Von Malte Hemmerich, 30.11.2016

Star im Dunkeln

Alexander Melnikov wird nie ein berühmter Tastenlöwe wie Lang Lang oder Daniil Trifonov werden, das ist aber nicht schlimm. Statt im großen Bühnenlicht glänzt er mit unglaublicher Musikalität und schlauer Programmwahl.

Dem unscheinbaren russischen Pianisten Alexander Melnikov eilt der Ruf voraus, ein fähiger, introvertierter Klavierintellektueller zu sein. In einer Musikwelt, in der Pianisten zu immer effektvolleren, dabei aber oft hohlen Darbietungen und Interpretationen neigen, mag dies so anmuten. Wer nun im Gegenschluss bei Melnikov an verstaubte Kopfakrobatik denkt, irrt gewaltig.
Seine Aufnahme der Schostakowitsch-Klavierkonzerte mit dem damals noch ungehypten Teodor Currentzis ist trocken, cool, und dabei dennoch immer feurig. In den Kammermusik-Einspielungen von Robert Schumanns Musik dagegen sticht sein Klavierpart heraus, wenn es Sinn macht, und klingt dann nicht gleißend, sondern sanglich. Im Zusammenspiel mit anderen Musikern – er arbeitet gefühlt immer nur mit den besten Interpreten zusammen – ist er unglaublich dezent und verfügt trotzdem über eine wiedererkennbare, eben Melnikov-Charakteristik, die den Hörer auch beim vielfachen Anhören immer wieder direkt einfängt, ja, die Musikstrukturen mit jedem Mal genauer hören lässt, ohne didaktisch zu wirken. Kurzum: Wenn es nach reiner musikalischer Qualität ginge, müssten alle seine Aufnahmen die Charts toppen.

Melnikov ist ein Meister des „Spannunghochhaltens“

Aber obwohl die Kritiker seine Aufnahmen lieben, ist die Kunst Alexander Melnikovs noch immer eine Art Geheimtipp. Er tritt viel mit Kammermusik in Erscheinung, sowie mit weniger populärer russischer Klaviermusik. Nun widmet er sich in einer Serie allen Sonaten Sergei Prokofjews, hochexpressiver Klaviermusik. Und schon die erste CD, in der der Pianist sich die Sonaten 2, 6 und 8 vornimmt, wird allen Klavierliebhabern noch lange in den Ohren nachklingen.
In Sergei Prokofjews zweiter Sonate, einem Studienwerk, spielt Melnikov sofort alle Trümpfe aus. Gleich in der ersten Minute des unsteten Stücks bringt er unglaublich viele Schattierungen, dynamische Abstufungen und eindringliche Phrasierungen auf engstem Raum. Das überfordert beinah: Doch Melnikov schafft es, alle fünf Themen in der Exposition 243 präzise neben-, über- und untereinander herlaufen zulassen. So eine Klarsicht gelingt nur wenigen! Und in den leisen, sanften Passagen ist der Pianist ein Meister des „Spannunghochhaltens“.

  1. Damit geht alles los: In der Exposition zeigt der Komponist erst mal seine Karten. Zwei Themen nämlich, die oft wie Ying und Yang sehr unterschiedlich sind und doch irgendwie zusammengehören. Damit sie nicht allzu hart aufeinanderprallen, gibt es auch noch Überleitungen oder Zwischenspiele. So bildet die Exposition den ersten großen Teil der sog. Sonatenhauptsatzform, an der fast kein Komponist je vorbeigekommen ist. (AV)



Die ausgewählten Sonaten sind ganz unterschiedlich. Die Achte birgt brutale Kriegswirren, welche Melnikov mit der nötigen rohen Gewalt in den Akkordsprüngen, im Hämmern und den Tritoni 95 darzustellen weiß – ohne über die Effekthascherei-Grenze zu treten. Der Drahtseilakt gelingt. Auch in der sechsten Sonate: Natürlich hören wir den Terror in dem Werk, welches Prokofjews Kriegssonatentrias eröffnet. Aber dazwischen ist geniale trügerische Stille. Mit leisem, aber doch so nahrhaftem Anschlag, wie er vielleicht sonst noch einem Kissin oder Sokolov gelingen mag, lockt Melnikov in die Ausruhfalle. Dann schießen wieder die Akkorde 9 und Glissandi hervor.

  1. Was für orgiastische Zustände: Mindestens drei Töne gleichzeitig bilden einen Akkord, Ausnahmen bestätigen die Regel. Tri-tra-trullala, das ist der Durakkord. Die Familie der Akkorde ist groß: Quartsextakkord, Septnonakkord und verminderter Akkord.Viel Spaß beim Rätseln. (CW)

  2. Das ist der Teufel im Ohr! Um den Teufel der Intervalle heraufzubeschwören, braucht man drei Ganztöne, dann klingt es schauerlich. Eigentlich darf sich nur die übermäßige Quarte so bezeichnen, aber auch das Komplementärintervall wird unter der Hand der Musikwissenschaftler so betitelt. Wie klingts? Mar-ia aus der West Side Story. (CW)



Melnikov präsentiert sich in diesen Prokofjewschen Sonaten als Virtuose, der jeden musikalischen Moment versteht und das ganze Wechselbad aus Gefühlen für die Zuhörer übersetzt und ordnet: So serviert er diese durchaus schwer verdaulichen Brocken der Klavierliteratur ansprechend, ohne dabei auch nur ein bisschen vom Geschmack zu verfälschen.


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Sergei Prokofjew

Piano Sonatas Nos. 2, 6, 8

Alexander Melnikov

harmonia mundi

© Marco Borggreve


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