das Booklet und vier einzelne Ziehharmonika-Bilderstrecken schützt. Die Innenseite des pechschwarzen Butterbrotpapiers funkelt. Es ist ein gegensatzverliebter Rausch der Haptik! Die verwendeten Materialen kombinieren Raues, Glattes, Glänzendes, Mattes, Weißes und Schwarzes.
Neue Musik tut weh. Unverstanden und von einer Vielzahl romantischer Musikfans in den Elfenbeinturm des Elitarismus verstoßen, vegetiert sie als „Stiefkind der Klassik“ vor sich hin. Doch die modernen Nachfahren von Beethoven und Schönberg sollte man nicht unterschätzen– Avantgarde hat ihre Gründe. (AJ) ↩
Natürlich sollte guter Inhalt das oberste Gebot eines jungen Labels sein. Aber Hallo – was für ein Niveau! Nicht allein die Ausgabe 4, bei der fünf der sechs aufgenommenen Werke Weltersteinspielungen sind, sondern auch der Rest der Veröffentlichungen zeigt, dass man an erster Stelle auf Qualität setzt. Die Goethe-Lieder von Wolfgang Rihm mit Hans Christoph Begemann und Thomas Seyboldt, Ausgabe 2, sind eine der herausstechendsten Interpretationen des vergangenen Jahres.
Nach vier solch solitären Einspielungen hat sich Sebastian Solte, Gründer von „bastille musique“, in Sachen Leistung selbst in die Bringschuld begeben. Wir wollen mehr davon! Hoffen wir, dass Solte nicht nur Künstlerinnen und Künstler von Ausnahmerang überzeugen kann mitzuwirken, sondern auch weiterhin die Verpackungen der CDs detailverliebt in seiner Berliner Bude selbst zusammentackert. Es ist nämlich verdammt selten, dass man sich parallel zur Musik mit der Pappschachtel, dem knisternden Papier und dem Booklet beschäftigen will – einfach, weil es ähnlich süchtig macht wie die Musik.
© Christopher Warmuth