Von Robert Colonius, 02.01.2017

Weihnachten auf Arabisch

Glühwein, Spekulatius und ein Choral von J.S. Bach auf Arabisch: Bei „Dance the Tandem“ in Hannover kommt exotische Weihnachtsstimmung auf. Dahinter steckt ein Konzept für die Integration von geflüchteten Musikern – Integration durch Musik.

Vorweihnachtszeit in Hannover: überfüllte Straßen, Zeitnot, überall Gehüstel und triefende Nasen. Und von Schnee auch dieses Jahr keine Spur, dafür ein sehr feiner Regen, der jede Faser der Kleidung durchdringt. „Planänderung wegen Krankheit“, schreibt mir Theresa Etzold, Mitarbeiterin beim „Welcome Board“ in Hannover. Ich soll für ein Interview kurz vor Weihnachten doch schon am Mittag ins Büro kommen. Unscheinbar, fast inoffiziell wirkt das Haus, in dem das Büro sein soll. Doch am Eingang steht eindeutig „Musikland Niedersachsen“, ich habe mich nicht verlaufen.
Drinnen laufen die Vorbereitungen für das abendliche „Dance the Tandem“ auf Hochtouren. Ich treffe Jamila al-Yousef, Projektkoordinatorin des Welcome Boards. Wir gehen in ein größeres Zimmer, an einer Wand hängen diverse Instrumente, von denen ich mindestens die Hälfte noch nie gesehen habe. „Alle kenne ich davon auch noch nicht“, sagt Jamila. Etwas heiser fährt sie fort: „Heute Abend gibt es eine Sonderausgabe vom ‚Dance’, mit einem angeleiteten Singen auf Arabisch. Leider bin ich nicht dabei, weil ich erkältet bin.“
Was genau macht das Welcome Board? „Seit Juli gibt es uns immerhin schon. Wir bieten Musikern, die flüchten mussten, die Möglichkeit zur Verbindung und Vermittlung in den Musikerberuf in Deutschland.“ Nicht nur an Instrumentalisten, sondern an alle Musikberufe richtet sich das Welcome Board. „Höhepunkt ist aber schon ‚Dance the Tandem’, da kommt alles zusammen.“ Mittlerweile haben sich 80 Musiker beim Welcome Board gemeldet.

Tandem im Treppenhaus

Am Abend: Hinter dem Schauspielhaus versteckt, liegt im Innenhof die Cumberlandsche Galerie. „Das schönste Treppenhaus der Stadt“, wie man in Hannover so sagt. Und tatsächlich: Die verschnörkelten Fliesen, Säulen und Treppengeländer aus dem 19. Jahrhundert haben edlen Charme. Doch so voll wie heute war das einstige Museum (wobei davon nur eben das Treppenhaus übrig geblieben ist) zu Herzogszeiten wohl nicht. Einen Sitzplatz kann ich allerdings noch ergattern. Alle Nachkommenden werden dann wohl stehen müssen.
Alaa, Monafak und Youssef, drei junge Flüchtlinge aus Damaskus, die ebenfalls am Tisch sitzen, sind zum zweiten Mal bei „Dance the Tandem“. Sie selbst machen keine Musik. Sie hören einfach nur zu. „Letztes Mal hat hier eine Band Songs von Adele und arabische Musik zusammen gespielt“, erzählt Youssef. „Das kam ziemlich gut an.“
„Ah, so wie Sting in seinem Song ‚Desert Rose’?“, frage ich nach. „Wer ist Sting?“ Na gut, andere Generation.

Die Idee des Tandems: gemeinsam etwas erreichen, kulturenübergreifend.

Auf der Bühne tummelt es sich mittlerweile. Rappelvoll ist es geworden. Jeder Stehplatz ist vom Publikum ausgenutzt. Der Juventis Jugendchor aus Celle unter Stephan Doormann stellt sich auf, dazu Claudia Ott mit ihrem Flüchtlingsensemble, darunter der Sänger Safar Ebaoui. Wie aus dem Ei gepellt sieht er aus, im Nadelstreifenanzug und mit Mikrofon in der Hand. Sarah Lorenz vom Schauspielhaus Hannover eröffnet den Abend: „Willkommen zur Weihnachtsedition von ‚Dance the Tandem’. Heute gibt es keine Jamsession, dafür wird nachher mit allen gesungen.“
Warum eigentlich „Tandem“? „Die Idee dahinter war, dass jeder, der hierher kommt, jemanden mitbringt, der vorher noch nie dabei war. Aber es sind vor allem die verschiedenen Kulturen, die hier aufeinander treffen und eben wie bei einem Tandem zusammenlaufen“, so Lorenz.
Es folgt Musik. Ebaoui singt mit sonorer Stimme, begleitet von einer Langhalslaute und Trommel. Kräftig klingt es, aber auch verzweifelt. Ich frage Youssef, wovon Ebaoui singt. „Einsamkeit“, sagt er bloß. Nun ein Weihnachtslied, gesungen vom Chor und Eboaui, gefolgt von Bach auf Arabisch. Wie kam denn das zustande? Zumindest klingen die arabischen Worte mit ihren vielen Vokalen sehr sanglich. „Einige Bach-Choräle wurden in den sogenannten Schneller-Schulen (nach Johan Ludwig Schneller, 1860) ins Arabische übersetzt“, erklärt mir Claudia Ott später. „Schneller-Schulen dienen der gemeinsamen Erziehung von Christen und Moslems, auch musikalisch. Von den arabischen Bachchorälen habe ich ein ganzes Heft“, so Ott.

