Von Anna Vogt, 18.01.2017

Königsdisziplin

In Purcells „King Arthur“ gibt’s Zauberwälder, Opferungen und die große Liebe. An der Berliner Staatsoper macht Sven-Eric Bechtolf aus dem britischen Gründungsmythos großes Illusionstheater: Dreieinhalb Märchenstunden für Erwachsene.

Die alljährlichen Barock-Produktionen an der Berliner Staatsoper sind mittlerweile ein Selbstläufer. Auch in diesem Jahr waren die sechs angesetzten Vorstellungen schon vor der Premiere am 15. Januar allesamt ausverkauft. Verantwortlich dafür ist insbesondere ein Name: René Jacobs. Mit seiner Akademie für Alte Musik ist er jedes Jahr an der Staatsoper für eine Produktion zu Gast, wenn Barenboim mit seinem Orchester tourt. Das Expertenwissen des Alte Musik-Profis Jacobs und der Akademie, ein handverlesenes Vokalensemble aus Barock-versierten Sängerinnen und Sängern und die Möglichkeiten der Staatsoper gelten als Garant für spannende (Barock)-Ausgrabungen und höchstes Niveau. Zu Recht?

Ein typisch britischer, bisweilen derber Humor schafft Distanz zu den großen Gefühlen, die in Purcells Musik beschworen werden.

Auf jeden Fall wird bei dieser Produktion geklotzt und nicht gekleckert, was sich vor allem in der opulenten Ausstattung und beim Bühnenbild zeigt. Mit „King Arthur or the British Worthy“ von Henry Purcell haben sich René Jacobs, und die Regisseure Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch (der auch für das Bühnenbild verantwortlich ist) ein schwieriges Zwitter-Wesen zwischen Schauspiel und Oper, eine barocke „Semi-Opera“ 264 also, ausgesucht und einmal ordentlich durchgeschüttelt: Jacobs hat dafür eine neue musikalische Fassung zusammengestellt, auch der Originaltext von John Dryden wurde zum Teil übersetzt, bearbeitet und aktualisiert. So setzt das gesprochene Wort immer wieder den allzu schönen Purcellschen Klängen einen typisch britischen, bisweilen derben Humor entgegen: auf Distanz zu den großen Gefühlen, die in dieser Oper beschworen werden, aber von Anfang an mehr Zutat als das eigentliche Thema dieser Sagen zu sein scheinen.

  1. Nicht Fisch, nicht Fleisch: Die Semi-Oper (von lat. „semi“ = „halb“) kann sich nicht entscheiden und mixt daher gesprochenes Drama mit musikalischen Szenen zu einem kurzweiligen Cocktail. Eine Spezialität des englischen Barocks – mit Henry Purcell als dem unbestrittenen King of Semi-Opera. (AV)

Überhaupt, die Sagenwelt: Wer hier bald nicht mehr durchblickt, muss sich nicht wundern. Neben den in vielen Rollen eingesetzten Choristen und Statisten finden sich auch mehrere Dutzend Sing- und Schauspiel-Partien, so dass die einzelnen Solisten immer gleich mehrere übernahmen. Zudem hat Bechtolf dem Stück eine zusätzliche Rahmenhandlung verpasst: Er lässt einen Großvater die alte Sage von King Arthur, Oswald und Osmond, ihrer Angebeteten Emmeline und dem Zauberer Merlin seinem Enkel erzählen. Es sind die Gründungsmythen Englands, die der Alte so vom Rollstuhl aus an die jüngste Generation weiter gibt. Die komplizierte Familiengeschichte des trotzigen 8-Jährigen am Ende des 2. Weltkriegs wird dabei als Schauspiel dargeboten, während die Sagenkapitel auf Purcells Musiknummern basieren. Als Klebstoff zwischen beiden Sphären dienen bisweilen Orchesterwerke von Purcell, die den Schauspielszenen atmosphärisch unterlegt sind. Die Verbindung zwischen den beiden Stories – und damit dem 20. Jahrhundert und dem Mittelalter – ist vom Regieteam klug inszeniert, teilen sich doch oft beide Sphären gleichzeitig die Bühne. Aus dem alten Sagenstoff schöpft der Opa abschließend auch noch eine überzeitliche Lebensweisheit für das Kind: „Was eben noch uns ewig heilig schien, ist morgen schon vergessen!“

Als ob Handlung, Charaktere und der ständige Wechsel aus gesprochenen und gesungenen Passagen nicht schon genug der Komplexität wären, setzen Bechtolf und Crouch mit einer Bilderflut noch eins drauf. Das ist virtuos choreografiert, spielt mit einfachen, aber effektiven Mitteln von hoher anschaulicher Kraft: Der Zauberwald erhält erst durch Lichtprojektionen seinen eigentümlichen Reiz, Fantasie-Gebäude einer imaginierten Stadt des kleinen Jungen schießen als Papier-Silhouetten aus dem Boden, und beim wogenden Fluss aus Papier-Kulissen hat man die Kulissenschieber gleich mit ins Bild gesetzt.
Hier passiert viel auf der Bühne und noch mehr im Kopf, eine Hommage an den Kulissenzauber der frühen Opern. Aber erst durch die gewohnt beseelt und geerdet spielende Akademie werden diese vielen Momentaufnahmen lebendig und berührend; zu Recht bekommen also zum Ende der Premiere Orchester und Dirigent den meisten Applaus. Doch was nach 3 ½ Stunden Bilderflut auch bleibt, ist ein Gefühl der Überforderung, ja Übersättigung. Die Staatsoper lässt mit „King Arthur“ eine Märchen- und Zauberwelt entstehen, die zum Staunen bringen will und sich zugleich selbst immer wieder als Kulisse demaskiert. Ganz im Sinne des ernüchternden Fazits des Alten: Nichts ist heilig, alles vergeht.

Die nächsten Vorstellungen:

Henry Purcells „King Arthur or the British Worthy“ nach einem Text von John Dryden läuft noch bis zum 22. Januar in der Staatsoper im Schillertheater in Berlin. Alle Vorstellungen sind zwar ausverkauft, aber am 21. Januar kann man ab 19 Uhr die Vorstellung im Live-Stream erleben.
Die musikalische Leitung hat René Jacobs, die Inszenierung stammt von Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch. In diversen Rollen sind u.a. Annett Fritsch (Sopran), Robin Johannsen (Sopran), Benno Schachtner (Altus), Mark Milhofer (Tenor), Stephan Rügamer (Tenor), Johannes Weisser (Bass) und Arttu Kataja (Bass) zu erleben. Es spielt die Akademie für Alte Musik Berlin. Auch das Skills Ensemble und der Staatsopernchor sind beteiligt.

© Ruth Walz/Staatsoper Berlin


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