Von Konrad Bott, 23.05.2019

Moisej? Nie gehört ...

Endlich macht`s mal jemand: ein Mieczisław Weinberg-Festival! Das Jewish Chamber Orchestra Munich setzt sich für die Werke des vielseitigen Komponisten ein. Leicht ist das nicht.

Mit hochrotem Kopf streicht und raspelt die Cellistin über die Saiten, zieht, zupft, schnipst. Mieczisław Weinberg, Sonate für Cello solo, komponiert 1969. Musik, die sich mit jeder Note zwischen die weißen Stühle im Auditorium des NS-Dokumentationszentrums in München setzt. Sie ist diffizil und mitreißend, irgendwie traditionell und doch extrem progressiv. Es ist gute Musik, die man viel zu selten hört. Deshalb hat sich das Jewish Chamber Orchestra Munich (kurz: JCOM) dazu entschieden, erstmals das einwöchige Weinberg-Festival ins Leben zu rufen. Die Frage, weshalb Weinbergs Werke nicht öfter auf Konzertprogrammen erscheinen, ist schnell beantwortet: Sein Name ist nicht bekannt genug, und Konzertveranstalter haben schlichtweg Angst vor leeren Kassen. Die selbe Angst zeigt sich allgemein bei zeitgenössischem Repertoire, der Nische in der Nische sozusagen. Interessanter ist die Frage: Warum hat sich Mieczisław Weinberg trotz seiner großartigen Kompositionen nie zu den ganz Großen zählen können?

Auf der Dachterrasse des Kulturhauses Milbertshofen sitzt Daniel Grossmann, der Dirigent des JCOM, mit gebeugtem Rücken an einem Tisch. Dabei wirkt er nicht in sich zusammengesunken, sondern eher gespannt, als wolle er vermeiden wie eine Stahlfeder plötzlich auseinander zu springen. „Es ist immer schwer zu sagen“, meint er und tippt sich an seine runde kleine Brille, „warum Komponisten den Durchbruch schaffen oder nicht. Bei Weinberg ist es, denke ich, in seiner Person begründet, dass er wohl ein sehr zurückhaltender, scheuer Mensch war. Außerdem stand er, wie sein Freund Schostakowitsch auch, unter Stalins Knute. Dass er noch dazu polnischer Jude war, hat dem sowjetischen Komponistenverband nicht gepasst, die haben ihn permanent klein gehalten.“ Sicher, man könnte Mieczisław Weinbergs Leben als Paradebeispiel des von allen Regimen verhassten jüdischen Künstlers museal aufbereiten, aber in diesen Tagen geht es Grossmann und dem Orchester um das, was der schüchterne Workaholic Weinberg musikalisch hinterlassen hat.

Dirigent Daniel Grossmann im Interview

„Auf der einen Seite“, sagt Grossmann, „hat es bis jetzt sicher geholfen, dass Weinberg über die Tragik seiner Biografie ein bisschen in die Öffentlichkeit gerückt ist. Aber ich beobachte es bei einigen Komponisten, gerade denen, die Opfer der Verfolgung durch die Nazis geworden sind, dass sie dann ausschließlich in diese Ecke gestellt werden. Keiner führt ihre Werke einfach nur so auf, sondern es wird immer gleich ein Statement daraus gemacht. Ich hoffe, wir schaffen das mit unserem Ansatz zu umgehen.“ Natürlich kann und soll man Weinbergs Biografie nicht völlig ausblenden, wenn man dem Festival-Publikum ein möglichst umfassendes Bild vermitteln möchte, deshalb wurden zwei Gesprächskonzerte als Eckpfeiler geplant. Bei denen wird durch informative, kurze Vorträge ein Eindruck von der Person Mieczisławs vermittelt, der in seiner unfreiwilligen russischen Heimat nurmehr Moisej genannt wurde.