„Freu dich, mein Herz, und singe!“ Dazwischen: arabische Hymnen.

Jetzt ist das Publikum aufgefordert, das Weihnachtslied „Freu dich, mein Herz, und singe!“ anzustimmen. Zwischen den Strophen sind Muhammad-Hymnen eingeschoben. Sowohl die Strophen als auch die Hymnen sind Lobpreisungen auf Gott, und beide werden mit Licht-Metaphern („Schaut den Stern, der euch gern Licht und Labsal gönnet“ neben „Du bist die Sonne, du bist der Mond, du bist Licht über Licht“) beschrieben. Viel offenkundiger ist jedoch die Musik: Die Melodie in den deutschen Strophen und den arabischen Hymnen ist sich sehr ähnlich, fast schon identisch. Es wird nach Leibeskräften gesungen. Ich mogele mich durch.
Markus Lüdke, Gesamtleiter des Welcome Boards, spricht mit mir in einem Nebenzimmer von den Herausforderungen, die es neben der Integration an sich zu bewältigen gibt: „Es ist im Allgemeinen immer noch schwer, den Leuten klar zu machen, dass Kultur eine Kompetenz ist, ob deutsch oder nicht.“ So wurde zum Beispiel Jan Youssef aus Syrien, der vor Kurzem ein Praktikum bei Welcome Board absolviert hat, vom Jobcenter nahegelegt, lieber als Kellner zu arbeiten, obwohl er schon vorher als Musiker tätig war.

Der singende Polizist

Wieder im Treppenhaus: Ebaoui singt ein Mawwal, eine improvisierte Mischung aus Gesang und Rezitation, begleitet von Claudia Ott an der Rohrflöte. Es ist ein Gedicht über die Liebe zur Mutter. Dann ein weiteres Lied. „Worüber war das?“, frage ich wieder Youssef, der die ganze Zeit als Übersetzer herhalten muss. „Darüber, wie schön doch die Mittagszeit ist.“ Es gehen also auch mal lockere, ganz weltliche Themen. Danach wird getanzt, zu Seeed und Balkan Beats.
„Ich war Polizist und Basketballspieler im Irak. Singen tue ich erst, seitdem ich in Deutschland bin“, erzählt Safar Ebaoui, der Solo-Sänger des Abends. Er kam über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Wenn es irgendwie möglich ist, möchte er in Deutschland bleiben und arbeiten. Als professioneller Sänger.

Halb zwölf, das Treppenhaus ist schon fast leer. Es schwingt auch niemand mehr das Tanzbein. „Vorhin war die Atmosphäre sehr energetisch“, meint Theresa Etzhold. „Aber heute ist wohl früh Schluss“. Ja, die Vorweihnachtszeit. Zeit für ein wenig Ruhe. Draußen ist es kalt geworden. Ob es wohl doch noch schneit?

Integration ohne Worte

Seit Juli 2016 bietet das Welcome Board, eine Initiative des Musiklands Niedersachsen und des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, geflüchteten Berufsmusikern ein Forum. Es geht um die Vernetzung, Vermittlung und Kommunikation aller musikalischen Strömungen. Dazu werden die Musiker qualitativ zu ihrer Situation befragt, um sie nach ihren jeweiligen Kompetenzen einzuordnen und unterstützen zu können (Matchmaking).

Einmal im Monat findet das „Dance the Tandem“ in der Cumberlandschen Galerie statt, eine Kooperation mit dem Schauspiel Hannover. Dort wird getanzt, gespeist – und natürlich musiziert. Der nächste Termin ist am 18. Januar 2017.
http://www.welcomeboard-niedersachsen.de

© Welcome Board, Alireza Husseini


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.