Von Anna Vogt, 12.05.2016

Rendezvous mit Buenos Aires

Sie sind die wohl geerdetste und dabei beflügeltste Kammermusik-Formation der Berliner Philharmoniker: die 12 Cellisten. Jetzt endlich war die Zeit reif für ein ganzes Tango-Album – und es passt wie angegossen. Anna Vogt hat mit 2 der 12 über cellistische Spezialeffekte, Ensemble-Hierarchien und den Tango-Ritterschlag gesprochen.

Eigentlich sind sie ja 14. Auf der neuen CD „Hora Cero" spielen abwechselnd 13, und auf dem Cover sind 12 zu sehen: weil Dietmar Schwalke am Tag des Fotoshootings krank war. Aber wer zählt schon nach? Eigentlich ja ganz praktisch, zwei „Ersatzspieler“, denn irgendwer kann immer nicht, sagt Schwalke. Logistisch ist das Projekt „12 Cellisten“ ohnehin ein Alptraum. Geprobt und konzertiert werden kann schließlich nur, wenn die Berliner Philharmoniker frei haben. Denn ohne Cello-Gruppe könnten die einpacken. Und so trifft sich niusic-Autorin Anna Vogt mit David Riniker und Dietmar Schwalke zwischen zwei Proben der Philharmoniker zum Interview in den Katakomben der Berliner Philharmonie.

niusic: „Hora Cero“ ist ein Cello-Tango-Fest geworden. Ist das Instrument prädestiniert für den Tango?

David Riniker: Ich finde schon. Die Tango-Musik hat einen gewissen Biss, aber auch elegische Momente. Und man braucht diese besondere Farbe, wie ein Bandoneon-Klang, nicht zu hell, sondern immer so ein bisschen gedeckt.

Dietmar Schwalke: … und vor allem Melancholie, die kann das Cello sehr gut.

niusic: Aber 12 gleiche Instrumente! Wird das klanglich nicht schnell langweilig?

Riniker: Alle sind zwar in der Klangfarbe ähnlich, keiner sticht heraus und es klingt sehr homogen, aber alle können eben auch alles spielen. Ich kann zum Beispiel das ganze Ensemble spiegeln, mal spielt Cello 1 ganz links das Solo, dann Cello 12 ganz rechts, die Musiker spielen sich quasi die Bälle zu. Da gehen die Köpfe im Publikum dann manchmal hin und her wie bei einem Tennis-Match. Das Cello hat außerdem einen Tonumfang, den viele Instrumente natürlich nicht haben. 12 Geigen etwa könnten zwar unglaublich virtuos spielen, haben aber die Tiefe nicht.

niusic: Herr Riniker, neun von den 16 Tangos auf dieser CD haben Sie arrangiert, hauptsächlich von Astor Piazzolla. Wie sind Sie da vorgegangen?

Riniker: Die meisten Arrangements sind über die Ohren erstellt, da hatte ich gar keine Noten, sondern musste mir die Musik von Aufnahmen abhören. Die Tangos sind zwar verlegt, aber schwer zu bekommen. Das ist sehr viel Arbeit, manchmal sitzt man drei Monate für so ein Drei-Minuten-Stückchen.

niusic: Durften Ihre Cello-Kollegen eigentlich Wünsche anmelden für die Arrangements?

Riniker: Ich weiß auch so ziemlich gut, wer was mag. Ein Kollege spielt zum Beispiel im Orchester immer gern ein bisschen bei den Geigen mit, also weiß man: Der spielt gern hoch. Unser neuer Solocellist, Bruno Delepelaire, ist in dieser Hinsicht der Überflieger, der ist echt phänomenal. In der letzten Nummer hat er ein schweres Solo, aber bei ihm klingt das, als wäre es ganz einfach.



niusic: Auf der CD wirkt vieles sehr spontan und improvisiert. Wie genau sind die Details dieser Tangos notiert?

