Von Anna Vogt, 16.06.2017

Durch die Haut

Quietschige Geigen sind eher nicht so ihr Ding. Auch konzertante Opern finden sich nicht in der Playlist von niusic-Redakteurin Anna Vogt, denn denen fehlt etwas Entscheidendes. Stattdessen gibt's Cello-Romantik, Retro-Klassik und ein paar starke Beats.

Musik geht bei mir oft nicht nur in die Ohren, sondern direkt auch in die Finger, die Muskeln: Beim Hören des ersten Satzes der e-Moll-Sonate von Johannes Brahms spüre ich automatisch den Widerstand der tiefen C-Saite unter meinem Zeigefinger und das Holz, das sich erst gegen die erdigen Schwingungen dieser Musik sperrt, sich ihnen dann aber doch ergibt. Vielleicht hört man anders, körperlicher, wenn man selbst eine Zeit lang intensiv Musik gemacht hat und sich durch viel Repertoire gekämpft hat. Und dass Cello spielen eine körperliche Herausforderung ist, erlebt man bei Harriet Krijgh auf dieser Aufnahme, auch ohne sie zu sehen: Die holländische Cellistin holt gerade dieses etwas Spröde, Kraftvolle, aber auch Warme und Melancholische aus dem Cello raus, das die Musik von Brahms unbedingt braucht.



Musikalisiert wurde ich aber, schon vor dem Cello, durch das Streichquartett. Denn seit ich denken kann, probte jeden Donnerstag Abend das (Laien-)Streichquartett meines Vaters und tut es noch heute. Mozart und Rotwein: schönstes Bildungsbürgertum in der bayerischen Kleinstadt, für mich damals ganz normal. Über ein Jahrzehnt in Berlin und viele ganz unterschiedliche musikalische Begegnungen später bin ich mir zwar meiner Herkunft und Prägung bewusster und auch, dass diese ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Aber trotzdem oder gerade deswegen habe ich längst mein eigenes festes Streichquartett, das sich trifft, um die Quartett-Klassiker zu spielen und dabei das eine oder andere alkoholische Getränk zu sich nimmt. Ziemlich retro? Mir egal. Denn was gibt es Schöneres als etwa Mozarts Quartett Nr. 15 durch die Finger fließen zu lassen, wie auf dieser Aufnahme von The Lindsays. Auch am Kopfsatz des Streichquartetts von Ravel haben wir uns versucht, ohne Anspruch auf Perfektionismus, anders als das Quatuor Ébène. Auf dieser Aufnahme lebt jeder Ton, bekommt jede Phrase ganz neu ihre Berechtigung. Das ist unendlich schwierig und klingt unendlich leicht.

Graustufen und Gewaltexzesse

Zwei Jahre Arbeitserfahrung im Opernbetrieb und eine Doktorarbeit über Verdi, und dennoch findet man Oper in meiner Playlist nicht. Denn Opernmusik ohne Inszenierung ist für mich wie Pasta ohne Parmesan: Es fehlt etwas Entscheidendes. Also weiter in der Playlist zu: Schostakowitsch. Niemand sonst kennt die Graustufen, das Vieldeutige und Vage besser als er. Im langsamen Satz von Schostakowitschs 5. Sinfonie kann man diese ewige Ambivalenz spüren, die einem immer wieder den Atem stocken lässt. Aber es gibt bei ihm auch die andere Seite: das Gewalttätige, Brutale, Motorische. Dann kollidiert Musik mit Wahnsinn, und die Nackenhaare stellen sich auf, so wie im 3. Satz von Schostakowitschs Klavierquintett. Wenn sie gut gespielt sind und nicht zum Selbstzweck geraten, vermitteln solche technischen Exzesse die Urkraft von Musik, ob aus der Konserve oder – viel besser noch! – live. Dann erhöht sich der Puls automatisch und man kann sich nicht entziehen. Solche rhythmischen Automatismen mache ich mir manchmal auch im Alltag zunutze. Denn beim Joggen hält kaum einer mein Energielevel besser als: Fritz Kalkbrenner mit seinen Elektrobeats!

© nosha/flickr.com/CC BY-SA 2.0
© Anna Vogt


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