Von Malte Hemmerich, 22.11.2018

Vom Leben neben der Kunst

Was bedeuten Musikwettbewerbe heute noch? Und können sie jungen Pianisten eine Karriere garantieren? Wir haben mit Luca Buratto gesprochen, der vor drei Jahren den Honens-Klavierwettbewerb in Calgary gewann und der mittlerweile nicht mehr im Fokus der Musiköffentlichkeit steht.

Alle drei Jahre wird Calgary im Westen Kanadas zur Klavierwettbewerbsstadt. Pianisten aus der ganzen Welt kämpfen um eines der höchsten Preisgelder für Musikwettbewerbe. Gesucht wird hier beim Honens-Wettbewerb, der nach seiner Stifterin Esther Honens benannt ist, der komplette Künstler, das heißt, der Pianist soll virtuos überzeugen, aber auch ebenso gefühlvoll Kammermusik und Sänger begleiten.
Der italienische Pianist Luca Buratto gewann den letzten Klavierwettbewerb 2015 und spielt auch einige Auftritte bei der diesjährigen Auflage. Die letzten drei Jahre tingelte er meist durch mittelgroße Konzerthallen. Eine Bilderbuchkarriere sieht anders aus. Dabei ist Buratto ein intelligenter Kopfkünstler, wählt sein Programm weise und spricht so leise, dass man fast nichts versteht. Kann ein Klavierwettbewerbgewinn keine Karriere garantieren, selbst wenn man ein so besonderer Typ ist?

niusic: Die alte Frage: Musik und Wettbewerb, kann das klappen?

Luca Buratto: Klar, es ist hart, Kunst zu bewerten. Im letzten Jahrhundert waren Musikwettbewerbe wichtig, allein schon, weil sich die ganze Industrie da eingeklinkt hat. Es hat sich viel verändert. Heute machen junge Pianisten Karriere, ohne bei Wettbewerben gespielt zu haben, der Markt ignoriert diese Wettstreits teilweise. Vielleicht weil sie nicht mehr wirklich in der Realität stattfinden. Oft bestehen die Jurys aus Lehrern, die selbst gar nicht mehr spielen...

niusic:..und die manchmal sogar ihre eigenen Studenten durchschleusen?

Buratto: Das kann sein, ich will es nicht bestreiten. Aber ich erlebe es, auch in Masterclasses, wo diese Professoren Musik hören und beurteilen und eine ganz andere Sicht auf die Dinge haben, als die Veranstalter und Produzenten, die ganz andere Punkte interessiert.
Aber die Zukunft von Musikwettbewerben ist interessant. Sie müssen sich wieder mit dem Markt verbinden. Meiner Meinung nach ist das der Schlüssel: durch Reputation des Wettbewerbs Manager und Produzenten anlocken.

niusic: Der Honens-Wettbewerb verspricht neben 100.000 Dollar Cash auch ein Förderprogramm, wie sah das aus?

Buratto: Weltweite PR, professionelle Bilder, eine Website, organisierte Konzertdebuts präsentiert von Honens und meine erste CD mit Hyperion.

niusic: Und was macht den Wettbewerb selbst attraktiv?

Buratto: Es kommen nur zehn Leute in die Finals. Das ist sehr familiär. Auch das Repertoire ist übersichtlich. Nicht drei Rezitals oder dergleichen Unrealistisches, wo man nur sieht, wer nicht umfällt.

niusic: Hier musst du stattdessen auch Kammermusik spielen, einen Liedsänger begleiten. Ist das ein gutes Konzept, diese Vielseitigkeit vorauszusetzen?

Buratto: Ja , zumindest für mich. Nicht für alle. Aber das weißt du, wenn du dich hier anmeldest.

niusic: Und ein Konzertpianist muss auch Kammermusik spielen?

Buratto: Denke schon. Entweder bist du ein guter Musiker, oder eben nicht.



„Dann Aufpassen, dass du nicht noch soviel Neues lernen musst, sonst kann das Leben zum Albtraum werden."

Luca Buratto

niusic: Ist der Markt für Pianisten besonders hart?

Buratto: Ja. Das Instrument spielen eben mehr Leute als andere, und es klingt einfach recht schnell gut. Außerdem ist da immer noch dieser Zirkus ...

niusic: Alle wollen den virtuosen Star?

Buratto: Ja, die Nachfrage richtet sich nicht danach, wer gut spielt, sondern wer sich gut darstellt. Wir sind in der Ära des Show-off. Das vorherige Jahrhundert war vielleicht besser im Beurteilen musikalischer Qualität.

niusic: Was braucht der gute Pianist von heute denn?

Buratto: Ich glaube nicht, dass die von der Bühne belehrende Methode für immer anhalten wird, also dass da einer sitzt und spielt. Das ist doch der Grund fürs schrumpfende Publikum. Wir müssen einfach akzeptieren, dass wir im Endeffekt nicht mehr als Entertainer sind. Das Problem sind die heutigen Klassik-Superstars mit ihren absurden Gagen, deren Name allein eine Halle ausverkauft. Die müssen gar nichts mehr hinterfragen, am wenigsten ihre Rolle gegenüber dem Publikum.

niusic: Ihr Musiker und Virtuosen seid also keine Wunder?

Buratto: Ein Instrument gut spielen zu können, ist nichts Wichtiges. Wir sind keine Ärzte, die Leben retten.

niusic: Aber Musik kann die Gesellschaft verändern, sagen manche.

Buratto: Meine Ideen und Ansichten von Politik und Leben spiegeln sich nicht in meinem Spiel.

niusic: Du wirkst sehr verkopft.

Buratto: Ja.

niusic: Aber Musik hat auch mit Gefühl zu tun oder?

Buratto: Natürlich sind Gefühle da, offensichtlich. Unsere Pflicht ist es aber, zuerst das Werk zu respektieren und zu verstehen. Ein Bild im Museum nimmst du auch nicht und machst damit, was du willst. Wir müssen den Genies von damals dankbar sein. Natürlich brauchen sie uns. Aber wir sind eher Diener. Und Notenlesen hat nichts mit Gefühl zu tun.
Dann sind da die Manager, die wiederum aufs Gefühl hören und Musiker danach aussuchen. So als dürften wir nicht allein entscheiden, was zu tun ist ...

niusic: Du bist offensichtlich nicht einverstanden mit dem Musikbusiness?

Buratto: Aber nur, weil ich mich auskenne. Wäre ich Wissenschaftler, würde ich das Unisystem kritisieren. Naja, ich versuche zu sein, wie ich bin und meine Vision zu behalten.

niusic: ... die du auch im Programm immer unterkriegst?

Buratto: Nun, du schlägst Veranstaltern etwas vor und musst dann meist noch etwas umstellen. Dann aber Aufpassen, dass du nicht noch soviel Neues lernen musst, sonst kann das Leben zum Albtraum werden.

niusic: Bist du glücklich damit, Pianist geworden zu sein? Also beruflich ganz und gar Kunst zu machen?

Buratto: Ich weiß das nicht. Glück und Kontrollverlust liegen da so nah zusammen. Einerseits sind da die kontrollierbaren Dinge: Wie viel du übst, was du spielst. Aber dann sind da die Leute, die hundert Konzerte im Jahr spielen. Wie sollen die noch Kontrolle haben? Es muss doch auch noch ein Leben neben der Kunst geben!

© Colin Way


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