Von Christopher Warmuth, 10.02.2017

Allianz der Musiker?

Wie politisch sind die schönen Künste? Diese Frage, fast so alt wie die Künste selbst, könnte in Zeiten von Politikverdrossenheit, Trumpisierung und Euro-Exits wieder einmal gestellt werden. Aber anders: Wie politisch sollten Künstler eigentlich sein?

Alban Gerhardt, einer der bekanntesten Violoncellisten unserer Zeit, hat ganz still und leise, ohne großen Medienprofilierungsrummel, sein Haus für Geflüchtete geöffnet. Ein halbes Jahr lebte ein Ehepaar aus Syrien bei ihm in Berlin, seit einem knappen Jahr eine Afghanin.

niusic: Alban Gerhardt und die Zeiten der sogenannten Flüchtlingskrise – Was wird in diesem Kapitel in deiner Biografie stehen?

Alban Gerhardt: (lacht) Bisher ist keine Biografie geplant, und ich bin sicher, dass das auch so bleiben wird.

niusic: Bleiben wir beim fiktiven Szenario ...

Gerhardt: Na gut. Da würde stehen, dass mein Bild von Flüchtlingen fundamental korrigiert wurde. Meine Frau und ich wollten helfen und als Vormund unbegleitete Flüchtlinge unterstützen. Dazu braucht man eine Ausbildung, und die Wartelisten dafür waren am Anfang der Zuwanderung sehr lang. Es gab einfach zu wenige Ausbilder. Deshalb haben wir uns dann bei einem Mentoren-Programm angemeldet und zeitgleich in einem Internetportal, und dann ist bei uns ein syrisches Ehepaar eingezogen. Also der Mann hat in Abu Dhabi gearbeitet, und durch den Krieg ist sein Visum außer Kraft gesetzt worden und er hätte zurück gemusst oder in einem ganz furchtbaren Job arbeiten müssen. Da er nicht in seine Heimatstadt Aleppo aufgrund des Krieges zurück konnte, war er faktisch Kriegsflüchtling. Das ist genau ein Beispiel für die Art von Flüchtlingen, die Deutschland sehr gerne will: Ingenieur, gebildeter Mittelstand, spricht mehrere Sprachen, wenig religiös und keinerlei Probleme mit der Integration.

niusic: Und was hat sich in deinem Bild von Flüchtlingen korrigiert?

Gerhardt: Wenn so ein Vollidiot wie ich sich Flüchtlinge vorstellt, dann: abgerissene Kleidung und gerade mit Müh und Not dem Krieg entronnen.

niusic: Die Afghanin wohnt noch bei euch?

Gerhardt: Ja, das ist eine ganz andere Geschichte. Sie ist 19 Jahre alt, wurde zwangsverheiratet und sexuell missbraucht. Sie konnte dann fliehen und hatte noch einige Probleme bis sie hier angekommen ist.

niusic: Wie sieht euer Alltag aus?

Gerhardt: Meine Frau und ich haben ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil wir viel für Konzerte unterwegs sind. Dennoch helfen wir ihr bei Behördengängen und beim Erlernen der Sprache und bei Mathematik und so. Immer wenn ich da bin, sehen wir sie sehr oft. Mittlerweile ist sie ziemlich wütend auf ihre Religion.

niusic: Sie ist Muslima?

Gerhardt: Ja und wir leben natürlich die vollkommene Gleichberechtigung von Mann und Frau vor. (lacht) Meine Frau hat sogar eher die Hosen an. Und das entspricht natürlich nicht dem, was in Afghanistan gelehrt und gelebt wird. Wenn sie zurück gehen würde, würde sie die Steinigung erwarten. Und das wäre sogar rechtlich dort bei ihrer Vorgeschichte in Ordnung.



niusic: Jetzt unterscheidet dich ja erst einmal nichts von jedem anderen Bürger in Deutschland, der Flüchtlinge aufgenommen hat. Glaubst du dennoch, dass Künstler eher die Aufgabe haben, sich bei solchen Projekten und Vorgängen stark zu machen?

Gerhardt: Das ist keine Künstleraufgabe, sondern wenn eine Aufgabe der ganzen Zivilgesellschaft. Ich bin der Auffassung, dass Deutschland noch viel mehr Flüchtlinge aufnehmen könnte. Ich bin da sehr einig mit Frau Merkel. Was man allerdings unserem Land vorwerfen kann, ist, dass es das mental nicht schafft. Da haben wir alle etwas versäumt in den letzten Jahren ...

niusic: Haben aber nicht Künstler, im Rückenwind der vielbeschworenen Grenzüberschreiterin Musik, nicht auch eine indirekt finanzielle Aufgabe? Aus dem Punkt, dass Künstler meist von öffentlichen Geldern entlohnt werden, könnte man folgern, dass ihr etwas für diese Gesellschaft tun solltet abseits des Quartseptakkordes?

