niusic: Wie gut kennst Du Dich mit Komposition als Handwerk aus?
Feldmann: Ouh, Ich bin auf keinen Fall Experte, aber ich freu mich immer, wenn ich die Möglichkeit habe, selbst was zu schreiben. Die Kadenzen für Mozart-Violinkonzerte zum Beispiel schreibe ich auf jeden Fall immer selbst. Und auch jetzt im Konzert von Rautavaara sind die ersten paar Takte vom Komponisten vorgegeben, der Rest steht mir offen.
niusic: Es wird immer von der „Improvisation“ der Kadenz geredet. Jetzt hast Du gesagt, Du schreibst sie?
Feldmann: Klar schreibe ich die auf! Wie fast alle, würde ich sagen. Nein, das ist keine ad-hoc-Improvisation im eigentlichen Sinne. Du machst dir Gedanken übers Material, zeichnest dir einen Plan und setzt den dann mit spontanen Modifikationen um, wie es Dir an dem Abend gerade richtig erscheint. Also ein paar Verzierungen mehr oder weniger, ein bisschen mehr Zeit, ein bisschen volleren Ton, etc.
niusic: Wie gehst Du dann beim Basteln von Kadenzen vor?
Feldmann: Ich schau mir an, welche Motive sich in der Partitur finden lassen, und entscheide, welche davon besonders wirkungsvoll oder besonders interessant sind. Dabei muss man sich durch die Instrumentation in der Partitur wühlen und viel mit der Harmonik, die darunter liegt, beschäftigen.
niusic: Klingt nach etwas, womit man sich öfter auseinandersetzen sollte ...
Feldmann: Ja, definitiv! Ich finde das ganz toll, wenn ich ab und an moderne Kompositionen spiele, in denen der Komponist dem Interpreten da Freiraum lässt. Als klassisch ausgebildeter Musiker bist Du so fixiert darauf, jeden Takt des Notentextes ganz bedacht mit Deiner Interpretation zu füllen, dass Dir die Spontaneität oft fehlt. Obwohl gerade die natürlich für das Zusammenspiel mit anderen echt wichtig ist.
Tobias Feldmann
niusic: Du bringst auf Deiner CD das berühmte d-Moll-Violinkonzert von Sibelius mit Einojuhani Rautavaaras Violinkonzert zusammen. Abgesehen von den historischen Parallelen: Warum hast Du Dich für Rautavaara entschieden?
Feldmann: Die musikalischen Parallelen nicht zu vergessen, aber ja, mit Rautavaara bin ich tatsächlich schon ein bisschen länger vertraut. Ich habe vor ein paar Jahren mal im Bundesjugendorchester das Stück „Cantus Arcticus“ von ihm gespielt, ein Konzert für Vogelgesang und Orchester. Da wird über Lautsprecher Vogelgezwitscher abgespielt, das Rautavaara in Finnland aufgenommen hat, und das Orchester begleitet die Vögel sozusagen auf ihrer Reise. Ich war so fasziniert von der Idee und dem Klang damals, dass er mir im Gedächtnis geblieben ist, und als ich dann nach einem Violinkonzert für die Aufnahme gesucht habe, habe ich explizit bei ihm gesucht – und gefunden.
niusic: Wie hat das eigentlich funktioniert mit der Aufnahme? Also hast Du da bei der Auswahl der Stücke Narrenfreiheit?
Feldmann: Ich muss sagen, dass ich einfach wahnsinniges Glück hatte. Beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb kam das Label im Finale auf mich zu, bevor die Preise überhaupt bekannt gegeben wurden. Die haben mir einfach angeboten, drei CD-Aufnahmen zu produzieren, bei denen ich mir tatsächlich das Repertoire aussuchen können sollte. Mich hat das total gefreut, dass da jemand kommt und Dir so viel Vertrauen entgegenbringt, dass sie sagen „wir haben Dich gehört und finden Dich interessant, und uns ist es erstmal egal, welchen Preis Du bekommen wirst."
niusic: Du hast das erste Mal mit einem Orchester aufgenommen – was ist der größte Fehler, den man als junger Solist vor einem vorher fremden Orchester machen kann?
Feldmann: Ich glaube, ohne Rücksicht auf Verluste zu spielen. Klar sollte man bestimmt auftreten und eine Vorstellung haben, wohin man möchte. Sonst erreicht man diese achtzig Leute ja gar nicht. Aber man muss sich bewusst machen, dass das Orchester genau so wichtig ist für den Gesamtklang wie der Solist. Das hilft dabei, nicht wie ein Zug einfach stur nach einem Fahrplan ab-, und dann wegzufahren.
niusic: Du hast lange Fußball im Verein gespielt. Was ist der größte Unterschied zwischen einer Fußballmannschaft und einem Orchester?
Feldmann: Ui, das ist eine harte Nuss. (denkt lange nach) So viel Unterschied ist da tatsächlich nicht, solange es primär um das Zusammenspiel geht. Spontanes Reaktionsvermögen, wie es bei manchen Pässen im Fußball gefragt ist, braucht man genau so auch im Orchester. Wahrscheinlich ist der deutlichste Unterschied, dass es beim Orchester, auch in der oberen Liga, nie einen Gewinner und einen Verlierer gibt.
niusic: Dass Zusammenspiel für Dich ein großes Thema ist, merkt man an deiner Affinität zu Kammermusik. Ist der Solist Tobias ein anderer als der Kammermusiker?
Feldmann: Ein bisschen, ja. Du musst tendenziell mehr den Weg vorgeben als Solist, aber ich persönlich versuche, auch mit einem Orchester die Erfahrungen aus der Kammermusik einfließen zu lassen. Der Austausch von Ideen ist in der Kammermusik sehr viel direkter und intensiver. Ich komme immer wieder in die Situation, in der ich meine Vorstellungen von bestimmten musikalischen Gestaltungsweisen komplett umkehre, weil mir jemand eine Idee liefert, die für mich noch besser funktioniert. Und wenn dann im Orchester zum Beispiel die Cellisten sich ein bisschen mehr Zeit lassen bei einer Phrase, dann geh ich da gerne mal drauf ein. Wach sein, reagieren, Vorschläge unterbreiten – ein fruchtbares Hin und Her.
niusic: Hast Du Hörtipps für jemanden, der mit Kammermusik noch nicht warm geworden ist?
Feldmann: Ein Werk, das mir unglaublich am Herzen liegt ist Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“, dann – weil ich es vor kurzem erst gespielt habe und es für mich echt eine Entdeckung war – Béla Bartóks Klavierquintett und vielleicht Schuberts Streichquintett, gerade wegen des langsamen Satzes.
© Kippo Kaukas/Alpha