Von Hannah Schmidt, 07.11.2017

Auf Saiten der Kunst

Die Gitarre hat ein zweischneidiges Image: „Beherrscht“ und geklampft von jedem zweiten Teenager, ist sie in der Pop- und Rockmusik das absolut coolste. In der klassischen Musik aber ist sie ein mit Desinteresse gestraftes Instrument. Was sagen zwei dazu, die ihr Leben der klassischen Gitarre gewidmet haben? Eine Skype-Begegnung.

Spanische Musik machen Britta Schmitt und Carles Guisado Moreno schon lange. Sie sitzen nebeneinander auf einer Couch vor weißer Wand und schauen in eine kleine Laptop-Kamera, morgens früh im September, die Verbindung zwischen Schweiz und Ruhrgebiet wackelt und rauscht ein bisschen, aber sie steht. Schmitt und Guisado sind ein sympathisches, anmutiges Paar.
Sie lernten sich in Barcelona kennen, sind seit fast zehn Jahren Duopartner, leben zusammen, haben ein Kind. An der Escola Superior de Música de Catalunya studierten sie klassische Gitarre, 2008 traten sie das erste Mal als Duo auf, seitdem regelmäßig. Wo sie spielen? Vor allem europaweit, auf Festivals überwiegend, bei denen die Gitarre ein fester Teil der Programm-Ausrichtung ist. Hingegen finden sie als Ensemble selten, eigentlich nie den Weg in die großen Konzertsäle und in die Saisonspielpläne, bewegen sich vor allem innerhalb ihres kleinen Gitarrenkosmos. Dabei würden sie gerne ein größeres Publikum erreichen.

„Diese geringe Repräsentation ist etwas, was Gitarristen generell viel beschäftigt“, sagt Britta Schmitt. „Es gibt das Konzert von Joaquín Rodrigo, das größte und bekannteste, aber darüber hinaus fehlt uns einfach das Repertoire. Wir haben kein Brahms-, kein Tschaikowski-Violinkonzert.“ Viele Leute, sagt Guisado, „kommen nicht wegen des Interpreten ins Konzert, sondern wegen des Komponisten. Und da fehlt uns dann oft das schlagende Argument.“ Britta Schmitt nickt schweigend. Als sie außerhalb ihres Kosmos spielten, sei es einmal passiert, dass jemand kam und sagte: „Ich spiele auch Gitarre. Im Moment Lady in Black“, sagt Schmitt. Sie lacht, schüttelt kurz und schnell den Kopf. Es muss absurd und gleichzeitig hart sein, mit seiner Kunst derart missverstanden zu werden. Der Gitarrist Andrés Segovia Torres brachte es einmal so auf den Punkt: Die Gitarre sei für Amateure das einfachste, für Profis das schwierigste Instrument. Ein Fluch. „Die Gitarre ist Teil des Lebens vieler Menschen, sie ist oft präsent, und viele interessieren sich für das Instrument“, sagt Schmitt. „Aber wenn die Veranstalter sich bewusst werden, wie hoch das Niveau mittlerweile ist, trauen sie sich vielleicht öfter, das Instrument wieder ins Programm zu nehmen.“

„Je länger man da vor Ort ist, desto mehr versteht man von der andalusischen Musik.“

Carles Guisado Moreno, Duo Joncol

Als Duo Joncol ziehen Schmitt und Guisado ihr Programm durch, ein Programm, das ein größeres Publikum durchaus verdient hätte. Es ist genreübergreifend und experimentell. Etwas für Einsteiger in die klassische Gitarrenmusik und etwas für Kenner und Profis, die sich über technische Raffinessen und eine unkonventionelle Herangehensweise freuen. Für ihre aktuelle CD sind Schmitt und Guisado durch Andalusien gereist, zwei Monate waren sie unterwegs, wollten „eintauchen“ in diese Musik, der sie sich auf der Platte widmen wollen: Kompositionen von Manuel de Falla und Isaac Albéniz, die sich inspirieren ließen von der Volksmusik der Menschen in Andalusien, stellen sie neukomponierte Werke von Carles Guisado gegenüber. Von dieser Folklore, sagt Schmitt, sei auch in diesen Jahren noch alles da. „Das lebt weiter“, sagt sie, ist in Spanien so lebendig und omnipräsent wie in Deutschland Liebhaberthema. An jeder Ecke werde Gitarrenmusik gemacht, zu singen und zu tanzen sei „ein Lebensstil“. „Die Leute, die da die Musik machen, sind nicht immer Profis, aber alle sind sehr musikalisch, weil sie das seit der Kindheit kennen“, sagt Carles Guisado Moreno, dessen Eltern aus Andalusien kommen. Selbst er, der zu Hause so viel andalusische Musik hörte, dass es ihn schon wieder aufregte, habe auf dieser Reise Neues gelernt. „Je länger man da vor Ort ist, desto mehr versteht man“, sagt er. Es gebe auch viel Modernisierung im Flamenco, der Albeníz inspirierte, aber es gebe eben auch noch immer die Ursprünge, die er und Schmitt im Duo neu beleben wollen. Ursprünge, „die man noch immer fühlt.“

Die Route durch Andalusien.

