Von Jonas Zerweck, 26.04.2018

Mordscover

Schön sieht es schon aus, so wie die Klingen am geschnitzten Holz hängen, ein Hingucker ist es allemal. Aber dieses Cover ergibt wenig Sinn: Kämpfen hier zwei Musiker*innen gegeneinander? Und wie soll man diese Dinger eigentlich anfassen?

Violinen können säuseln und zirpen wie zwei süße Vögelchen, die sich im ersten Sonnenschein der Frühlingstage austoben – und besser auf die am Boden lauernde Gefahr achten sollten: schnurrende, kuschelige, aber ebenso hinterhältige Katzen. Und auch das sind Violinen, denn aggressives Kreischen wie das von zwei kämpfenden Katzen liegt ihnen genauso gut. Nun scheint es so, dass sich diese ambivalenten Klangmöglichkeiten der Instrumente auf ihre Musiker übertragen, die, von hinterhältigen Mordgedanken getrieben, Dolchklingen an die Wirbelkästen ihrer Geigen gesteckt haben.

Warum diese Umrüstung? Für jede Art von Stechen und Schneiden scheint diese Waffe ziemlich ungeeignet. Denn wie bitte soll man die Dinger anfassen? Schnecken liegen nicht besonders ergonomisch in der Hand, und man müsste seine Finger irgendwie zwischen die Wirbel quetschen. Dabei dreht man dann vermutlich an ihnen, sodass sich die Klinge unter dem Zugdruck verbiegt, der sonst die Saiten auf Spannung hält. Wo wir gerade dabei sind: Mordet es sich eigentlich besser auf 440 oder 443 Hertz? Musik damit zu machen, ist natürlich genauso undenkbar. Im Gegenteil: Würden Gwen Hoebig und Karl Stobbe ihre neuen „Violinen“ weiter so benutzen wie bisher, kämen sie ihren Halsschlagadern mit den Klingenspitzen gefährlich nahe. Bitte nicht! Selbstverletzungen nehmen Geiger*innen zwar oft hin, wie erst Nicola Benedetti ausstellte, aber übertreiben muss man es ja nicht.


Auch mit Blick auf die Besetzung machen die Duo-Dolche keinen Sinn. Hätten die Beiden die Waffen so in der Hand, wie angeordnet, würden sie sich gegenseitig bedrohen. Oder sagt die Darstellung lediglich aus, dass sie in entgegengesetzte Richtungen denken und arbeiten? Dass Hoebig und Stobbe an einem Strang ziehen, lässt sich auf diesem Cover jedenfalls nicht erkennen.

Zur Beruhigung: Das Booklet verrät, dass beide zur Drucklegung noch gelebt haben. Immerhin zeigt ein Bild, wie beide mit erhobenen (noch unversehrten) Geigen aufeinander losgehen, als wären es Schwerter. Unklar also, welche Klingengröße Hoebig und Stobbe am liebsten ist. Sehr klar dagegen: ihr Hang zur gewaltvollen Auseinandersetzung – auch wenn beide auf dem Bild lachen. Noch, jedenfalls.

Ihr musikalisches Spiel widerspricht all diesen Gedanken: Die Beiden musizieren dann doch gemeinsam als Duo – wenn auch nicht immer ganz sauber, folgen aber einer gemeinsamen musikalischen Idee und balancieren ihren Klang gut aus. Außerordentlich aggressiv oder körperlich abarbeitend klingt es trotz der stillen Gewalt auf dem Cover auch nicht, selbst in den schnellen Sätzen:



Fernab von jeder Interpretation des Covers oder dem gesundheitlichen Zustand der beiden Musiker will dieses symmetrisch fein konzipierte Bild aber natürlich doch auf etwas hinweisen: Jean-Marie Leclair, der Komponist der Werke, starb 1764 durch einen Dolch, möglicherweise dem seines Neffens. Dreimal hatte der Mörder zugestochen und damit eine ganz schöne Sauerei im Hausflur der Leclairs angerichtet, wo man die Leiche fand. Alles schon schlimm genug für den armen Jean-Marie. Doch warum haben nun die Gestalter des Covers die Violinen, durch die Leclairs Gefühlswelt in musikalischer Form bis heute weiterleben könnte, gegen Dolche ausgetauscht, durch die er schon körperlich starb? So aufgeräumt und klar strukturiert das Bild zunächst ästhetisch anspricht, in dieser grafischen Nüchternheit versteckt sich böse Ironie. Ist das schlimm? Nein, aber vermutlich genauso unbeabsichtigt wie die Aussage, dass hier zwei Musiker*innen gegeneinander arbeiten. Sieg der Ästhetik gegenüber der Aussage.


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