Von Jesper Klein, 28.10.2017

Kritische Töne

Für ein Festival zum Thema „Diktaturen“ lässt das KlangForum Heidelberg Politik von zeitgenössischer Musik durchleuchten. Doch welche Möglichkeiten haben Komponisten der Gegenwart überhaupt, um sich mit aktuellen politischen Geschehnissen auseinanderzusetzen? Ein Kommentar.

Wenn es für ein viertägiges Festival ein 168 Seiten starkes Programmbuch gibt, dann ist irgendetwas passiert. Und das ist es auch. Das KlangForum Heidelberg, ein kleiner aber feiner Verein für zeitgenössische Musik, hat sich für seinen 25. Geburtstag ein bemerkenswertes Thema ausgesucht: Diktaturen. Ein Party-Thema ist das nicht, wohl aber eines, das erläutert werden muss. Statt sich selbst zu feiern, wird also schwere Kost in Reinform aufgetischt. Zeitgenössische Musik und Politik, wie geht das zusammen?

In der Klassikwelt erlebt die Politisierung der Musik, obwohl immer schon ein Thema, ihren Höhepunkt. Die Ereignisse der Weltpolitik tun dazu ihr Übriges. Daniel Barenboim zum Beispiel, Dirigent und Ikone für Engagement abseits der Bühne, nahm sich jüngst sieben Minuten Zeit, um bei den berühmten Promenadenkonzerten der BBC in London an die europäische Gemeinschaft zu appellieren.



Für eine dezentere, aber ebenso unmissverständliche Variante entschied sich Pianist Igor Levit, der am gleichen Ort als Zugabe eine Liszt-Transkription von Ludwig van Beethovens „Ode an die Freude“ spielte, die Europahymne wohlgemerkt! Mit ein paar Takten Beethoven wird hier ein Konzert zum Politikum. Violinistin Lisa Batiashvili entschied sich gar, mit dem eigens in Auftrag gegebenen „Requiem für die Ukraine“ eine politische Botschaft zu senden. Im niusic-Interview sagte sie: „Wir sind ja nicht einfach nur Künstler, die mal vorbeischauen und schnell die Massen unterhalten. Wir sind Menschen mit Bewusstsein, die auch ein Beispiel sein sollten, auch politisch.“ Es ist klar, die Politik ist längst in der klassischen Musik angekommen.

Doch zeitgenössische Musik spricht oft nur ein kleineres Publikum an, verfügt daher über weniger Macht, weniger Möglichkeiten. Dass sie allerdings genauso scharf auf politische Missstände aufmerksam machen kann, zeigt das Diktaturen-Festival eindrucksvoll am längst verdrängten Fall der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann, die im Jahr 1977 Opfer der argentinischen Militärdiktatur wurde. Karin Haußmann hat nun den Briefwechsel Käsemanns mit ihren Eltern vertont und damit den Fall aktualisiert.

Der Fall Elisabeth Käsemann

Auch wenn es sich um eine historische Begebenheit handelt, gewinnt sie gerade vor dem Hintergund der gegenwärtigen politischen Lage etwas ungemein Dringliches. Unmittelbar assoziiert man aktuelle Fälle von unschuldig Verhafteten, denkt an den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel oder den Kreml-Kritiker Kirill Serebrennikov. Und so wird klar: Um politisch nachzuwirken, muss zeitgenössische Musik nicht zwangsläufig nur auf die Gegenwart zielen, der Blick in die Vergangenheit kann genauso stark und erhellend sein. Mit Mithatcan Öcal hat das Festival zudem einen Komponisten im Programm, der sich kompositorisch mit der brisanten politischen Gegenwart in seinem Heimatland Türkei auseinandersetzt. Von Tyrannen, die ihre Macht auf legaler Grundlage erwerben, ist im Programmbuch die Rede, von Qualen, Dunkelheit in unseren Seelen, Kreaturen, Monstern. „Bitte haben Sie Spaß!“, schreibt Öcal an das Ende seines Textes. Ach, wenn es doch so einfach wäre!

Wenn Musik kritisch auf Politik prallt, kann das begleitende Knirschen Dinge verändern. Und selbst wenn die Aula der Heidelberger Universität nicht voll ist, selbst wenn die Botschaft, die der Abend sendet, vielleicht keine direkten Auswirkungen auf die Politik hat und womöglich von lauteren Stimmen niedergeschrien wird: Musik und Musikschaffende beziehen Position, melden sich zu Gehör. Und das ist in einer Zeit, in der Demokratien bröckeln und Freiheit eingeschränkt wird, noch wichtiger als sonst.

© Deutscher Bundestag/Achim Melde
© Jeremias Nußbaum
© Esteban Cuya/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0


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