Gerhardt: Der bekannte Finger in der Wunde! Natürlich sollte das so sein, aber auch bei Beamten in Deutschland ist ja festzustellen, dass sie nach einem Arbeitsvertrag arbeiten. Und da steht das nicht drin. Dienst nach Vorschrift ist in der Musik: Musik machen. Ich bewundere da Künstler wie den Pianisten Igor Levit, der oft und lautstark in den Sozialen Medien Stellung bezieht und für seine Ideale kämpft. Ich habe dafür zu wenig Muße, mich intensiv und langfristig mit Facebook und Co. zu beschäftigen. Bei mir verpufft das schnell. Ich war jetzt in den USA, Twitter-Nachrichten haben da eine große Relevanz ...

niusic: Donald Trump hat das ja offenkundig begriffen. Wie steigt man dann in die Debatte ein?

Gerhardt: Ich habe jetzt Interviews in den USA im Radio gegeben, in denen ich deutlich gegen Trump, gegen Demokratiezerfall und gegen Faschismus Stellung genommen habe. Das ist ja unfassbar, was da gerade passiert. In den USA ist das ja tatsächlich viel schlimmer mit dem Populismus, in Deutschland ist es an der Zeit, jetzt rechtzeitig gegenzusteuern.

niusic: Aber sollten Künstler da nicht mitgegensteuern?

Gerhardt: Wir sind aber doch in einer Kunstblase. Uns hören wenige Prozent der Gesellschaft und ich würde auch einmal behaupten, dass der Anteil von Wählern des Populismus in meinen Konzerten gering ist. Hoffentlich. Was wäre denn dein Vorschlag?

niusic: Ganz spontan? Gehen wir mal davon aus, dass du etwas tiefstapelst und ja einen sehr großen Bekanntheitsgrad hast und die Möglichkeit besteht, mit anderen Künstlern eine Allianz zu bilden. Beispielsweise im Jahr einer Bundestagswahl für Demokratie zu werben. Ich denke da an Anne-Sophie Mutter, Igor Levit, Sol Gabetta und Christian Tetzlaff. Wenn ihr zusammen überlegt und ein langfristiges non-profit Projekt startet?

Gerhardt: Na ja, ich kann jetzt ja nicht Anne-Sophie Mutter eine Mail schreiben. Das sind andere Dimensionen, das würde komisch kommen. Zudem habe ich sie nur einmal gesehen. Ich scheue mich, PR-Dinge anzustoßen, die dann lächerlich wirken, weil sie lediglich herausposaunen, ohne eine Wirkung zu erzielen.

niusic: Aber du kennst ja andere bekannte Künstler ...

Gerhardt: Du hast Recht. Das sind Ausflüchte, vermutlich ist der Grund Feigheit und Faulheit. Ich sage, was ich denke, aber manchmal bin ich schon feige, weil ich Konfrontationen aus dem Weg gehe.

niusic: Feige wirkst du nicht ...

Gerhardt: (lacht) Ich bin auch nicht wirklich feige. Ich scheue mich nicht, öffentlich zu sticheln, habe aber im Arbeitsalltag gelernt, nicht alles immer öffentlich zu sagen, vor allem was Kritik an Kollegen betrifft.

niusic: Was meintest du dann mit feige?

Gerhardt: Ich bin kein großes Argumentationsgenie und wenn es um tatsächlichen Diskurs geht, müsste ich ja mit Leuten sprechen, die nicht in der intellektuellen Musikblase sind, vielleicht anderer Meinung und unter Umständen gar AfD-Wähler sind. (lacht) Da würde mir die Hutschnur platzen. Aber: Selbsterkenntnis ist ja der beste Weg zur Besserung. Vielleicht sollte ich doch wieder etwas mehr auf Diskussionen setzen, mit Ecken und Kanten.

niusic: Wenn Selbsterkenntnis der beste Weg zur Besserung ist, was bedeutet das dann für dich als Musiker und dein Einsetzen für Politik?

Gerhardt: Wir müssen alle gemeinsam einen europäischen Trump, einen Frexit und einen AfD-Sieg verhindern.

niusic: Heckst du einen Plan aus?

Gerhardt: Ich besorge mir jetzt erstmal die Mail-Adresse von Anne-Sophie Mutter.

© Kaupo Kikkas


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