Cellist Maximilian Hornung scheint im eröffnenden Allegro-Satz sein eigenes Spiel zu spielen: Immer wieder sticht sein delikater Ton in energischen Kurztonphrasen aus dem der übrigen Streicher heraus. Geige und Bratsche verbünden sich derweil im zerfransten, spannungsgeladenen Satz, dann streiten sie wieder. Hier offenbart sich: die Musiker der Aufnahme sind weniger Streichquartett-Einheit als vielmehr ein exquisites Zusammenspiel von vier Solisten, die nicht zuviel vom eigenen Profil aufgeben möchten. Garniert wird alles mit gut dosierten Ausreißern in Tempo und Dynamik. Aber speziell bei diesem Werk muss das nicht schlecht sein, vielmehr denkt man an Protagonisten, die im ersten Akt 10 einer Oper voll Hinterhalt und List agieren. Diese Assoziation drängt sich auf, denn wir hören ein Streichquartett von Giuseppe Verdi.
Kurz und heftig. Oder lang, zäh und unbefriedigend. Mal mit großem Pomp am Ende, mal leise ausfadend. Der Akt teilt ein Musiktheaterwerk, im besten Fall in Sinnabschnitte. Und der letzte Akt ist meistens der Mitreißendste. Ausnahmen bestätigen die Regel. (MH) ↩
Ein Streichquartett aus Italien – das wird vermutlich ebenso wenig populär wie es eine Belcanto-Oper 29 aus Österreich würde. Wahrscheinlich vermutete Giuseppe Verdi das selbst, als er 1873 sein einziges Streichquartett, und damit auch sein einziges Kammermusikwerk, komponierte. Wieso sonst sollte er von einer „seltenen Pflanze in der falschen klimatischen Zone“ sprechen?
Ausgerechnet eine verschobene Opernprobe war der Grund, dass der italienische Komponist Zeit und Muße für das vierstimmige Streicherwerk fand. Er komponierte es aus Langeweile, behaupten manche.
Wenn Norma schönste Gesangslinien flötet, obwohl ihr eigentlich vor Schmerz die Stimme brechen müsste - dann ist das Belcanto. Eine ganze Opernepoche in der eines am wichtigsten ist. Kunstvoller Gesang. Bekannteste Vertreter: Rossini, Bellini und Donizetti. (MH) ↩
Giuseppe Verdi
Über Langeweile kann sich Christian Tetzlaff hingegen sicher nicht beklagen. Dennoch machte sich der vielbeschäftigte Geigenvirtuose im vergangenen Jahr bei Lars Vogts Festival „Spannungen“ trotzdem gemeinsam mit den Kollegen Florian Donderer, Bratschist Hartmut Rohde und Maximilian Hornung am Violoncello an dieses Werk. Nun liegt die Liveaufnahme auf CD vor. Während das Quartett 117 über weite Strecken klingt wie ein spätes Beethoven-Werk oder eher ein besonders experimentierfreudiger Mendelssohn, kann es sich Verdi nicht verkneifen, auch eine Art Wasserzeichen ins Scherzo einzubauen. Da spielt das Cello von Hornung dann plötzlich eine Gesangslinie – wobei er es zum Glück nicht mit dem Schmelz, übertreibt – während seine Kollegen ein Pizzicato-Bett bilden. In der abschließenden Fuge 47 kommt jeder zu seinem Recht. Rohdes Viola darf ausbrechen, er spielt dabei aber eher einen galanten denn einen knatschigen Bratschenton, Tetzlaff und Donderer zügeln sich gegenseitig in den Wettläufen. Spaß ja, aber in Maßen!
Die vier Musiker rücken Verdi in die Nähe der klassischen Vorbilder, sehr schlank und agil. Der Ton ist trocken und immer unmittelbar präsent. Dazu trägt, auch beim 10. Dvořák-Streichquartett im zweiten Teil der Aufnahme, die wunderbare Klangqualität der Liveaufnahme bei. Weniger Schmelz und umso mehr Power. Und Langeweile kommt da nirgends auf.
Was für eine barocke Rollenverteilung! Der Dux schreitet ins Stück, er übernimmt die Führung, bis der Comes sein Thema aufnimmt und sich mit der vorgestellten Melodie unter ihn schichtet, während der Dux fortfährt. Beide können nicht ohne einander und nähren sich vom anderen. (CW) ↩
Sitzen vier Musiker zusammen und spielen nein, nicht Karten, sondern ein Quartett. Die kleine Form ist flexibel und klingt trotzdem ausgewogen. Vor allem das Streichquartett gilt unter Komponisten als Königsdisziplin. Viele nutzten sie als Experimentierwerkstatt, in der sie bahnbrechende Ideen im Kleinen ausprobieren konnten. (AJ) ↩