Mieczisław Weinbergs Leben in Kürze

Daniel Grossmann gelingt es, innerhalb einer Woche eine Auswahl von Werken zusammenzustellen, die exemplarisch das breite, facettenreiche Schaffen des Komponisten wiedergeben: Solostücke, Kammeroper, Orchesterstücke und Arbeiten für kleinere Ensembles und den 1958 in Cannes geehrten Film „Die Kraniche ziehen“, zu dem Weinberg die Musik beisteuerte. „Ich glaube, für Weinberg waren die Film- und Zirkusmusiken ein finanzielles Standbein und eine Freiheit, die er durchaus geschätzt hat. Aber dass er dabei künstlerisch großartig gewachsen ist, kann ich mir nicht vorstellen,“ sinniert Grossmann. Weinberg hatte nicht nur für Spielfilm-Dramen komponiert, sondern z. B. auch für die sowjetische Zeichentrickverfilmung von A. A. Milnes „Winnie The Pooh“, die sich übrigens sehr viel näher am Buch orientiert als die spätere Disney-Adaption.



Grossmann sieht nervös in Richtung der großen Glastür, in ein paar Minuten gehen die Proben zur Kammeroper „Lady Magnesia“ weiter, und es gibt noch viel zu tun. Die Aufführung am 23. Mai in den Kammerspielen München markiert die Halbzeit des Festivals. „Diese Oper ist total verrückt!“, erklärt der Dirigent, und seine drahtigen Locken tanzen im Wind wild umher. „Die Spannung zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Witz und Tragik. Das wechselt oft taktweise! An einer Stelle hat Weinberg ein Jazz-Schlagzeug eingebaut, und dort sind nur Kringel in die Partitur gemalt. So unter dem Motto ‚spiel mal Jazz!‘" Die meisten Stücke verlangen den Musikern nicht nur in der klanglichen Flexibilität einiges ab, sondern sind auch technisch hoch anspruchsvoll. Im Solo-Repertoire, wie in der Cello- oder Violin-Sonate, merkt man, dass Unsicherheiten oder falsche Töne sehr wohl auch in atonalen, rhythmisch verschrobenen Stücken auffallen. Beim Eröffnungskonzert erkennt jeder schnell, welche Musiker bereits genug Solo-Routine mitbringen, um die Stücke in all ihrer gnadenlosen Deutlichkeit souverän zu interpretieren. Alle aber stellen sich gekonnt hinter die Stücke, präsentieren die Musik und nicht sich selbst. Das erhabene Gefühl, einer Uraufführung beizuwohnen, stellt sich ein. Irgendwie ist es auch eine.

Die Hälfte der Stühle frei. Ernsthaft?

Eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Das Publikum dieses Abends ist wundervoll gemischt. Fans und Neugierige, Nerds und Noobs aller Altersklassen haben sich eingefunden. Die schlechte: Das ohnehin kleine Auditorium im Keller des NS-Dokumentationszentrums ist nur halb gefüllt. In München. Ernsthaft? Geht man davon aus, dass die Hälfte der Zuhörer aus dem Bekanntenkreis der Musiker – respektive der jüdischen Gemeinde – bestehen, ist das beschämend. Sowohl die Musiker, als auch die Kompositionen Weinbergs haben deutlich mehr verdient! „Ich kann nicht mehr machen, als die Musik aufzuführen“, stellt Daniel Grossmann fest. Und auf die Frage, ob er mit der bisherigen Erfahrung nächstes Jahr ein zweites Weinberg-Festival ansetzen würde, seufzt er: „Also im Moment würde ich sagen: nein.“ Und dann, indem er sich ohne seine Anspannung zu verlieren leicht zurücklehnt, fügt er hinzu: „Aber es soll jetzt mal anlaufen, und vielleicht bin ich dann so high davon, dass ich unbedingt gleich das nächste Festival brauche.“ Hoffentlich ist es nur der Probenstress, der aus dem Dirigenten spricht. Denn das Konzept des Festivals, die Spielstätten, die Musiker und vor allem Mieczisław Weinbergs Kompositionen sind ein wahres Geschenk an alle, die ihr Leben durch Musik bereichern lassen möchten.

© Olga Rakhalskaya
© Tommy Persson
© JCOM / Thomas Dashuber


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