Riniker: Es ist alles genau festgelegt, jede einzelne Feinheit. Bei so vielen Leuten klappt das sonst nicht. Die Soli sind immer alle unterschiedlich verteilt, deswegen müssen zum Beispiel Verzierungen ausgeschrieben werden, damit sie identisch klingen, wenn sie wiederholt werden.

niusic: Wer hat eigentlich bei den 12 Cellisten das Sagen? Es gibt ja keinen Dirigenten.

Riniker: Stellenweise schreibe ich in die Noten rein, wer in der Musik führt, also nach welchem Cello man sich richten soll. Und sonst wird es für jede Stelle einzeln ausgemacht, wer führt, zum Beispiel bei Übergängen, wenn es schneller oder langsamer wird.

Schwalke: Bei Proben ist es aber so, dass immer der, der an Cello 1 sitzt, die Probe auch ein bisschen leitet. Sicher sind wir ein demokratischer Laden und jeder sagt was dazu, aber sonst wäre das Chaos zu groß.

niusic: In „Hora Cero“, dem das Album seinen Namen verdankt, geht es um die Geräusche im nächtlichen Buenos Aires. Auch in „Tres minutos con la realidad“ wird die Realität, zum Teil schön hässlich, in Szene gesetzt. Wie bekommt man so etwas auf dem Cello hin?

Schwalke: Wir haben in solchen Stücken lange rumprobiert mit Geräuschen, die man auf dem Cello erzeugen kann, mit perkussiven Effekten.

Riniker: Es gibt zum Beispiel so einen Spezialeffekt in „Duo de amor“, der klingt wie ein Tamburin: Wenn man die Saite seitlich weg zupft und sie schlägt dann gegen den aufgestellten Fingernagel. Oder wenn man ganz dicht am Steg spielt, gibt es auch so ein Krkrkrkr-Geräusch, das sehr typisch ist für den Tango.

Schwalke: … oder diese Akkorde 9 , die mit abgedämpften 121 Saiten gespielt werden, auch ein interessanter Effekt! Ich glaube, es ist ganz wichtig, diese Perkussions-Momente dabei zu haben, denn sonst kann einem dieser immer schöne Celloklang auch schrecklich schnell auf den Geist gehen.

  1. Was für orgiastische Zustände: Mindestens drei Töne gleichzeitig bilden einen Akkord, Ausnahmen bestätigen die Regel. Tri-tra-trullala, das ist der Durakkord. Die Familie der Akkorde ist groß: Quartsextakkord, Septnonakkord und verminderter Akkord.Viel Spaß beim Rätseln. (CW)

  2. Wer Blechbläsern einen Dämpfer verpasst, ist nicht auf Streit aus, sondern auf eine besondere Klangfarbe. Die Kegel aus Holz, Metall oder Kunststoff werden einfach in den Schalltrichter gestopft, und schon entsteht ein völlig anderer, leiserer, leicht nasaler bis schnarrender Klang. Auch Streicher können sich so einen Dämpfer auf die Saiten klemmen. (AJ)



niusic: Kann man zu diesen Tangos denn noch tanzen?

Schwalke: Nicht zu allen, aber zu ein paar funktioniert das super.

Riniker: … wir treten bei diesem Programm auch mit Tänzern auf. Die haben sich eine Choreografie zu unserer Aufnahme überlegt und merken dann in den Proben sofort, wenn wir das ein wenig schneller oder langsamer machen, weil ihre Schritte dann nicht mehr gut zur Musik passen. Das Tanzen ist besonders beim Tango Nuevo schwierig, wie ihn vor allem Piazzolla, aber auch Stafano komponierte haben. Denn diese Art des Tango kommt stilistisch eigentlich aus dem Jazz.

Schwalke: Horacio Salgán ist dagegen ein Altmeister. Den haben wir auch selbst noch kennen gelernt, als wir 2000 mit dem Orchester in Südamerika waren. Wir haben ihm seinen Tango vorgespielt und uns den Tango-Ritterschlag von ihm geholt.

niusic: Die 12 Cellisten spielen ja viele Crossover-Alben ein, mit Spirituals, Musical-Hits etc. Ist das auch ein Ausgleich zum Repertoire des Orchesters?

