Von Anna Vogt, 09.03.2019

Fauler Zauber

Berlin hat mit dem „Weltfrauentag“ am 8. März ab sofort einen neuen gesetzlichen Feiertag. Die Berliner Staatsoper feiert ihn mit der „Zauberflöte“, die um den Machtkosmos Sarastros kreist. Nicht die einzige bedenkliche Nachricht zum neuen Jubeltag.

Wenn am 6. Januar, 15. August oder 1. November in Süddeutschland das Arbeitsleben stillsteht, muss in Berlin weiter geackert werden. Wie Hamburg, Niedersachsen und andere nördliche Bundesländer hatte Berlin bisher nur 9 Feiertage im Jahr (Augsburg dagegen ganze 14!). Das ändert sich 2019: Berlin hat sich einen eigenen gesetzlichen Feiertag ergattert, den 8. März. Beim Datum orientierte man sich an der Konferenz sozialistischer Frauen, initiiert von der Frauenrechtlerin Clara Zetkin. Ab 1910 fand diese Versammlung regelmäßig statt, bald schon etablierte sich der 8. März als Datum für die Kundgebungen, bei denen auch lautstark die Einführung des Frauenwahlrechts gefordert wurde. 1918 wurde es endlich durchgesetzt. Gut hundert Jahre später soll mit dem „Weltfrauentag“ nun ein Zeichen für die Gleichberechtigung gesetzt und die Arbeit der Frauen gewürdigt werden.

Die Staatsoper Berlin warf zu diesem Anlass erst mal die Marketingmaschinerie an. Im Newsletter freute man sich: „Ein Grund zum Feiern mit der ‚Zauberflöte‘“. Mit dem „Actionscode Weltfrauentag“ kann man 25 Prozent Rabatt auf drei Vorstellungen der Neu-Inszenierung von Yuval Sharon erhalten.
Ausgerechnet die „Zauberflöte“ zum „Weltfrauentag“? Und damit ein Singspiel, in dessen Libretto von Emanuel Schikaneder sich Sätze finden wie die des Hohepriesters Sarastro, der Pamina belehrt:

„Ein Mann muß eure Herzen leiten,
Denn ohne ihn pflegt jedes Weib
Aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten.“

Sicher muss man nicht das radikale Urteil der französischen Schriftstellerin und Feministin Catherine Clément teilen: „Wenn eine Oper mit ihrer ganzen verbalen und musikalischen Macht die Symbolik des Zermalmt-Werdens von Frauen durch Männer darstellt, dann heißt diese Oper ‚Die Zauberflöte’.“ Aber die „Zauberflöte“ ist eben auch keine Oper, in der ein besonders positives Frauenbild transportiert wird. Die Musikwissenschaftlerin Claudia Liebrand betont, man könne im Plot einen „Sieg des humanistisch-aufgeklärten Reichs des Sarastro über das der vormodernen, dem Aberglauben verpflichteten Königin der Nacht“ herauslesen. Das männliche Ordnungssystem siegt über die weibliche Hysterie. Aber sie merkt an, dass man auch eine „Gegengeschichte“ in diesem Singspiel hören kann: In einer solchen Lesart sieht sie die Königin der Nacht und Sarastro als Kippfiguren, die sich gegenseitig bedingen. Wie immer hat Mozart dieses Singspiel raffinierter angelegt, als es zuerst scheinen mag. Und letztlich geht es darin ja auch und vor allem um den Sieg der Liebe von Pamina und Tamino, die schwierigsten Prüfungen standhält. Diese freilich muss weitgehend der Mann mit seiner gepriesenen Stärke und Vernunft bestehen, während Pamina ihm Mut zuspricht und sich immer wieder gegen Monostatos` Zudringlichkeiten wehrt.

Wenn man Mozarts „Zauberflöte“ heute also durch einen zu einseitigen Gender-Filter hört, tut man ihrem Schöpfer vermutlich damit unrecht. Aber dass die Staatsoper mit dem „Weltfrauentag“ die Verkaufszahlen gerade für diese Produktion ankurbeln will, ist doch ein wenig unglücklich. Vielleicht waren die Überlegungen der Staatsoper Berlin, den Frauentag mit der „Zauberflöte“ zu begehen, aber auch gar nicht so sehr vom Stück her gedacht, sondern man nutzte die (seltene!) Gelegenheit, dass bei den angepriesenen Vorstellungen eine Frau am Pult der Staatskapelle steht. Die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra hat die musikalische Leitung der ganzen Produktion, die am 17. Februar Premiere feierte, und gab damit ihr Hausdebüt Unter den Linden. Eingesprungen allerdings für einen Mann: Franz Welser-Möst, der krankheitsbedingt abgesagt hatte.

Zum „Weltfrauentag“ sollte die Aufmerksamkeit genau darauf gerichtet werden: nicht auf die Tatsache, dass am 8. März in der Staatsoper eine Frau dirigierte, sondern auf die Tatsache, dass dies nach wie vor eine absolute Ausnahme ist. Bis zum Ende dieser Saison ist Alondra de la Parra an der Staatsoper Berlin übrigens die einzige Dirigentin, die man hier erleben kann. Auch in der Konzert-Sparte der Staatskapelle: keine Frau weit und breit. An anderen Häusern sieht es nicht viel besser aus. Die noch immer sehr problematische Situation für Frauen in der Musikbranche spiegelt sich in den Statistiken, die die Website Bachtrack für 2018 kürzlich veröffentlichte: Unter den aktivsten Dirigent*innen fanden sich zwischen Platz 19 und 86 nur fünf Frauen, weit abgeschlagen etwa hinter einem Andris Nelsons oder Valery Gergiev, die die Top-Plätze besetzen.

Nur 13 % aller uraufgeführten zeitgenössischen Werke stammen von Frauen, in Deutschland sogar unter 5 %, immerhin mit steigender Tendenz. Und richtet man den Blick auf die freie Musikszene mit ihren vielen prekär beschäftigten Musiker*innen, dann erschreckt einen vor allem der auch auf niusic schon öfters thematisierte Gender-Pay-Gap. Für viele Frauen, ob Musikerinnen, Komponistinnen oder Dirigentinnen, bedeutet eine Entscheidung fürs Musik Machen auch die für eine Existenz in potenziell prekären Arbeitsverhältnissen.
Der „Weltfrauentag“ 2019 ist ein Grund zum Feiern, denn die Frauen haben sich schon viel erkämpft, und auch darauf sollte der Blick gerichtet werden. Musik ist nicht mehr, wie zu Mozarts Zeiten, eine Geheimwissenschaft für exklusive Männerbünde. Dennoch bleibt Gleichberechtigung in dieser Branche bisher eine Utopie.

© pixabay
© Foto von Alondra de la Parra: Oscar Turco
© Screenshot aus der Statistik von Bachtrack


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