Von Malte Hemmerich, 17.06.2016

Durchgejodelt

Wer glaubt, er kenne schon alles, was der klassischen Musik so angetan wurde, der lese diesen Artikel. Wir haben eine ganz besondere Perle ausgegraben.

Wir sehen eine geschmackvoll dekorierte Bühne. Das Orchester spielt eine fröhliche Einleitung. Alles wirkt seriös. Die Frau im altmodischen Dress in der Bühnenmitte lächelt symphatisch. Dann öffnet sie den Mund. Was nun passiert, könnt Ihr Euch nicht vorstellen.



Doch, es ist ganz offensichtlich: Mary Schneider jodelt. Und das durchaus virtuos, mit beträchtlichem Ambitus 17 . Während der Anfang der „Wilhelm Tell“-Overtüre noch so klingt, als würde einer Kermit-Maria Callas-Kreuzung ständig die Stimme brechen, schwingt sich die alte Dame kurze Zeit später mit Leichtigkeit in die Sphären der Stimmakrobaten. Über „Carmen“ wird dann einfach gnadenlos hinweggetrillert, während der Interpretation des Jaques Offenbachschen Gassenhauers dann ein unbeschreiblicher, ganz besonderer Zauber innewohnt. Nach galanten Schlusswendungen begleitet vom stilvollen Kameraumschnitt beendet ein absurd hoher Schlusston den wilden Ritt, und der Zuschauer bleibt mit offenem Mund zurück und fragt: Wer ist diese Frau, die sich beim Winterfest der Volksmusik im Jahre 2000 hinstellt und samt Playback durch die Musikgeschichte jodelt?

  1. Die herzliche Umarmung in der Musik! Alles, was sich zwischen dem höchsten und dem tiefsten Ton einkuschelt gehört zum Ambitus, dem Tonumfang. Die Kuschelei kann verschieden untersucht werden: Welchen Ambitus hat ein Klavier? Welchen Ambitus die gute alte Erda im Ring des Nibelungen? Viel Spaß beim Rätseln! (CW)

Anders als man vielleicht denken könnte stammt Mary Schneider nicht aus einem schweizerischen Bergdorf und auch nicht aus dem verträumten Allgäu. Sie ist Australierin mit, zugegeben, deutschen Vorfahren. Zwei Alben hat sie um die Jahrtausendwende aufgenommen, „Yodeling The Classics Vol. 1+2“. Dass ihr künstlerischer Anspruch dabei nicht ganz ernst zu nehmen ist, gibt die Sängerin dann auch gleich inmitten ihres Mozartgejodels zu.



Bleibt die Frage, warum diese Sängerin, die mit sich selbst im Duett den Türkischen Marsch trällern kann, heute nicht mehr aktuell ist.
Wer sich durch ihre Alben hört, merkt: Was in kleinen Dosen Heiterkeit hervorruft, trägt nicht unbedingt über mehrere Songs. Als würde der gleiche Witz immer wieder und immer schlechter erzählt. Irgendwann sorgt auch das lustigste Gejodel für Übelkeit, besonders wenn es sich über den ein oder anderen altbekannten Marsch legt. An dieser Stelle können Mutige nun die Youtube-Recherche starten.


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