Von Jesper Klein, 17.07.2018

Oase der Offenheit?

Viele Klassik-Festivals werben um die Gunst des jungen Publikums – auch das Kammermusikfest Lockenhaus. Im dortigen „Cre@tive Media Jugend Camp“ sollen Jugendliche bloggen, filmen und schreiben lernen. Doch es gibt einen Haken: Hier verwischt die Grenze zwischen Journalismus und Marketing.

Das Klassikpublikum, so die landläufige Meinung, stirbt bald aus. Es ist leicht, das zu glauben, denn wer im Konzert oder in der Oper sitzt, hat üblicherweise ein Meer aus grauen Haaren vor sich. Und wer im Sommer von einem Festival zum anderen reist, sieht ein ähnliches Bild: Die Jugend ist hier unterrepräsentiert, das ist nicht zu leugnen. Zwar erreicht die klassische Musik längst auch das jüngere Publikum, zum Beispiel in den Universitätsstädten, und dies schlägt sich durchaus in den Zahlen nieder – doch es funktioniert eben nicht überall. Die Frage, wie man junges Publikum für klassische Musik begeistern kann, müssen sich die Verantwortlichen stellen. Gerade bei ungünstig gelegenen Festivals trifft sich vor allem die betagte Kennerschaft. Zu dieser Sorte Festivals zählt neben dem Kissinger Sommer (niusic berichtete) auch das Kammermusikfest Lockenhaus.

Der Geiger Gidon Kremer rief es 1981 im österreichischen Burgenland ins Leben, im Jahr 2012 übernahm der Cellist Nicolas Altstaedt die künstlerische Leitung. Lockenhaus: Das ist längst ein Name unter den Festivals, unter den Künstlern sowieso. Er steht für Offenheit, Kreativität, Spontaneität, Freiheit, aber nicht für ein junges Publikum. In die kleine Gemeinde nahe der ungarischen Grenze – mit der Bahn ist Lockenhaus nicht zu erreichen – verläuft sich nur, wer ohnehin weiß, dass er hier etwas entdecken kann. Und das kann man beim ungewöhnlichen Programm des Kammermusikfestes in jedem Fall.

Creatio: das Motto des diesjährigen Festivals ins Bild gesetzt

Creatio – für offene Ohren

Das diesjährige Motto „Creatio“ könnte sinnbildlich für Lockenhaus stehen. Hier wird Neues erschaffen, hier werden ungewöhnliche Kombinationen kreiert. Zeitgenössisches trifft auf Bekanntes, Konzerthälften prallen mit lautem Krachen aufeinander. Die Musiker, allesamt Freunde des künstlerischen Leiters, kommen hierher nicht wegen des Honorars, das es nicht gibt, sondern weil an diesem Ort besondere Dinge geschehen können. Klar, mit der Spontaneität geht auch schon mal Chaos einher. Programme werden kurz vor knapp geändert. Wann genau ein Konzert beginnt und wo es stattfindet (in der verwinkelten, bei Nacht schaurigen Burg oben auf dem Berg oder der Kirche unten im Dorf) – das kann sich auch erst am Tag des Konzerts entscheiden. Diese Freiheiten machen Lockenhaus aus, das Publikum arrangiert sich mit ihnen. „Creatio“ – das versteht Nicolas Altstaedt als Aufforderung an das Publikum, ungewohnter Musik mit offenen Ohren zu begegnen. Bisher klappt das nicht immer, denn ein Teil des Publikums in Lockenhaus hat mit Experimenten durchaus seine Probleme. Aber dass bei zeitgenössischer Musik die Menschen auch mal maulend aus der Kirche gehen, ist weder ungewöhnlich noch ein echtes Problem. Who cares?