Riniker: Auf jeden Fall! Und endlich können wir mal alle Stimmen spielen und müssen nicht irgendwas der Flöte oder der Geige überlassen. (lacht)

niusic: Den Berliner Philharmonikern als Orchester tut so eine aktive Cello-Gruppe doch sicher auch gut, oder?

Riniker: Wir sind durch das Orchester im Vorteil, dass wir schon eine gemeinsame Art des Musizierens gefunden haben. Jeder weiß, wie der andere spielt, der Klang der Gruppe ist sehr homogen. Und davon profitieren die 12 Cellisten. Andererseits profitiert natürlich auch das Orchester von unserer Ensemble-Arbeit, weil sich die Gruppe so selbst „putzt“ und sich da ja auch keiner verstecken kann.

Piazzollas „Libertango" haben die 12 Cellisten schon länger im Repertoire. Hier eine Aufnahme von 2013 mit dem Tango-Tanzpaar „Ispasión":



niusic: Sie haben schon auf der ganzen Welt konzertiert, oft auch in diplomatischer Mission oder für karikative Zwecke. Sind die 12 Cellisten mehr als einfach nur Musiker?

Schwalke: Das sind wir als Musiker immer. Wenn wir auf Reisen gehen, hat das immer auch eine politische Komponente. In den 90ern hat uns zum Beispiel einmal der damalige Bundespräsident Weizsäcker an den japanischen Kaiserhof als Geschenk mitgebracht, und wir haben dort ein Konzert gespielt. Oder vor zwei Jahren, als Obama in Berlin war, haben wir im Schloss Charlottenburg gespielt. Er hat sich danach bei jedem von uns einzeln für das Konzert bedankt. Solche Konzerte werden natürlich auf Staatsebene ausgehandelt. Aber so findet durch die Musik ein kultureller Austausch statt. Musik trennt eben nicht, sondern schafft Verbindungen. Und verbinden ist als Musiker unsere Aufgabe.

niusic: Wohin soll denn die nächste musikalische Reise der 12 Cellisten gehen?

Riniker: Dazu gibt’s 15 Ideen. (lacht) Aber nichts Spruchreifes.

Schwalke: Im Sommer werden wir erst mal die Tangos in Japan, Korea und China unter die Leute bringen. Das wird spannend, denn das Publikum reagiert in verschiedenen Ländern total unterschiedlich.

Riniker: Ja, das ist immer merkwürdig. Zum Beispiel ist die Bearbeitung von Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“ in Deutschland der totale Renner, in der Schweiz so naja, und in Italien, wo das Stück doch alle kennen müssten, lässt es sie kalt.

Schwalke: Aber was überall gut ankommt, ist der „Pink Panther“.

Als Ensemble sind die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker seit 1972 eine Institution. Und da das Original-Repertoire für so eine ausgefallene Besetzung natürlich begrenzt ist, schafft sich das Ensemble ganz einfach selbst eins: durch Auftragskompositionen oder Arrangements. So spielten die 12 sich schon durch die Hits der Beatles, unternahmen musikalische Ausflüge in die Filmmusik und den Jazz, nach Paris und Südamerika. Immer wieder begeisterten sie auch da schon mit einzelnen Tango-Arrangements. Jetzt aber gibt es mit „Hora Cero“ Tango satt. Rund um berühmte und weniger berühmte Tangos von Astor Piazzolla gruppieren sich auch Stücke von Horacio Salgán, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, José Carli und Pasquale Stafano, der als Nachzügler (Geburtsjahr 1972) für eine jüngere Tango-Generation steht.

Die nächsten Konzerttermine der 12 Cellisten in Europa: 29.5. (Philharmonie Luxemburg), 29.10. (Amsterdam, Cellobiennale), 11.12. (München, Herkulessaal)


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Astor Piazzolla, Pasquale Stafano, Horacio Salgán, José Carli

Hora Cero

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker

Sony



© Stefan Roehl
© Uwe Arens/Sony Classical


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