Von Leah Biebert, 22.10.2019

Stark besaitet

Wer den Zeichentrickfilm Aristocats kennt, der weiß genau: Katzen und Musikschüler lernen ihre Tonleitern am besten am Klavier. Leah Biebert hingegen findet, dass Saiten auch sehr gut ohne Hämmerchen auskommen.

Saiteninstrumente haben für mich ja etwas katzenhaftes an sich. Ihr Klang ist weich und geschmeidig, manchmal aber auch etwas kratzbürstig, widerspenstig, ähnlich wie der der menschlichen Stimme. Genau das macht die Musik so vielseitig und aufregend. Das Klavier mit seinem harten, unnachgiebigen Anschlag kann da gar nicht mithalten. Deshalb hat es bei meinen Lieblingsstücken auch nicht viel verloren.

Nur für meinen ersten Titel muss ich es noch einmal zu Hilfe nehmen. Denn ich beginne meine Playlist wie Carl Orff seine Carmina Burana: mit dem berühmten O-Fortuna-Chor, der von einem riesigen Orchester inklusive zweier Klaviere begleitet wird. Ein gewaltiger Sog geht von dem Stück aus, eine unbändige Kraft. Von der Werbeindustrie wurde es daher rücksichtslos ausgeschlachtet, seine Rezeption überlagert mittlerweile den eigentlichen Gehalt der Musik. Sie ist ein Mit- und Gegeneinander von Sprachdeklamation und instrumentalen repetitiven Figuren und entwickelt eine Spannung, der man sich nicht entziehen kann, egal wie oft man das Stück schon gehört hat. Carl Orff greift Elemente aus der mittelalterlichen Gregorianik 275 und der Opernästhetik der Renaissance auf, schafft aber auf der Basis des Elementaren und mit der Dominanz von Rhythmik und Perkussion eigene Schwerpunkte. Für mich sind die „Carmina Burana“ ein Paradebeispiel dafür, welch enorme Wirkungen ein Komponist mit den einfachsten Mitteln erreichen kann.

Einfach gehalten ist auch das Divertimento in F-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart, Gute-Laune-Musik für die leichten Tage im Leben. Das Fehlen von konzertanten Einflüssen, der homogene Klang in den einzelnen Sätzen und die einfachen harmonischen Kadenzen weisen in den Kreis der Kammermusik. Im Allegro wirbeln die Streicher fröhlich umeinander, nur um sich in den kantablen Passagen wieder aneinander zu schmiegen. Das Stück ist von einer Verspieltheit, für die man sich einfach begeistern muss. So auch Antonio Vivaldis Mandolinenkonzert in C-Dur, vor allem, wenn es mit so glasklarer Prägnanz gespielt wird wie vom Venice Baroque Orchestra.

  1. "Erfunden" von und benannt nach Papst Gregor dem Großen im 6. Jahrhundert, bezeichnet der gregorianische Choral den einstimmigen, ursprünglich unbegleiteten liturgischen Gesang der römisch-katholischen Kirche in lateinischer Sprache. Qui habet aures audiendi, audiat!

Itʼs just a jump to the left!

Katzen gibt es in der Rocky Horror Picture Show zwar nicht (und die erhobenen Schwänze sind von einer ganz anderen Art), dafür aber jede Menge Exzentrik, Strapse und einen Haufen Ohrwürmer. Der Kultfilm der siebziger Jahre ist bizarrer Grusel-Pop, ein turbulentes Science-Fiction-Drama und gehört ins Repertoire eines jeden Musical-Liebhabers.

Nach dem Ausflug ins Transvestitenparadies katapultiert uns der Time Warp ins 20. Jahrhundert: Selbst Vivaldi kann den Herbst nicht passender zum Klingen bringen als Leo Brouwer mit der Gitarre. Un Dia de Noviembre ist voller Melancholie, voll wohlig-warmer Schmermut, wie sie nur die trübe Jahreszeit mit ihren Nebelschleiern und feuchten Blättern herbeizaubern kann.

Und mit dem Stabat Mater 212 sind wir dann voll im Katzenjammer angelangt. Giovanni Battista Pergolesi vertonte das mittelalterliche Gedicht kurz vor seinem Tod mit 26 Jahren, es erzählt vom Schmerz der Mutter Jesu angesichts ihres gekreuzigten Sohnes. Eine Kreuzfigur am Anfang der Gesangsphrasen, Sekundreibungen mit Auflösung nach unten, ein Septimsprung als Schmerzensschrei: Pergolesi setzt die Klötze aus dem Baukasten der Affektenlehre 6 zusammen wie nach dem Lehrbuch. Es gibt Gänsehaut, wenn der satte Streicherklang klagend anschwillt, wenn Sopran und Alt dazu ihr Leid seufzen.

  1. Absteigende, kleine Sekunde=Schmerz, Dreiklang=Freude und Erregung. Komponieren als Baukastensatz? Aber so ganz simpel wird das Ganze dann meist doch nicht umgesetzt.Im Barock zur vollen Blüte gebracht, funktioniert diese "berechnende" Kompositionsmethode tatsächlich auch noch heute wunderbar. (MH)

  2. Schmerz, Leid und Trauer haben sich in Marias Gesichtszüge eingegraben. Die trauernde Mutter Gottes war schon im Mittelalter eine Ikone. Das Gedicht Stabat mater dolorosa („Es stand die Mutter schmerzerfüllt“) wurde zu ihrem Klagelied. Die gregorianische Choralmelodie inspiriert Komponisten bis heute zu düsteren Chorwerken. (AJ)



Epilog: Kenner meiner musikalischen Vorlieben werden ihn schon vermisst haben. John Williams, dem Maestro der Filmmusik, gebührt die Ehre, meine Playlist zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Man reiche ihm die Katzenminze!

© pixabay


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