Eine Person des öffentlichen Lebens wird beschuldigt, mehrere von ihr abhängige Menschen sexuell belästigt zu haben. Den ersten Vorwürfen folgen auch schnell erste Untersuchungen. Der Star will an die Organisation, die die Untersuchungen leitet, eine halbe Million Dollar überweisen. Dafür, so erzählen es Whistleblower, sollen die Untersuchungsergebnisse nicht an die Öffentlichkeit kommen. Doch dann fliegt alles auf.
Was klingt wie Intrigen aus „House of Cards“, ist vermutlich unsere Realität. Die New York Times berichtet über einen vermeintlichen Deal zwischen Vertretern des Opernsängers Plácido Domingo und der American Guild Of Musical Artists. Der Vizepräsident der AGMA trat mittlerweile, wie die New York Post berichtet, aus Protesten gegen diese Vereinbarungen zurück. Offiziell streiten beide Seiten weiter ab, aber es bleibt ein Beigeschmack in einem sowieso schon angekokelten Gericht.
Hier geht es nun keineswegs mehr um vorschnelles Verurteilen, der Bericht des Bühnenverbandes, nun wohl unabsichtlich an die Öffentlichkeit gelangt, bestätigt die Aussagen mehrerer Frauen aus dem letzten Jahr: Domingo war “engaged in inappropriate activity, ranging from flirtation to sexual advances, in and outside of the workplace.” Darunter fallen dann erzwungene Küsse und ungefragtes Anfassen.
Es wird hier schon lange mit zweierlei Maß gemessen: Südländischer Charme und die Anziehungskraft eines Stars zu seiner Zeit, sowie die angebliche Motivation der Frauen, etwas für ihre Karriere zu tun werden ins Feld geführt – fehlt eigentlich nur noch die Armlänge Abstand wie 2015 an der Kölner Domplatte.
Die Affäre, neben Siegfried Mauser und James Levine in der Sache selbst vielleicht nicht die verstörendste, und bisher nicht juristisch abgehandelt, zeigt aber noch einmal beispielhaft, woran die Branche krankt. Auf der einen Seite sind da die Veranstalter, auch mächtige Frauen, die den Beschuldigten, teilweise dann auch den Verurteilten, munter weiter die Stange halten, ob aus alter Freundschaft oder schlicht, weil sie die alten Cash-Cows noch möglichst lange auf ihren Bühnen melken wollen. Und auf der anderen Seite ist da die ungebrochene Nachfrage eines verklärten Publikums, dem es schon lange nicht mehr um die Musik, sondern um die blinde Unterstützung einer unfehlbaren Legende geht.
Verheerender aber ist, was dann den knapp bemessenen Platz der Klassik in den Medien, nun zugegebenermaßen auch hier, einnimmt und welches Bild im Kopf eines unbedarften Rezipienten hängen bleibt:
Der Klassikbetrieb als ein Konglomerat grabschender alter und mittelalter Männer, die Narrenfreiheit genießen.
Dabei gibt es sie immer wieder, die Lichtblicke, die zeigen, dass eine Sensibilisierung stattgefunden hat, und es gibt die Hoffnung, dass eine faire und gleichberechtigte Künstlergeneration nachwächst.
Tröpfelnd sagen nun auch Veranstalter Domingo immer weiter ab. Aber die Chance, eine starke gemeinsame Aussage zu treffen, ist bereits dahin. Ein Betrieb, der sonst allzu oft jammert, nicht mehr gesellschaftlich relevant zu sein, drückt sich um starke moralische Entscheidungen, zu einem Zeitpunkt, an dem nun wirklich nicht mehr „nur vorverurteilt“ wird. Und beruft sich auf den Schutz und die Genialität seiner großen Legenden, die fröhlich herumwüten wie Heuschrecken im Kornspeicher.
Dass Domingo die Musik selbst nicht mehr viel bedeutet, der Verdacht drängt sich spätestens nach seinem grausamen Walküre-Bayreuth-Abenteuer auf. Auf Hunderten Aufnahmen lässt sich weiter der grandiose Sänger Domingo genießen, für jeden, der Kunst und Person trennen kann – ohne dass man die nicht nur musikalisch fragwürdige Person jetzt weiter auf den Bühnen und im Licht der Öffentlichkeit featuren müsste.
In einer peinlichen Mischung aus Schuldeingeständnis, Entschuldigungen und Zurücknahmen demontiert der sich auch charakterlich gerade selbst – eine Farce, die in wirklich jeder Hinsicht nicht mehr zeitgemäß ist.
Die klassische Musik darf und sollte in ihrer Langsamkeit und der beinah rituellen Beschäftigung mit dem Vergangenen anders und ein bisschen von gestern sein, aber dann nicht auch noch in Sachen Rollenbildern und moralischem Verhalten. Sonst werden die Hürden für die Nachwuchshörerinnen und Konzertbesucher höher. Und die – hoffentlich aufgeklärten – Vermittler müde, sie anzupreisen oder zu verteidigen.