Von Christopher Warmuth, 25.07.2016

Dressurverweigerung

Sie muss einfach beratungsresistent sein! Simone Kermes – die vielleicht durchgeknallteste Klassiksängerin dieser Welt – macht, was sie will und nimmt manchmal ein Fettnäpfchen mit. Die einen finden das peinlich, die anderen lustig. Vielleicht sollte man diesem Eigenwillen in einer glattgebügelten Klassikwelt den höchsten Respekt zollen.

Sie ist einfach kein braver Rassepudel, der Sitz und Platz macht, wenn man es verlangt. Simone Kermes liebt quietschbunte zerrupfte Barock-Kleider, die vorne bis übers Knie offen stehen und hinten eine Schleppe nach sich ziehen, Glitzerpumps und obskure Frisuren. Das ist zur erfrischenden Abwechslung keine Werbemaschinerie – die würde sie manchmal am liebsten davor schützen – nein, Simone Kermes setzt sich etwas in den Kopf und macht es dann eben genau so. Ohne Kompromiss.

Es gibt viele Klassik-Hörer, die das mit Fremdscham sehen, als peinlich und intellektuell zu dürftig empfinden. So ein Quatsch! In den heutigen Zeiten der hochkulturellen Pudelvermarktung sehen beinahe alle gleich aus, haben im Grunde das gleiche Image. Eine Künstlerin wie Kermes schert da aus, zeigt Farbe, tritt manchmal in einen Fettnapf, aber tut das so authentisch und beherzt, dass es entzückend ist. Sie betreibt in gewisser Weise Klassik-Hygiene, weil sie dem Apparat die bedeutungsschwangeren Reflexe nimmt.

Denkt man an ihre Aufnahmen, geht einem das Herz auf. An das chronische Tonschleifen muss man sich gewöhnen, sie reizt alles bis zur Überspannung aus. Manchmal ist sie ein bisschen zu tief, manchmal schleppt sie etwas. Aber es gibt da diese unfassbaren Momente, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Diese Gabe ist selten, darauf lohnt es sich zu warten. Bei der Aufnahme von „Così fan tutte“ mit Teodor Currentzis und seiner Ritengemeinschaft aus dem tiefsten Russland hat Kermes einen solchen Moment geschaffen. Die folgende Arie sollte man ganz hören und am besten nichts sonst dabei tun. Sie hat die Gänsehautgarantie!



Aber nach so viel Geschwärme geben wir zu, dass sie natürlich auch Bedenkliches abliefert. Beim folgenden Duett mit Vivica Genaux muss man aber im Hinterkopf behalten, dass sich wohl sonst niemand trauen würde, so etwas tatsächlich öffentlich aufzuführen. Ein ABBA-Crossover-Cover – oder was immer das ist – nach einem Barock-Abend erfordert Mut. Mut zur Demontage, der Klassik und sich selbst.



© Monika Ritterhaus/www.simone-kermes.de
© Markus Nass/BVMI


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