niusic: Die zivilgesellschaftliche Welt steht Kopf – Stichwort Donald Trump und Brexit. Wie sieht es in der kulturellen Welt aus?
Prof. Christian Höppner: Ich erlebe sehr viel Positives. Im Zusammenhang mit England wirkt der Brexit wie ein Kontaktbeschleuniger auf der kulturellen Ebene beider Länder. Das ist auf der professionellen Ebene und auf der Amateurmusikszenenebene erkennbar. Uns ist allen klar, dass wir den Austausch extrem verstärken müssen. Und das gilt auch für die USA, wobei ich da deutliche Vorbehalte sehe, nicht nur wegen Donald Trump, sondern auch, weil die Gesellschaft dort extremer gespalten ist.
niusic: Was bereitet Ihnen persönlich die größten Sorgen?
Höppner: Donald Trump macht mir Angst. Ich will ihn nicht dämonisieren, aber dass ein pubertär 13-Jähriger in der Hülle eines alten Mannes an so eine Position kommt, das ist mehr als bedenklich. Und das Erschreckendste: Er wurde gewählt. Für uns steht jetzt an erster Stelle, dass wir die Entwicklung in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern genau betrachten und dort entgegensteuern. Wir müssen auch die Menschen, die politisch für Austritte und Populisten stimmen, erreichen. Falls in Frankreich Marine Le Pen tatsächlich gewinnen wird, dann wird sie aus der EU austreten wollen. Mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden ist es nichts anderes. Trump hat bewiesen, dass selbst absurdeste Wahlversprechen umgesetzt werden sollen.
niusic: Wenn der Brexit bisher vor allem positive Auswirkungen hat, warum sollte das nicht auch bei Frankreich und den Niederlanden der Fall sein?
Höppner: Es gibt viele negative Punkte. Ganz simple Dinge: Die Einreise wird erschwert, dadurch müssen Visa beantragt werden, die einfach Zeit und Geld kosten. Die Reisefreiheit wird wegfallen, von Arbeitserlaubnis mal ganz zu schweigen.
niusic: Marine Le Pen sagt ja, dass sie Ausländer in Frankreich nur arbeiten lassen will, wenn diese eine saftige Extrasteuer bezahlen. Dadurch sollen Franzosen immer bevorzugt sein ...
Höppner: Das sind die Gefahren: Protektionismus, Nationalismus und Engstirnigkeit. Ich will einmal betonen, dass wir seit 2005 in eine gegengesetzte Richtung gesteuert sind mit dem Abschluss der UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt. Diese ist völkerrechtlich verbindlich und von über 140 Nationen ratifiziert worden. Das hat genau den entgegengesetzten Wunsch gehabt, eben gegen Nationalismus und gegen Protektionismus. Es geht um die Vielfalt in den jeweiligen Ländern vor Ort, aber auch den Austausch zwischen den Kulturen. Das zeigt, in welch rasantem Tempo der gesellschaftliche Wandel abläuft. Vor 12 Jahren wollten wir noch mehr Austausch, jetzt Protektionismus.
niusic: Aber das ist ja keine Entscheidung der Zivilgesellschaft gewesen, so würden es jedenfalls die Populisten sehen. Da hat ja das böse Establishment entschieden, gegen den Volkswillen ...
Höppner: (lacht) Das stimmt natürlich. Diese Entscheidungen werden ja aber für die Bevölkerung getroffen. Der Mensch ist von Natur aus neugierig und will neue Dinge kennenlernen. Und ich meine da wirklich eine kulturelle Vielfalt, das ist keine Genrefrage, sondern ein breitenwirksames Bild von Kultur. Es gibt aber Tendenzen, dass wir uns das selbst aberziehen, in den Schulen wird das sogar noch befördert. Und zeitgleich zu diesem Abtrainieren von Neuartigem erzielen Populisten Erfolge mit einfachen Antworten.
niusic: Soll denn Kultur nicht gerade trainieren, dass wir uns mit komplexen Sachverhalten adäquat auseinandersetzen? Wurde das zu wenig kommuniziert?
