Von Christopher Warmuth, 01.11.2016

Das ewige Licht

Die Philharmonie in Berlin ist rappelvoll. Vor den Türen harren in der Kälte Unzählige aus, um doch noch eine Karte zu ergattern. Denn Daniel Barenboim lädt zum Benefizkonzert zugunsten der Sanierung der Staatsoper. Zum Glück mit Cecilia Bartoli!

Es vergehen keine zwei Sekunden, und man erkennt Cecilia Bartoli an ihrem pechschwarzen Schmelz, den bis zum Letzten ausgekosteten Vokalen und diesem Klang – ja, diesem unfassbar betörenden Klang. Die Schwingungen ihrer Stimme scheinen zu glimmen, sind maximal konzentriert, bis auf ein ganz kleines Volumen zusammengehalten. So, wie Bartoli singt, strahlt alles ganz weit ins Publikum, als wäre es das ewige Licht. Dabei ist es egal, ob sie die Solokantate „Arianna a Naxos“ von Joseph Haydn singt oder ein paar Arien von Wolfgang Amadeus Mozart. Bartoli erkennt man immer. Sofort. Und dafür wurde sie ja auch nach Berlin geladen, um Gelder einzuspielen für die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden. Dieser Anlass für ein Benefizkonzert mutet aufgrund der Nachrichtenlage doch grotesk an. Das, was dabei aber künstlerisch geschieht, ist grandios. Jedenfalls gesungen.

Mozart und Bartoli sind ein „match in heaven“. Da gehen Abgründe auf, Trauriges wird fröhlich, Fröhliches wird traurig, und es regiert das Chaos des Menscheninneren.

Bei Haydns Kantate mit Klavierbegleitung gibt sich Cecilia Bartoli gedämpft und zurückgenommen. Nur manchmal blitzt die Dramatik auf, dann will sich ihr Italienisch überschlagen, und das Wort hat über die Musik gesiegt. Würde sie das häufiger tun, würde sich der Moment abnutzen. Doch dafür ist sie zu intelligent. Bei Bartoli ist alles dosiert und auf den Punkt genau konstruiert – im positivsten Sinne. Daniel Barenboim begleitet sie brav, manchmal zu brav, bis es zu den Momenten kommt, in denen das Klavier ein wenig bedrohlich aufmuckt. Dann wirbeln die Ketten über die Klaviatur, verschmelzen mit Bartolis Koloraturen, und es gibt einen kurzen Moment der Symbiose zwischen Begleiter und Sängerin.
Mozart und Bartoli sind ein „match in heaven“. Da gehen Abgründe auf, Trauriges wird fröhlich, Fröhliches wird traurig, und es regiert das Chaos des Menscheninneren. Bei der Konzertarie „Ch’io mi scordi di te“, einer Bearbeitung aus der Oper „Idomeneo“, sehnt die Liebe sich nach dem Jenseits. Zu groß, zu übermannend sind die überbordenden Gefühle. Bartoli macht auf, die Staatskapelle Berlin hält sich zurück, und sie rast, tobt, donnert und bettelt um dem Tod.



Eines hat man an diesem Abend bisher vermisst, die allgeliebten „Vogelmomente“ von Cecilia Bartoli, in denen sie zirpt, als wäre sie kein Mensch. Und dann löst sie es doch noch ein: Zwei Arien des Sesto aus dem Bühnenwerk „La clemenza di Tito“ machen deutlich, dass sich ihr die Koloraturen noch immer ergeben, als seien sie Wachs in ihren Händen. In diesen Momenten steht sie ganz still, angewurzelt, der Kehlkopf vibriert, und das, was dabei herauskommt, ist pure Perfektion.

Am besten wäre es gewesen, der Abend hätte damit geendet. Keiner wäre über die Kürze böse gewesen. Qualität hätte sich durchgesetzt. Aber es musste noch ein Mozart her, mit Barenboim am Klavier, dirigierend und spielend, was weder für das eine noch für das andere dienlich war. Dabei trumpft die Staatskapelle so begeistert und so spritzig auf, dass man sie nur ein wenig mehr kitzeln müsste. Doch das Klavierkonzert A-Dur KV 488 wird wie eine Ziehharmonika auseinandergezogen, Barenboim gibt überpointiert die Einsätze vom Klavier aus, beendete damit sofort den Fluss der Musik. Das, was an Musikalität verzaubert, findet ein schnelles Ende, wird wieder aufgepeppelt, um dann erneut dazwischen zu poltern. Damit wollen wir nicht enden. Bitte nochmal Bartoli!



© Uli Weber
© BAL


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