Er hatte seine Rede gut vorbereitet: Flüssig, nicht abgespult, und dank der eingestreuten selbstkritischen Witzchen wirkte sein Auftreten ebenso frisch wie seine Folien gut strukturiert waren. Aber im Herzen loderte das Feuer bei diesem Vertreter einer großen PR-Agentur, der uns im Espresso-Format einen Einblick in das Marketing auf Social Media gab. Wir, die wir nach Profession sehr bunt zusammengewürfelt waren, um ihn zu hören – Vertreter:innen von Ensembles, Kulturmanager:innen, PR-Leute, ich als Kulturjournalist – uns dämmerte erst durch seine Ergriffenheit, seine immer handkantiger geformten Sätze, seine leuchtenden Augen, welch Garten Eden sich hier auftat für die Zukunft von Musiker:innen und Ensembles. Denn er sprach von strategischem Marketing auf facebook so, als würde er uns Zugang zu höheren Weihen eröffnen. Ich weiß nicht, was mich mehr irritierte – seine sich steigernden Zahlen, die unbestritten sensationell waren, oder die unter allem angespanntem Interesse auch spürbare Ratlosigkeit, die im Raum umging. Die klassische Musik gehört traditionell nicht zu den early adoptern, auch nicht digital.
Gut, ich bin kein Werbefachmann, ich muss das vielleicht nicht wissen, könnte ich mir vormachen. Doch gerade, da jeder facebook kennt, fühlt man sich bei einem Blick hinter das vertraute, seidig abspulende Prokrastinationsgewebe aus timelines, Posts und Links, hinunter in den gewaltigen Maschinenraum, der es am Laufen hält und dabei Milliarden scheffelt, ein bisschen so, als hätte man seine Hausaufgaben nicht gemacht. Finanziell betrachtet dreht sich die Perspektive: Die Giganten der Wirtschaft sind ja in Wahrheit nur hohle Röhren der Konsumkanalisation. Der größte Handelskonzert amazon, der (so gut wie) nichts produziert, die Video-Wall YouTube, die keine Videos herstellt oder eben facebook, das in Wahrheit kein soziales Medium, sondern eine Werbeagentur ist. Mit einer perfekt gefütterten Zielgruppenkartei, die es täglich freiwillig aktualisiert bekommt.
Für ein solches Nischengewerbe wie die Musik, und dort gerade für Spezialensembles und junge Künstler:innen, ist das Social Marketing natürlich ein Segen. Denn erst damit gelingt es heute überhaupt, die sich immer stärker diversifizierende Szene an genau die Hörerin und den Käufer von Interesse zu bringen. Und das zu einem Spottpreis, erst recht verglichen mit den Anzeigenpreisen in Print und Radio. Und nachhaltiger noch dazu: Denn die wachsende Zahl an Followern und Fans wird hier persönlich gefüttert und gepflegt und entwickelt so eine Bindung direkt zum sich bewerbenden Musiker.
Und dazu braucht es content, content, content. 1,6 Milliarden User wollen täglich im Schnitt (!) eine Stunde Neues erfahren. Wer fleißiger interagiert, wer mehr und interessanteren content liefert, wird höher gerankt. Hier gewesen, das eingespielt, den getroffen. Tolles Konzert gehabt, super Aufnahmeprojekt angestoßen, soziales Engagement gezeigt – und um kein Spielverderber zu sein, auch noch an einer Challenge mitgemacht und Humor gezeigt. So wird aus Social Marketing, wenn man es ernst nimmt, bald eine eigene Säule im täglichen Zeitmanagement – vielleicht für den Pressemenschen des Ensembles, vielleicht aber auch für die junge Cellistin, die das nicht abgeben kann. Und eigentlich konzentriert üben wollte. Ein Hamsterrad beginnt sich zu drehen.
Ich hätte diese Argumentation auch in umgedrehter Reihenfolge bringen können, so sehr bedingen sich hier Wohl und Wehe. Außerdem sind Musiker:innen grundverschieden: Es gibt die Kommunikator:innen, denen das einen Heidenspaß macht. Die den Mehraufwand aus Lust am Technik-Gadget betreiben, mit Sinn für Perspektive tolle Handyvideos drehen und so tatsächlich Naheinblicke gewähren, die sich keine Marketingabteilung ausdenken könnte. Sie beherrschen die Klaviatur und können auf ihr Musik machen. Doch andere Musiker:innen sind nicht so technikaffin, kommunikativ und organisiert. Sie bekommen inzwischen zu spüren, dass es keine Frage des persönlichen Geschmacks ist, ob man in dieses Hamsterrad steigen möchte, sondern die Entscheidung mit der Wahl einer Musikerkarriere heute bereits getroffen wurde. Neu ist dabei, wie sehr aufgrund der persönlich gehaltenen Kommunikation die Person des Künstlers den Wert seiner Marke mitbestimmt, neben seiner Kunst. So sehr, dass Social Media-Profile bei Unterzeichnung eines Plattenvertrags in die Kontrolle des Labels übergehen – und im Zweifelsfall selbst bei Trennung dort verbleiben. Kritisch sehe ich aber noch etwas anderes: Dass dieses riesige Kreissystem aus unersättlichem digitalem Hunger und privater Contentproduktion bis zur Selbstaufbereitung und –ausbeutung eben kein freier Marktplatz ist, sondern ein erschaffenes, abgeriegeltes Forum. Dessen Regeln weit unfreier als im schlimmsten Markt durch Privatpersonen gesetzt werden, die sie ohne Transparenz oder Einspruchsrecht verändern können, wenn es denn mehr Werbeeinnahmen verspricht.
Sich deswegen nun den Vorzügen des Social Marketings verweigern? Wohl kaum, das wäre blauäugig. Doch wie dann die Vorzüge nutzen, ohne die eigenen Ressourcen an Zeit und Geld auffressen zu lassen und sich als Marke davon abhängig zu machen? Im Kreuzverhör zwischen Teufel und Belzebub bin ich zu keinem Schluss gekommen. Aber das ist die Natur von Hamsterrädern – je schneller man rennt, desto weniger kommt man vom Fleck.