Von Alexander Gurdon, 17.03.2020

Fafner ist ein Prepper

Kreative Köpfe beginnen unter Quarantäne zu rauchen. Womöglich nicht nur der von Alexander Gurdon – im schlimmsten Fall betrifft es die Regisseure und Regisseurinnen da draußen, die uns nach der Krise mit allerlei Covid-19-Spaß auf der Bühne zuballern. Die niusic-Kolumne.

Das Corona-Virus wird uns alle lange beschäftigen. Persönlich, medizinisch, wirtschaftlich, kulturell. Wenn irgendwann eine neue Ruhe eingekehrt sein wird, werden auch dramaturgisch die Reste zusammengekehrt. Wieviele Buchideen und Theaterkonzepte just in diesem Moment ungeduscht auf den heimischen Quarantänesofas entstehen, ist eine kulturelle Dunkelziffer, der wir uns in den kommenden Monaten und Jahren werden stellen müssen. Und seien wir uns gewiss: Auch diese Inszenierungspandemie wird kommen. Umso besser ist es, auch hier vorbereitet zu sein.

Die perfekte Folie für diese Zwangsneusortierung unserer Gesellschaft ist Wagners „Ring“

Wieviele Opernsängerinnen werden wohl in den nächsten Spielzeiten ihre Liebesarien durch Mundschutze pressen? Wieviele Nabucchi und Fidelii werden in Ausgangssperren ihre Gefangenenchöre von italienischen Fenstern herabsingen? Und ob Mimis eiskaltes Händchen aus Puccinis „La Bohème“ wohl frisch gewaschen sein wird?
Doch wenn wir eine wirklich perfekte Folie für diese Zwangsneusortierung unserer Gesellschaft zur Verfügung haben, so ist es Wagners „Ring“. Das Universalgenie dieses Götter-und-Menschen-Kosmos wird auch für Covid-19 erhellend gerade stehen, so wie er sich zuvor für all die hinein interpretierbaren Abgründe von Macht und Psychologie, Liebe und Inzest, Menschlichkeit und Verrat schlüssig hergegeben hat.

Wenn die Börsen zusammenbrechen, ist Edelmetall nun eben kein erheischbarer Reichtum mehr – Desinfektionsmittel ist das neue Gold. Und der Rhein sprudelt hiervon über, dank seiner gesundheitsspendenden Quellen. Kein Wunder, dass die Rheintöchter ihn juchzend bewachen, und kein Wunder, dass es dem durchtriebenen Alberich gelingen wird, ihnen das Desinfektionsfläschchen hinterhältig abzuluchsen. Doch spätestens, wenn Fafner seinen Bruder wegen dieser Göttergoldmilch erschlagen wird, finden wir in ihm unseren Meister. In Drachengestalt zieht er in den Wald, fort, „der Niblungen Hort hütet er dort.“ Fafner ist ein Prepper. Schon bei Wagner, und bereitet sich hortend auf die Katastrophe vor. Doch sein Antipode Siegfried wird von WHO-Chef W(h)otan instruiert, die sterile Bastion Walhall zu schützen und der desinfizierten Götterwelt abgeschottet das Überleben zu garantieren. (Es ist eben kein Zufall, dass das Walhall-Leitmotiv in Des-Dur steht!)

Nicht das Desinfektionsmittelchen, sondern die Kultur ist unser Überlebenselixier

Der Rest ist bekannt: alles geht schief. Brünnhilde ist die letzte Nichtinfizierte außerhalb der Burg – klar, wenn sie Jahrzehnte hinter Feuer isoliert geschlafen hat. Sie verliebt sich in ihren Retter Siegfried, der schlussendlich aber das rettende Fläschchen mehr liebt als sie. Nur folgerichtig lässt sie das infektiöse Volk in die brennende Burg, bevor sie sich mit der letzten Rolle Klopapier in die Flammen stürzt.
Eine neue Welt bricht an. Hier wie dort. Hoffentlich werden wir bald wieder über sie lachen und uns kulturell austauschen können. Denn nicht das Desinfektionsmittelchen, sondern die Kultur ist unser Überlebenselixier. Und dann können wir darüber reden, ob nicht auch der Parsifal eine gute Masernparty abgeben würde.

© Hannah Schmidt
© unsplash


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.