Die Teilnehmer des Mediencamps

Was aber tut man, damit auch Kinder und Jugendliche an diesem besonderen Ort Musik entdecken können? Ein Mediencamp soll helfen. Im „Cre@tive Media Jugend Camp“ sollten eigentlich Schüler und Studenten lernen, über das Festival zu bloggen, zu filmen und zu schreiben. Es ist eine Idee, die längst die Runde gemacht hat: Ob in Heidelberg, Würzburg oder Köln – überall dort kann oder konnte man das Sprechen und Schreiben über Musik in ähnlichen Formaten kennen lernen. Die Dozenten in Lockenhaus sind namhafte Journalisten, Kritiker, auch eine bekannte Bloggerin aus der Region kommt zu Besuch. Jugendliche im angepeilten Alter, 15 bis 24 Jahre, haben sich allerdings nicht beworben – es ist das bekannte Standortproblem, hinzu kommt ein überschaubares Marketing. Also lud man Kinder ein, zwischen 12 und 16 Jahre alt, die weitgehend das Festival gut kennen, der Großteil ist bereits zum dritten Mal dabei. Schon in den Jahren zuvor schrieben viele von ihnen als sogenannte „Lockenhaus Reporter“ Texte über das Festival, abgedruckt wurden sie in einem kleinen Magazin und im Programmheft.

In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt jedoch auf dem Internet. Statt des gedruckten Magazins wird ein Blog befüllt. Doch was genau ist das Media Camp: Journalismus oder Marketing? In Zeiten, in denen selbst erfahrene Journalisten auf Fake News hereinfallen, als redaktioneller Inhalt getarnte Werbung gang und gäbe ist und von überall der Ruf nach Medienkompetenz laut wird, ist es umso wichtiger, sich das zu fragen. Hört man Nicolas Altstaedt über das Camp sprechen, ist das alles kein Problem. Schließlich können die Kinder hier offen sagen, was sie denken und wie sie die Musik empfinden – ganz subjektive Schlaglichter von jungen Hörern sollen es sein, passend zum Selbstverständnis des Festivals als Oase der Offenheit. Und tatsächlich, blickt man in die Magazine der vergangenen Jahre, klingt es dort zumindest leise durch, wenn den Kindern etwas nicht so gut gefallen hat.

Wer sich durch den Blog klickt, findet dort Texte, die allesamt der PR-Abteilung des Festivals entsprungen sein könnten.

Auf dem Blog finden sich solche Töne nicht. Nun kann man sagen, dass man mit 12 Jahren noch keine Kriterien an der Hand hat, um eine fundierte Musikkritik schreiben – niemand erwartet das und darum geht es auch nicht. Und es ist ohne Zweifel für die Kinder eine tolle Sache, bekannte Künstler zu interviewen, die sich in Lockenhaus die Zeit für die Fragen der Kinder nehmen. Am Ende hat das mit Journalismus aber nichts zu tun. Wer sich durch den Blog klickt, findet dort Texte, die allesamt der PR-Abteilung des Festivals entsprungen sein könnten. Hier wird kein Unterschied gemacht zwischen Journalismus und Marketing, hier gibt es keine kritische Distanz, hier übernehmen die Teilnehmer des kostenpflichtigen Camps Aufgaben, für die eigentlich eine PR-Abteilung zuständig wäre.

Das alles wäre womöglich weniger schlimm, wenn das Mediencamp nicht bewusst damit spielen würde, die notwendige Grenze zwischen Marketing und Journalismus aufzuweichen. Wenn aber ein Text, den die Teilnehmer gemeinsam mit dem anwesenden Musikkritiker verfasst haben, auf einer österreichischen Internetseite, die sich „Kulturzeitung“ nennt, auftaucht, ist es nicht damit getan, die Herkunft des Textes zu kennzeichnen. Hier wird verschleiert, was nicht verschleiert werden sollte. Wer damit wirbt, Einblicke in das journalistische Arbeiten zu ermöglichen, der muss nicht nur Journalisten einladen, sondern auch gewährleisten, dass mit professioneller Distanz und unabhängig vom Veranstalter gearbeitet werden kann. Diese Trennung gibt es in Lockenhaus nicht. Auch wenn die jungen Hörer eine offene Wahrnehmung mitbringen, so wie sie sich Altstaedt für sein gesamtes Publikum wünscht, und zweifellos in Lockenhaus viel Zeit mit lohnenswerten Dingen verbringen – es ist eine Spielregel, an die man sich halten muss. Wer das nicht tut, der vermittelt sowohl den Lesern als auch den Camp-Teilnehmern ein gefährliches Bild davon, wie Online-Journalismus funktioniert.

© Marco Borggreve
© Cre@tive Media Jugend Camp
© Helen Winkelman
© Jesper Klein


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