Von Peter Steinert, 04.12.2020

Musik, die blockiert

„Klassische Musik - politische Aktion“: Die Gruppe „lebenslaute“ protestiert und blockiert regelmäßig mit ihren Konzerten, wie etwa zurzeit im Dannenröder Wald. Die bühnenlosen Auftritte haben ihnen bereits den Aachener Friedenspreis gebracht. Doch braucht es zivilen Ungehorsam in der Musik?

niusic: Ihr beschreibt euch als basisdemokratische und offene Musik- und Aktionsgruppe. Was bedeutet das?

Gerd: Es geht darum, dass man Entscheidungen miteinander im persönlichen Gespräch trifft. Alle sollen zufrieden mit der Entscheidung sein und damit das passiert, stimmen wir nicht einfach ab, sondern tauschen uns in kleineren Bezugsgruppen aus.

Katinka: Im Januar gibt es immer ein Vorbereitungstreffen, bei dem über die Hauptaktion im Jahr entschieden wird. Alle, die Lust auf das Projekt haben, können kommen. Das ist sehr vielseitig und jedes Jahr wieder anders, doch von jung bis alt und von Laien bis Profis ist da alles vertreten. Es gibt einen Chor, ein Orchester und auch eine Aktionsunterstützung für die ganze Logistik. Und zu dem offenen Aspekt – als wir neulich als Quartett im Dannenröder Wald gespielt haben, kamen zum Beispiel Leute aus der Waldbesetzung, die selbst in einem Chor singen, und haben sich dann zu uns gesetzt und mitgesungen. Das ist sehr inspirierend, wenn Leute da so spontan mitmachen. Wir wurden dann von der Polizei geräumt, während wir „Wie nun, ihr Herren“ gespielt und gesungen haben. Davon gibt es auch ein Video im Netz.

niusic: Das passiert ja öfter, dass ihr euch während eurer Aktionen und Auftritte geltendem Recht widersetzt. Ein Buch, das ihr veröffentlicht habt, trägt außerdem den passenden Titel „Widerständige Musik an unmöglichen Orten“. Wieso denkt ihr, dass es diese Form des Protests braucht?

Gerd: Am Anfang, 1986 bei dem Raketenlager in Mutlangen, war es die Idee, dass man die musikalischen Fähigkeiten mit den Blockaden verbindet. Ziemlich bald wurde dann aber deutlich, dass die klassische Musik etwas Besonderes schafft, nämlich einen ganz krassen Gegensatz zwischen dieser gepflegten Musik, wir treten ja auch in Konzertkleidung auf, und den absurden Orten, an denen wir die Musik aufführen. Das ist ein geradezu zauberhaftes Moment, das die potentielle Gewalt auch eindämmt und verhindert.

Es wirkt natürlich anders, wenn du Friedensmusik vor einer Waffenfabrik aufführst und nicht im Konzertsaal.

Katinka: Wir fragen was legitim ist, nicht was legal ist. Unser Konzept ist es nicht, auf Bühnen zu spielen. Es wirkt natürlich anders, wenn du Friedensmusik vor einer Waffenfabrik aufführst und nicht im Konzertsaal. Wir treten an Orten auf, wo man es nicht erwartet. Und so ist es gerade auch im Dannenröder Forst: Die Polizei erwartet dort nicht Menschen mit Cello, Geige und Querflöte und weiß dann auch nicht so ganz, wie sie das einzuschätzen hat. Klassische Musik gehört eher in den Konzertsaal und wird nicht im Widerstand erwartet, deswegen hat es auch einen guten Überraschungsmoment. Außerdem verhilft es so einer Bewegung auch zu einer größeren Breite. Gerade beim Dannenröder Forst finde ich es im Moment auffällig, dass versucht wird, den Widerstand zu spalten. Ich glaube, eine besondere Rolle von lebenslaute ist da, zu zeigen, dass alle zusammengehören: die Aktivist:innen, die seit über einem Jahr im Wald sind, genauso wie die Bürgerinitiative, die seit vierzig Jahren gegen diese Autobahn kämpft. Ich glaube, wir können da mit der Musik ein gutes Bindeglied sein. Musik berührt ja auch. Bei der besagten Räumung von uns im Dannenröder Wald gab es zum Beispiel einen Polizisten, wo ich das Gefühl hatte, dass er auch selbst in Schwierigkeiten kam und nicht mehr wusste, was er machen soll.

niusic: Wie würdet ihr denn generell die Wirkung eurer Aktionen auf die Menschen beschreiben?

