Von Marie König, 28.12.2016

Spatzenspektakel

Georg Friedrich Händels „Rinaldo“ sollte dem Opernpublikum den Kopf verdrehen. Diese Rechnung ging fast auf – doch nach der Vorstellung mussten sich die Zuschauer die Köpfe waschen.

Es muss einfach ein Erfolg werden! Aaron Hill, Inhaber des Londoner Theaters am Haymarket, schmiedet einen Plan, um den Engländern die italienische Oper unterzujubeln. Die haben darauf wenig Lust, sind sie doch getrimmt auf Sprechtheater und angesichts gesungener Worte, die sie nicht verstehen, in ihrem Stolz gekränkt. Hill, großer Liebhaber dieses italienischen Genres, wittert dennoch Gewinn und engagiert einen jungen deutschen Komponisten. Georg Friedrich Händel ist in diesem Fach versiert und schustert kurzerhand seine größten Hits und taufrische Melodien zu einer Oper zusammen: „Rinaldo“. Doch um die Londoner Kinnladen zum Fallen zu bringen, braucht es mehr – Effekt, Spektakel und allerlei Bühnenzauberei.

„Weites, ruhiges Meer, in dem sich ein prächtiger Regenbogen spiegelt. Rauhes Gebirge mit steilen Felsen und Wasserfällen. Armida in einem Wagen sitzend, der von zwei Drachen gezogen wird, die Feuer und Rauch speien.“

Bühnenanweisungen aus dem Libretto zu „Rinaldo“

Geradezu abenteuerlich lesen sich die teils ellenlangen Bühnenanweisungen, mit denen Händel und sein Librettist Giacomo Rossi eine opulente Szenerie garantieren wollen.
Schon Wochen vor der Uraufführung im Februar 1711 munkelt die englische High Society über die ominösen Geschehnisse im Theater. Ein Journalist berichtet von seiner Begegnung mit einem gewöhnlichen Mann, der einen Käfig voller kleiner Vögel spazieren trug. Auf Nachfrage habe er berichtet, dass sie nicht – wie zunächst vermutet – zum Braten gedacht seien, sondern gegen Ende des ersten Aktes in der Oper eingesetzt werden sollten. Such novelty!
Leider läuft die Spatzennummer, welch Überraschung, nicht ganz reibungslos: Es ist ein Lockruf an das Federvieh! Der basso continuo 28 schreitet andächtig herab, während Blockflöten und Streicher tschilpen und den Vogelgesang imitieren. Diese, davon bezirzt, flattern auf die Bühne und können nicht mehr an sich halten. Die Sopranistin, völlig allein mit der Natur, zwitschert auf Trillern 93 , lauscht sehnsüchtig den Vögeln und versucht, aus dem Spatzengesang herauszufinden, wo ihr Liebster sich befindet.

  1. Der Generalbass ist das harmonische Gerüst, in dem Barockmelodien herumkraxeln. Er ist die tiefste Stimme, und Generalbassspieler haben nur die Scharniere des Gerüsts notiert. So kann beispielsweise jeder Organist sein eigenes Gerüst zusammenschweißen, die restlichen Melodien winden sich um dieses. (CW)

  2. Diese lange Haltenote. Wie langweilig! Schnell ein kleines Trillerzeichen gesetzt und es kann auf verschiedenste Weise losverziert werden, als ob es kein Morgen gäbe. Bitte immer die Grenze zwischen kunstvoller Ausgestaltung und Zirkusnummer einhalten! (MH)



Eine Antwort erhält sie nicht. Dafür fühlen sich die Sperlinge ziemlich wohl, nehmen das gesamte Opernhaus in Beschlag, beanspruchen Soli in anderen Arien, attackieren Sänger und erleichtern sich auf den Köpfen des Publikums. Ein Bauchladen mit Hüten wäre der Renner gewesen!
Das Theater am Haymarket mutierte damals für kurze Zeit zum Zoo und war sicherlich auch deshalb in aller Munde. Dass Händel bis heute als einer der größten englischen Komponisten gehandelt wird, verdankt er aber weder dem feuerspeienden Bühnendrachen noch einem Sperlingsschwarm, sondern dem wahren Spektakel: seiner Musik.

Auf der schwedischen Insel Lovön bei Stockholm gibt es ein original erhaltenes Barocktheater. Ungefähr so kann man sich die Funktionsweise der Bühnenmaschinerie bei Händel vorstellen, auch wenn hier Wolfgang Amadeus Mozart läuft und das Theater etwas jünger ist.



© Paulo Brandao/unsplash.com
© Charmaine Zoe/flickr.com/CC BY 2.0


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.