Von Jesper Klein, 05.11.2019

Mind The Gap

Philip Glass trifft auf Guillaume Dufay. Die neue CD der Berliner Lautten Compagney nimmt die Hörer mit einer schrägen Kombination auf eine Rundfahrt durch die Musikgeschichte.

U-Bahn und S-Bahn scheinen bei Künstlern covertechnisch ein beliebtes Motiv zu sein. Der Pianist Dario Candela hatte sich für seine Cimarosa-CD ganz suburban im Untergrund ablichten lassen, für Wolfgang Katschner und seine Lautten Compagney ist nun die Berliner Ringbahn das Fortbewegungsmittel der Wahl – auch wenn die Optik des Covers verdächtig an die Londoner U-Bahn erinnert. Wie auch immer, Circle Line heißt passenderweise das neue Album des in der Hauptstadt beheimateten Alte-Musik-Ensembles. Aber warum gerade jetzt eine Rundfahrt im üblicherweise doch chronisch überfüllten Personennahverkehr?

Nächste Station: Dufay

Das Konzept ist einleuchtend und gut: eine CD angelegt als Rundreise durch die Musikgeschichte. Schließlich erzählt sich Musikgeschichte nicht in einem Strang von A bis Z, sondern lebt von Bezügen und Schleifen. Als Startpunkt für den Trip wählt die Lautten Compagney die Frührenaissance, genauer den franko-flämischen Komponisten Guillaume Dufay. Schon bei Dufay formen sich rhythmisch komplexe Gebilde zu einem Ganzen, gar nicht so anders als später bei den Minimalisten des 20. Jahrhunderts.

Das ist zumindest die Idee. Tatsächlich bringen die fünf Jahrhunderte zeitlicher Abstand kompositorische, aber auch lebensweltliche Unterschiede mit sich. Hier wird experimentell nebeneinandergestellt, was zur Entstehungszeit auf unterschiedlich geschulte Ohren traf. Bei einem solchen Crossover-Projekt darf man also durchaus skeptisch sein. Dabei hat sich die Lautten Compagney mit dem gelungenen Vorgängeralbum „Timeless“ – ähnlicher Ansatz, andere Zeit – einen kleinen Kredit erspielt. Die Idee der Rundfahrt wird jedenfalls ganz lebhaft umgesetzt, am Ende der CD werden die Stücke vom Anfang erneut aufgegriffen. So fährt Philip Glassʼ „Train To São Paulo“ aus dessen Filmmusik zu „Powaqqatsi“ mit seinen stampfenden Rhythmen nach gut einer Stunde Hörerlebnis gleich noch ein zweites Mal in den Bahnhof ein.



Hier kreuzen sich Repertoires wie die Linien auf einem U-Bahn-Plan.

Dass Frührenaissance und Minimal Music von sich aus nicht zur perfekten Symbiose tendieren, ist keine große Überraschung. Die Unterschiede sind gewaltig, man denke allein an die Möglichkeiten des Instrumentariums im 20. Jahrhundert. Und wer weiß heute schon, wie Dufay damals geklungen hat? Wenn im dritten Stück des Albums diese zwei Welten aufeinanderprallen, entsteht Reibung. Irgendetwas knirscht hier rhythmisch, Dufay und Glass kommen nicht wirklich auf einen gemeinsamen Nenner. Dieses Experiment ist für den Hörer durchaus reizvoll, bleibt aber ein bisschen holprig. Immerhin läuft man nicht Gefahr, von den Glassschen Wiederholungen und harmonischen Fortschreitungen gelangweilt zu werden, die man für gewöhnlich doch recht schnell im Ohr hat. Zudem erhalten sie einen neuen instrumentalen Farbanstrich: Historische Instrumente wie Gambe und Zink 112 treffen auf Saxofon und Percussion. Steve Reichs „Clapping Music“ als Rhythmusgrundlage für Dufays „Se la face ay pale“? Das ist irgendwie schräg. Hier kreuzen sich Repertoires wie die Linien auf einem U-Bahn-Plan. Bloß ist nicht ganz klar, was genau die Schnittstelle ist.

Guillaume Dufay ist zwar als Komponist des 15. Jahrhunderts von enormer musikgeschichtlicher Bedeutung, sein Vermarktbarkeits-Faktor hält sich aber in Grenzen. Die Art und Weise, wie die Lautten Compagney diese nischige Musik wohlklingend aufbereitet, mag Alte-Musik-Freaks vielleicht etwas zu soft daherkommen, in der Kombination mit dem 20. Jahrhundert geht es aber ohnehin kaum noch um aufführungspraktische Finessen. So flockig swingend wie in Dufays „Gloria ad modum tubae“ klingt das 15. Jahrhundert selten. Warum auch nicht. Würde diese Zeitreise in der S-Bahn im Hintergrund laufen, man bliebe für die berühmte französische Chanson „Lʼhomme armé“ als willkommene Abwechslung im Alltag vielleicht noch eine Station länger sitzen.

  1. Der Name führt in die Irre: Im Periodensystem der Elemente wird man dieses Instrument nicht finden. Das Zink ist auch schon um einiges älter als die Chemikerbibel. Der Klang solcher Instrumente soll in grauer Vorzeit die Mauern Jerichos zum Einsturz gebracht haben. Noch bis zur Renaissance gehörte das Zink zu den Orchesterinstrumenten – bis zur Erfindung der Barockposaune. (AJ)


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Guillaume Dufay, Philip Glass, Steve Reich u. a.

Circle Line

Lautten Compagney, Wolfgang Katschner

harmonia mundi

© Pixabay


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