Von Hannah Schmidt, 07.12.2019

MaL aNdErS

Ständig begegnen einem diese Konzerte, die mit dem Slogan „mal anders“ beworben werden: „Klassik mal anders“, „Jazz mal anders“, „Oper mal anders“. Hannah Schmidt kann es nicht mehr sehen.

Es begann bei einer verregneten Gartenparty. Nach einigen Flaschen Fassbrause und einer Zigarette im Dunkeln fing eine Bekannte an sich über miserable Kinderkonzertangebote zu echauffieren. Uninspiriert sei das meiste, was sie da erlebe, und vor allem so unnötig heruntergekürzt. Fast noch schlimmer in dieser ganzen Sache, so fiel uns aber nach und nach auf (außerdem auch bei Schul- und Erwachsenenkonzerten): Warum muss bei diesen Abenden, gerade bei Vermittlungskonzerten, eigentlich alles immer „mal anders“ sein? Diese Worte sind wie eine Krankheit, die sich durch die Konzerttitel frisst, sich an ihnen fest- und alles, was Inhalt sein könnte, aus ihnen heraussaugt. Verbale Blutegel einer missverstandenen Musikvermittlung.

In Dresden gibt es aktuell „Figaros Hochzeit mal anders“, in der Neuen Philharmonie Westfalen den „Totensonntag mal anders“

Ganz weit vorne bei dieser Methode mit dabei ist die Kölner Philharmonie, die eine komplette Reihe unter dem Titel „Klassik mal anders“ ins Leben gerufen hat, wo es dann im Grunde ganz normale Mottokonzerte zu hören gibt – Landschaften mit Strawinsky, Weihnachten mit Mozart, Vivaldi, Monteverdi und Rutter, Wasser mit Mendelssohn, Debussy und Britten –, allerdings mit dem Versprechen, dass hier irgendwie alles mal ganz „anders“ sei, als das Publikum das vermeintlich erwartet. In Dresden gibt es aktuell „Figaros Hochzeit mal anders“, in der Neuen Philharmonie Westfalen den „Totensonntag mal anders“, in Mannheim „B-A-C-H mal anders“, in Karlsruhe „Beethoven mal anders“, an der Grazer Oper „Humperdinck, einmal anders“, zudem ohne lange suchen zu müssen: „Orgel mal anders“ in Euskirchen, „Oper mal anders“ als eigenes Projekt eines Solisten auf Tour, es gibt einen „Chor mal anders“, „Geige mal anders“, „Harfe mal anders“ und so weiter und so fort.

Mal davon abgesehen, dass ich mich als Zuhörerin, die gerne ernst genommen werden möchte, von solchen Titeln schon immer schleimig angebiedert gefühlt habe (was auch für Jugendliche gelten dürfte, die genauso ernst genommen werden möchten), ist der Reflex der Veranstalter:innen hinter diesen Verzweiflungsformulierungen eigentlich verständlich: Man möchte Menschen dazu bringen, sich etwas anzusehen, was sie sich, wie man glaubt, sonst nie ansehen würden. Man glaubt zudem, dass das so sei, weil diese Menschen eine grundlegende Abneigung und Vorurteile gegenüber der Sache haben, für die man sie gewinnen will. Also wirbt man mit: „Das hier ist ein Konzert, aber keine Angst: Es ist ganz, ganz anders, als du das erwartest – es wird dir nämlich gefallen!“ Und in diesem Moment ist die semantische Falle schon längst zugeschnappt.

Man formuliert einen Slogan, der das Vorurteil erst bestätigt, und öffnet dann auf dieser Grundlage ein kleines Schlupfloch

Was ist passiert? Indem ein:e Veranstalter:in diesen Slogan verwendet (der ja zudem auch noch eine ganz furchtbare Floskel ist), hat er sich die Erwartungserwartung – also das, was er glaubt, was das Publikum erwartet – zu eigen gemacht. Man vermutet nicht nur, dass das Publikum eine auf Vorurteilen basierende Abneigung gegen sein Angebot hat, sondern nimmt sogar selbst diese Perspektive ein: „Mein Angebot ist uninteressant, weil es Klassik ist.“ Daraus folgend formuliert er aber nicht etwa einen Slogan, der vom Gegenteil überzeugen will, nein – er formuliert einen Slogan, der das Vorurteil erst bestätigt, und öffnet dann auf dieser Grundlage ein kleines Schlupfloch. Salopp formuliert sagt ein Satz wie „Figaros Hochzeit mal anders“: „Ja, ich weiß, Oper ist derbe langweilig. Deshalb machen wir diese eine Produktion ausnahmsweise mal ganz anders, für euch. Seht sie euch an!“ Schließlich verspricht der Begriff „anders“ ja irgendwie auch Aufregung, Prickeln, Abenteuer!

Am Ende ist es aber vor allem ein riesengroßer Konjunktiv, der da über der Programmplanung steht, und zudem ein Armutszeugnis für das Selbstbewusstsein. Denn was die Leute am Ende in diesen „mal anders“-Konzerten sehen und hören, ist natürlich die meiste Zeit ganz normale Klassik, Oper, Orgel, was auch immer, vielleicht etwas kürzer, vielleicht mit bunten Lichtern oder Landschaftsbildern vom Beamer, maximal mit etwas ungewöhnlichem Repertoire (aber das auch nicht allzu exzessiv). Das alles ist nichts, was nicht auch in einem „normalen“ Konzert passieren könnte, ohne als „anders“ gelabelt werden zu müssen. So gesehen sind die Zuschauer:innen um ihre Aufregung um das „Andere“ bei diesen Konzerten auch noch betrogen worden.

„Der BVB – mal ganz anders!“

Man stelle sich vor, dass Veranstalter:innen oder Verkäufer:innen, die sich sicherlich nicht um Publikum sorgen müssen, ihre Events und Produkte entsprechend benennen würden: „Der BVB – mal ganz anders!“, „Last night of the proms – but different“, „Das iPhone mal anders“, oder, um beim Genre zu bleiben: „Popmusik mal anders“ – welche Blöße gibt sich das! Vor allem würde genau diese Verschlagwortung dazu führen, dass die potenziellen Besucher:innen eher irritiert wären und möglicherweise wegblieben. Denn sie wollen ja genau das Gegenteil – den BVB, die Proms, das iPhone, Popmusik –, und zwar nicht irgendwie diffus seltsam ungreifbar glibberig „anders“. Sondern „richtig“.

Das kann man ganz genau so auch Menschen zutrauen, die man für ein klassisches Konzert gewinnen will. Veranstalter:innen können erwarten, dass diese Leute eben keine Mogelpackung kaufen wollen, wo ihnen irgendetwas Halbkonkretes angeboten wird, was dann auch noch „anders“ sein soll. Sondern dass sie Interesse haben an interessanten Programmen – und die können ja gerne so unterschiedlich bleiben, wie sie sind. Nehmt euer Publikum ernst! Und bitte, bitte, bitte – nicht „mal anders“!

© Mark Glancy/Pexels


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