Ein bisschen ist die Reise schon her: 2015 schulterten die beiden ihre Instrumente, packten ihre Sachen und machten sich mit dem Wohnmobil auf den Weg in den Süden Spaniens. Ganz grob wussten sie auch schon, wo sie hinwollten, hatten ein paar Kontakte und einen ungefähren Reiseplan. Mehr aber nicht. „Wir hatten Fixpunkte und Personen, haben uns aber ganz bewusst die Flexibilität gelassen, auch persönlichen Empfehlungen von Leuten vor Ort nachgehen zu können“, sagt Schmitt. Ohne Internet reisend zwangen sie sich quasi dazu, so oft wie möglich unter Leute zu gehen. Sie besuchten Konzerte, Workshops, wurden zu Festen nach Hause eingeladen, jammten, spielten kleine Konzerte. „In Andalusien ist überall Musik“, sagt Britta Schmitt.

Geblieben von dieser Reise der beiden Gitarristen ist die Platte „Aires de Andalucía“, die dieses Jahr erschienen ist. Darauf findet sich zum Beispiel ein Stück, „Córdoba“, das Isaac Albéniz ursprünglich für Klavier geschrieben hat, das Schmitt und Guisado aber für zwei Gitarren umarrangiert haben. „Es war für uns so interessant zu gucken, welche Rhythmen Albéniz da benutzt hat, die ursprünglich von der Gitarre kommen, die er dann auf das Klavier übertragen hat“, sagt Schmitt. „Wir haben geschaut, wie man diese Rhythmen wieder zurück auf die Gitarre bekommt, um wieder zu den Ursprüngen zu kommen.“ Die Musik sei dabei nicht einfach vom Klavier auf die Gitarre transportiert, sondern neu interpretiert. „Allein, dieses Stück in Córdoba zu spielen, an dem Ort, der ihn dazu inspiriert hat, das war besonders.“



Beim Hören fällt es nicht gerade leicht, dem Musikstil einen Namen zu geben. Vieles klingt sehr folkloristisch, manches nach Jazz oder Blues, manche Melodien und Harmonien sehr klassisch, manche Techniken experimentell und neu, der Gesang der Andalusierin Anna Colom, die die beiden vorher schon kannten, auf ihrer Reise aber erstmals persönlich trafen, mutet mitunter orientalisch an, ist sehr rau, sehr direkt. „An der CD wird deutlich, dass es unsere ganz persönliche Suche ist, ein ganz eigener Weg, den wir da eingeschlagen haben“, sagt Britta Schmitt. Ein Weg, der sie in ihrer Nische profiliert, auf dem sie sich in ihrer Virtuosität und Kreativität ausleben können.

Die Nuancen sind so fein, dass man wirklich hinhören muss.

In ihrer Einspielung zeigt sich vor allem eins: „Gitarre spielen“ ist mehr als das, was man glaubt zu kennen. Was dieses Instrument für Klänge hervorbringen kann, haben viele abseits der üblichen E-Gitarren-Riffs, Singer-Songwriter-Akkord-„Schrumm“s, rhythmischen Pop-Patterns und verzerrten Soundwolken sicherlich noch nie bewusst wahrgenommen. Die Nuancen sind so fein, dass man wirklich hinhören muss. Es ist wohl diese Diskrepanz, die es so schwierig macht: Gitarrenmusik einerseits als sozialisierte Entspannungs- oder Partymusik, bei der man gelernt hat, sich zurückzulehnen oder wild loszutanzen, und gleichzeitig die Notwendigkeit, bei genau diesem Instrument bei anderer Spieltechnik und anderem Repertoire auf einmal als Hörer aktiv werden zu müssen. Es ist eine Herausforderung. Aber eine, die es sich auch im großen Konzertsaal lohnen würde anzugehen.

© Ricardo Ríos
© Harald Hoffmann


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