Von Konrad Bott, 31.01.2019

Mozart, was geht?

Die Mozartwoche ist seit 1956 eines der feinsten Komponisten-Festivals in Salzburg. Jetzt hat der Tenor Rolando Villazón das Intendanten-Zepter übernommen und schleudert mit Ideen um sich. Ein Bericht aus der Mozartstadt.

Memory. Unsicher wandert der Finger über die Kästchen. Veranstaltung reiht sich im Heftchen an Veranstaltung, viele davon geheimnisvoll betitelt. Muss man dann nachgucken, was das ist. Ah, die hatte man schon – Check. Das Programm der Mozartwoche ist aus- und einladend. Schließlich soll die ganze Stadt Salzburg ihren Sohn Wolfgang Amadeus Mozart feiern! So hat es der neue Intendant Rolando Villazón selbst formuliert. Warum eigentlich? Ist es nicht schon penetrant genug, wie dieser eine Komponist dem Besucher Salzburgs in die Augen springt, unter die Nase gerieben, in die Ohren gepustet und als Kugel auf die Zunge gelegt wird? Vielleicht ist die Forderung Villazóns gerade deshalb umso wichtiger. Und vom geschmacklich fragwürdigen „Feliz Navidad“-Album des mexikanischen Tenors oder seinem stimmlichen Tiefflug als Papageno in Baden-Baden auf seine Fähigkeiten als Intendant zu schließen, wäre voreilig und ungerecht.

Zum Glück ist das gedruckte Programm-Memory wesentlich übersichtlicher als die Website des Festivals: Kammerkonzerte, Marionettentheater, Meisterklassen, Schattenspiel, Sinfoniekonzert, Kabarett, Musiktheater, Filmvorführungen, selbst eine Mariachi-Band, bei der Villazón im Sombrero vor Mozarts Geburtshaus singt, fehlt nicht. Wenn hier aber klassische Musik dargeboten wird, ist sie ausschließlich von Wolfgang Amadeus Mozart komponiert. Die Prämisse: Das als wesentlich Erachtete von allen Seiten beleuchten. Dabei schreckt er mit seinem Team nicht vor Experimenten zurück.

In der Felsenreitschule startet das Festival mit dem aufwendig gestalteten Musiktheater „T.H.A.M.O.S.“, einem Theaterstück, zu dem Mozart seinerzeit Bühnenmusiken geschrieben hatte. Die Story: Nach einem Putsch taucht Pharao Menes unter falschem Namen im Kreise von Ordensbrüdern unter. Sein politischer Widersacher ist verstorben und dessen Sohn Thamos nun unfreiwillig auf den Thron erhoben worden. Dieser ist mit Tharsis, der Tochter des alten Pharaos liiert und wünscht, sein Leben der Wissenschaft anstelle der Macht über andere widmen zu können. Als die Verräter Pheron und Mirza eine Verschwörung gegen Thamos planen, interveniert Pharao Menes, akzeptiert den Sohn des Rivalen als Schwiegersohn, und jeder bekommt, was ihm zusteht.

Der katalanische Regisseur Carlus Padrissa bettet das antike Ägypten in eine schrille Dystopie. Mozarts Musik bleibt dabei ebenso unangetastet wie der Handlungsstrang. Dazu gesellen sich einzelne Arien, unter anderem aus der „Zauberflöte“ und „Zaide“ und die Ouvertüre seiner Es-Dur-Sinfonie.
In einer bombastischen Laser-Pyramide improvisieren Tenor Nutthaporn Thammathi (Thamos) und Sopranistin Fatma Said (Tharsis) den Sprechtext ihrer Rollen erstaunlich wendig in ihren Muttersprachen Thai und Arabisch. Begleitet werden sie dabei von eigens gebauten Musik-Maschinen, die Tonkünstler Urbez Capablo im Orchestergraben mit Algorithmen füttert. Stimmlich arbeiten die Solisten umwerfend präzise, können sich nur leider nicht ganz gegen die Klangwand der Roboter durchsetzen. Ein riesiges allsehendes Auge segnet das Liebespaar mit seinen Tränen – ein Glück, dass sie vorher in goldene Regencapes gehüllt wurden! Die Verräter Pheros und Mirza prügeln sich mit ihren waghalsigen Turn- und Trapez-Einlagen durch die königlichen Wachen, Pyrotechnik inklusive. René Pape (Menes) schmettert die Arien des Sarastro aus der Zauberflöte mit unnahbarer Autorität.

Die Inszenierung bauscht sich so an der Handlung auf, wie Zuckerwatte am Stiel. All das ist als Startschuss zum Festival nicht unbedingt provokant, aber mutig und führt zu gespaltenen Ansichten bei Publikum und Presse. Doch was ist mit Rolando Villazóns ausdrücklichem Vorhaben, das „Theater zu den Menschen, nicht die Menschen ins Theater“ zu bringen und ganz selbstverständlich Publikum zu ziehen? Mozart, klug interpretiert in einem gewollt flippigen Rahmen, der seiner Musik den nötigen Raum lässt – gerade eine derart kurzweilige Vorstellung wäre doch was für Jugendliche. Stattdessen: Offensichtlich wohlhabende Greise führen untergehakt Damen in Brokatkleidern aus. Junge Menschen, denen es mit dem Besuch der Veranstaltung nicht in erster Linie darum geht, gesehen zu werden, kann man an einer Hand abzählen. Vielleicht wäre noch eine größere Portion Mut nötig gewesen: Die T.H.A.M.O.S.-Premiere stark vergünstigt anbieten. Ein 90-Euro-Ticket ist hier nämlich noch die untere Preisklasse, was dem Aufwand der Inszenierung gewiss auch gerecht wird. Trotzdem hätte es sicher Möglichkeiten gegeben, etwa bei den vielen anderen Konzerten die Preise etwas zu reduzieren, um die Einstiegsbarriere hier senken zu können. Denn was in Salzburg derzeit sonst geboten wird, lässt sich der Mozart-Fan definitiv nicht entgehen.

Dirigentin Alondra de la Parra im Interview

Es ist schon eine nerdige Veranstaltung, zu der sich auch einige Mozarteums-Studenten blicken lassen: Violinist Renaud Capuçon und Pianist Alexander Lonquich bieten das Kontrastprogramm zu „T.H.A.M.O.S.“. Ihr Konzert mit zwei Violinsonaten, den Variationen über das Lied „Au bord d`une fontaine“ und denen über „La bergère Célimène“ ist Understatement pur. Selten sieht man derart großartige Künstler so bescheiden auf der Bühne. In verblüffend exaktem Zusammenspiel sezieren sie die Details der Mozartschen Kompositionen mit zarter Leichtigkeit. Musikliebhaber auf und vor der Bühne – wieder und wieder werden die beiden hervorgeklatscht, zaubern ein Adagio als Zugabe. Angeregt unterhalten sich die Besucher nach dem Konzert, und einer kommt wortwörtlich zu dem Fazit „Selbst als Salzburger sollte man sich hier, trotz der hohen Preise, eine Karte leisten. Besser kann man Mozart nicht feiern!“ Ein dicker Punkt für Rolando Villazón und die Mozartwoche, deren Programm für 2020 schon fest steht.

© Theodor Fleischer
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