Höppner: Das ist mein Lieblingsthema. Da bin ich richtig wütend über das, was in der Bildungspolitik, speziell im Fokus der kulturellen Bildung, passiert. Da wird eben die Neugierde ausgetrieben.
niusic: Ist das im Musikbetrieb nicht auch so? Die Konzerthäuser und Theater wollen ein volles Haus, und die Marketingstrategien konzentrieren sich meistens auf das Verschachern von großen Starnamen und weniger auf den Inhalt selbst?
Höppner: Das ist sehr pauschal. Die Ökonomisierung der Kunst ist definitiv eine Richtung, die wir abfedern sollten. Kulturelle Einrichtungen nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten, ist kurzsichtig und wird in die Sackgasse führen. Und bei der Kommunikation rückt immer mehr die Hülle in den Vordergrund, weniger der Inhalt.
Der Mann mit der roten Fliege
niusic: Was haben die kulturellen Eliten denn falsch gemacht?
Höppner: Wir haben zu wenig investiert in den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Das muss ein vordringliches Ziel von uns werden, vor allem langfristig.
niusic: Für mich wird an der Sache vorbeidebattiert, wenn man von Oben und Unten, von Elite und vom Volk, spricht. Ist es nicht vor allem das Gefälle zwischen Land und Stadt, was ja auch beim Brexit und bei Trump zum Ausdruck kam? Vor allem die ländliche Bevölkerung hat jeweils dafür gestimmt. Natürlich leben wir in Deutschland in einem sehr kulturreichen Land, aber es sind vor allem die Städte, die ein großes Angebot haben ...
Höppner: Im ländlichen Kulturraum wurden viele Dinge versäumt. Keine Frage. Ich bin im Moment zum Thema „Musikland Deutschland: Kultur vor Ort“ auf einer Rundreise, um einen Eindruck zu bekommen, was dort verbessert werden muss. Es ist auf der einen Seite sehr schön zu sehen, mit wie viel Kreativität, Engagement und wenigen Mitteln da nachhaltige Kulturarbeit umgesetzt wird. Es ist nur erschreckend, wie wenig das oft auf der Tagesordnung von Landkreisen und von Länderregierungen steht. Das ist ein deutliches Missverhältnis und ein Versäumnis von den letzten Jahrzehnten. Bei allen Unterschieden zwischen den Ländern hängt das natürlich mit der immer noch gravierenden Unterfinanzierung der Bildungs- und Kulturarbeit in den Ländern und vor allem den Kommunen zusammen. Hier bedarf es des noch stärkeren finanziellen Engagements des Bundes.
niusic: Wie soll es in den nächsten 20 Jahren weitergehen?
Höppner: In Deutschland müssen wir die kulturelle Infrastruktur kritisch hinterfragen, verbessern und weiterentwickeln ...
niusic: Was würden Sie verändern?
Höppner: Die Kulturförderung ist eine öffentliche Aufgabe, in öffentlicher Verantwortung und damit auch in überwiegend öffentlicher Finanzierung. Das schließt privates Engagement oder die Kofinanzierung mit ein. Wo öffentliches Geld dahintersteckt, muss es auch das Recht geben, dass hinterfragt wird. Der gesellschaftliche Konsens für diese öffentliche Förderung schmilzt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Im Kulturbetrieb wird häufig ökonomisch, statt mit der gesellschaftspolitischen Wirkung argumentiert. Das ist eine Sackgasse.
niusic: Welche Argumente möchten Sie nicht mehr hören?
Höppner: „Wir können froh sein, wenn wir nicht gekürzt werden.“ Eine solche Aussage ist in der viertreichsten Industrienation der Welt absurd! Und vielleicht sollten wir weniger auf neue Projekte setzen, sondern auf Kontinuität und Graswurzelarbeit. Wir dürfen die Probleme nicht mit Aktionismus überdecken, sondern müssen langfristige, ja eher die langsamen Wege gehen.