Katinka: Ich finde, es hat etwas Deeskalierendes und trotzdem etwas Entschiedenes. Um nochmal beim Dannenröder Forst zu bleiben: Wir wandern ja nicht morgens im Stockdunklen anderthalb Stunden durch das Unterholz, um dann nach der ersten Aufforderung der Polizei zu gehen. Wir sind schon entschieden, solange zu bleiben, wie es irgendwie geht. Die Polizei ist irritiert, während es bei den Aktivist:innen super ankommt. Als wir das letzte Mal aus dem Wald geführt wurden, haben die von oben aus den Bäumen alle gerufen und sich bedankt und waren völlig begeistert. Ich finde, wenn es nur einzelnen Aktivist:innen Mut macht, dann war es schon gut. Natürlich halten wir die Rodung damit nicht auf, aber viele kleine Sachen machen so einen Widerstand aus, und lebenslaute ist ein Puzzlestein davon.

Wir wandern ja nicht morgens im Stockdunklen anderthalb Stunden durch das Unterholz, um dann nach der ersten Aufforderung der Polizei zu gehen.

Gerd: Ich denke mir auch, dass viele Aktivist:innen gar nichts anderes kennen als Punk- oder Rap-Musik und alleine deswegen schon berührt werden, weil diese klassische Musik, die sie so als Einschlafmusik kennen, in den erstaunlichen Umgebungen eine ganz andere Power entwickelt.

niusic: Seid ihr protestierende Musizierende oder musizierende Protestierende?

Gerd: Wir sind eindeutig mehr Protestierende. Ohne Protest machen wir eigentlich als lebenslaute keine Musik. Als reines Orchester wären wir auch gar nicht gut genug. Unsere Konzerte haben immer auch den Charme des Improvisierten – die Aktion im Hintergrund ist das Wichtige.


niusic: Glaubt ihr, dass die Polizei „gnädiger“ mit euch umgeht als mit den Aktivist:innen? Und hat euer Aktivismus auch rechtliche Konsequenzen?

Gerd: Die Repressionen sind zu vernachlässigen, die sind vergleichsweise selten. In den letzten Jahren gab es zwar mal Bußgeldbescheide, aber da ist auch ein Widerspruch möglich. Und ja, ich glaube schon, dass die Polizei bei uns gnädiger ist. Manche stellen uns auch als „die Lieben“ dar und die, die nicht Musik machen, als „die Bösen“, aber damit muss man leben.

Katinka: Außerdem spielt es glaube ich eine Rolle, dass einige von uns auch schon etwas älter sind. Ich glaube, wenn es nur die klassische Musik wäre, aber eben nur von ganz jungen Menschen, wäre das nochmal etwas anderes. Ich bin jetzt seit ungefähr 10 Jahren regelmäßig bei lebenslaute dabei und in der Regel tritt die Polizei uns gegenüber friedlich auf und sehr zurückhaltend – also anders als gegenüber den Menschen, die in den Baumhäusern sitzen. Ich wurde einmal flötend weggetragen, das war alles sehr zuvorkommend und nett. Aber was ich jetzt zum ersten Mal erlebt habe war, dass im Dannenröder Forst der einen Geigerin mit Schwung ihr Instrument auf den Waldboden gedonnert wurde. Da war auch keine Presse da. Sowas habe ich vorher noch nie erlebt. Das schockt einen schon, dass ein Mensch überhaupt sowas machen kann.

niusic: Aus welchen Instrumenten besteht euer Ensemble?

Katinka: Das ist jedes Jahr anders. Je nachdem, welche Leute kommen, machen wir musikalisch das, was möglich ist. Wir waren auch schon in Symphonieorchester-Stärke, zum Beispiel beim Flughafen in Leipzig bei der Aktion „Piano und Forte statt Kriegstransporte“.


niusic: Wie entsteht euer Programm? Wie setzt sich euer Repertoire zusammen?

Gerd: Wir haben eine Musik-AG, die auch im Januar beginnt, und die zu dem Hauptthema jeweils die geeignete Musik sucht oder Texte umschreibt – zum Beispiel von Barock-Kantaten. Ich bin da auch dabei und eine der schönsten Aufgaben für mich war es, zum Thema „Bergwerk“ und „Kohle“ klassische Musik zu finden. Da bin ich zuerst auf eine wunderbare Szene in Richard Wagners „Siegfried“ gekommen, doch leider hat das viel zu viele Blechbläser erfordert, was wir nicht aufbringen konnten. Wir haben dann stattdessen ein wunderbares Lied aus „Der kleine Hobbit“ genommen, das sinngemäß mit den Worten endet: „Hätte man erst gar nicht das Gold aus der Erde geholt, dann wäre das Leben der Leute in Ruhe weitergegangen“. Und wir versuchen auch, dass Folklore- oder Pop-Elemente bei den Konzerten dabei sind.


Katinka: Zum Beispiel als wir vor dem Haupttor von Rheinmetall den „Blechbüchsenmarsch“ aus der Augsburger Puppenkiste gespielt haben. Da quält man sich den Beethoven, bis man ihn kann, und dann ist das Publikum völlig begeistert vom „Blechbüchsenmarsch“.

©lebenslaute


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