Von Felix Kriewald, 17.10.2020

Mehr als müde

Pianist, Aktivist, Ordensträger – Igor Levit ist schon lange mehr als nur ein Musiker. Deshalb darf man aber nicht eine vermeintliche Künstlerkritik als Deckmantel für einen gezielten Angriff auf die Person Igor Levit nutzen. Die niusic-Kolumne von Felix Kriewald.

Man kann von Levits Twitterpräsenz natürlich erst einmal halten, was man will. Sein Engagement gegen Rechts loben. Genervt sein, dass er zu jedem Thema etwas zu sagen hat. Die Hauskonzerte während des Corona-Hochs im Frühjahr genießen, oder auch infrage stellen.

Es darf auch jede:r eine eigene Meinung zu Levits Klavierspiel haben. Doch sollte man Künstler und Privatperson stets getrennt halten, wenn es um eine reine musikalische Bewertung geht.
Igor Levit nutzt seine Reichweite, die er sich zunächst als Pianist erarbeitet hat, um politische Statements ins Internet zu setzen. Und das ist völlig legitim. Sein stetiger Kampf gegen den Antisemitismus ist einer der Gründe, warum Levit kürzlich das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. Dass dies beispielsweise der AfD sauer aufstößt, ist wenig verwunderlich. Erschreckend ist jedoch, was nun in der Süddeutschen Zeitung stand.

Autor Helmut Mauró nutzt einen fadenscheinigen Vergleich mit Daniil Trifonov und ein unbegründetes Grübeln über Levits Aktivismus, um ihn als Künstler zu diskreditieren. Das Schlimmste: Er greift Levit als Person jüdischen Glaubens direkt an und betreibt klassisches Victim Blaming.

Hier die Kernthesen aus Maurós Text im überspitzten Schnelldurchlauf:

Levit ruht sich auf seiner Opferrolle als Jude in Deutschland aus und jammert nur herum. Seine Beethoven-Gesamtausgabe ist irrelevant. Der Trifonov hält sich auf Twitter bedeckt und spielt auch sowieso viel besser. DAS ist ein wahrer Künstler. Legato!

Dazu kommen Vorwürfe der Hochstaplerei, der Undankbarkeit gegenüber Deutschland und viele weitere problematische Ansätze, die, wenn genau unter die Lupe genommen, ein latent antisemitisches Licht auf den Verfasser werfen.

Es ist eine Sache, seine Pianisten-Präferenzen offen zu kommunizieren. Es ist eine andere, das Privatleben eines Pianisten zu nutzen und mit mehr als fragwürdigen Bewertungen dessen ihm seine künstlerische Integrität abzusprechen. Dieser Text liest sich nicht wie eine Kultur-, geschweige denn Künstlerkritik, vielmehr bekommt man das Gefühl, der Autor habe eine persönliche Fehde mit Levit und möchte ihn um jeden Preis vor den Kopf stoßen. Daniil Trifonov hat mit der ganzen Geschichte hier absolut nichts zu tun. Es ist beschämend und macht müde, wie Levit selbst wohl treffend über diesen Affront twittern würde.

Auf seiner Heimplattform bekommt Igor Levit bereits Unterstützung und Solidarität, auch BR-Redakteur Bernhard Neuhoff hat sich deutlich positioniert. Am Ende des Tages ist jedoch ein unmöglicher Artikel durchs Land gegangen, mit gezielt gewählten Worten, die eine:n fassungslos zurücklassen:

Inzwischen hat die SZ eine, um es mit Maurós Worten auszudrücken, "eher unerhebliche" Stellungnahme zu ihrem Artikel veröffentlicht. Statt sich für den Schaden zu entschuldigen, wird bloß beschwichtigt, die Verunglimpfung Levits oder gar des Judentums seien nie Ziel des Autors gewesen. Passiert ist es dennoch. Alles, was in diesem Artikel schiefläuft, wird damit entschuldigt, dass es sich immer noch einfach um Musikkritik handle. Es gibt vielleicht keine einheitliche Definition des Begriffs Musikkritik, aber existieren doch einige Regeln, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Dieser Text missachtet sie.

© Daniel Hofer
© Klavier-Festival Ruhr


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