Von Malte Hemmerich, 06.12.2018

Dialogversuche

Beliebigkeit als bewusstes Risiko. Die „Dialoge“ in Salzburg spielen Zeitgenössische Musik – und wollen ein breites Publikum ansprechen: ein Gegensatz? Nicht für den neuen Intendanten Andreas Fladvad-Geier, der keine Angst vor Einfachheit hat, solange sie der Sache dient.

Die Salzburger „Dialoge“ beglücken die Stadt ein Wochenende im Winter mit Zeitgenössischer Musik. Aber wollen die Salzburger das überhaupt? Diese Kunst hat es, auch hier in der Musikstadt, nicht einfach. An der Planungsspitze der Reihe, die von der Stiftung Mozarteum ausgerichtet wird, steht seit diesem Jahr der Musikmanager Andreas Fladvad-Geier. Der Intendant hat große Pläne und einen ganz speziellen Blick auf die sogenannte Neue Musik. Malte Hemmerich trifft ihn zum Gespräch in der Stiftung Mozarteum, im Büro von Rolando Villazón, denn sein eigenes, so der Intendant, sei gerade zu unaufgeräumt.

niusic: Wenn man Sie googelt, ist eines der ersten Ergebnisse ein Video, in dem Sie eine Operettengala in Baden-Baden anpreisen. In Ihrem neuen Job haben Sie es nun viel schwerer ...

Fladvad-Geier: Haha. Großartig! Als ich hier frisch war, habe ich mit Villazón, meinem Gegenpart bei der Mozartwoche, gescherzt, du hast den Joker, du darfst Mozart verkaufen, ich hab den Schwarzen Peter und muss die Neue Musik anpreisen. Aber ehrlich: Letztendlich ist meine Energie bei jeder Musik gleich und die Motivation auch. Bei der Operettengala war das übrigens auch so: Nicht das vermeintlich Leichte zu spielen, sondern abseits auf Unbekanntes zu schauen. Dafür eine Linie finden. Meine Aufgabe hier wie dort ist, dafür zu sorgen, dass es kein langweiliger Abend wird. Es können Leute im Konzert sein und sagen, das liegt mir nicht und ist harter Tobak, aber langweilen dürfen sie sich nicht.

niusic: Gibt es denn so viel langweilige Zeitgenössische Musik?
Fladvad-Geier: Ich kenne Musik, die mich langweilt. Musik kann langweilig sein, wenn sie überfordert, nach manchen Tagen ist auch ein Streichquartett von Brahms zu voll mit Ideen. Oder eben schlecht gespielt. Und deshalb langweilig. Also die Gefahr haben Sie bei klassischem Repertoire eigentlich viel mehr.

niusic: Hier bei den „Dialogen“ haben Sie kein Expertenpublikum wie in Witten oder Donaueschingen. Wen wollen Sie ansprechen?
Fladvad-Geier: Ich will jedes Publikum ansprechen. Ich nehme „Dialoge“ als Auftrag wahr und möchte jedem Menschen einen Erlebnisraum mit dieser Musik schaffen, auch wenn er eigentlich Abstand dazu nimmt. Wenn ich mit jungen Komponisten spreche, möchten die aber vermittelt werden, möchten, dass mehr Leute im Publikum sind, als auf der Bühne. Dass Expertenpublikum hat sich die Neue Musik über Jahre erspielt, aber die Ströme sind nun viel vielfältiger. Und Musik zu vermitteln, wird in Zukunft unabdinglich, solange es sich nicht um Programmmusik handelt. Dann aber auch nicht in Häppchenkultur zu verfallen, ist eine Herausforderung.

niusic: Welcher noch lebende Komponist sollte mal einen Orchester-Essay über Ihr bisheriges Leben schreiben?
Fladvad-Geier: Schwere Frage. Wenn es um eine bestimmte Episode geht, dann Wolfgang Rihm. Aber sonst passt der Stil von John Adams glaube ich besser.

Zur Person: Andreas Fladvad-Geier

Mit Neuer Musik ist Fladvad-Geier zum ersten Mal im „unverständlichen Schulunterricht“ zusammengetroffen. Danach weckten erste Erfahrungen mit Neuer Oper in Düsseldorf sein Interesse an dieser Sparte.

Gebürtig aus Bad Soden, studierte er zuerst Theologie, dann Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Seit 2008 war er Ballett- und Opernreferent am Festspielhaus Baden-Baden, bevor er als Konzertchef der „Dialoge“ ans Mozarteum wechselte.

niusic: Würden Sie behaupten, Sie haben einen Überblick über die Szene?
Fladvad-Geier: Auf keinen Fall. Es wird eher immer schlimmer, je mehr ich stöbere. Am Anfang hätte ich es noch behauptet, dann wollte ich Neue Musik auch außerhalb von Mitteleuropa kennen lernen, und das war ein Fass ohne Boden: Skandinavien, eine schrecklich lebendige Szene in London ...Und davon, dass auch in Syrien Zeitgenössisches komponiert wird, will ich gar nicht anfangen. Das ist also uferlos, und das ist toll. Jeden Tag Entdeckungen und Faszinationen. Nur schwer, eine Linie zu finden ...

niusic: Genau. Bisher lief das hier in Salzburg immer mit einem Motto oder einem Komponisten im Fokus.
Fladvad-Geier: Jetzt nicht mehr. „Dialoge“, das reicht doch als Motto und Auftrag. Den zu schaffen, zwischen Publikum und Komponisten, zwischen Werken und Kunstsparten. Manch einem wird unser Programm in Zukunft beliebig vorkommen. Doch die Arbeit ist es eben, den Dialog als Themenfaden durchzuziehen. Die Musik unserer Zeit ist vielfältig, und das bilden wir ab.

„Vor Flapsigkeit, Einfachheit und der Plattitüde habe ich keine Angst.“

Andreas Fladvad-Geier

niusic: Trotzdem ist Ihre Aufgabe, qualitativ auszuwählen. Welche Kriterien haben Sie denn, trauen Sie sich Urteile über diese Musik zu?
Fladvad-Geier: Einerseits lasse ich mir helfen. Weil man ja sehr im eigenen Geschmack hängt, spreche ich mit Leuten, die sich länger damit beschäftigen und tiefer drinstecken. Und da ja alle Regeln und Kriterien aufgehoben sind, zählt dann nur, ob ich mir vorstellen kann, dass das Stück am Abend trägt und Leute berührt. Realität ist ja auch, dass nicht mehr alle Komponisten seriell, avantgardistisch schreiben. Es gibt keine sakrosankte Richtung mehr, und ich will eben auch diejenigen zeigen, die einen anderen Weg wählen. Alles andere, also eine Verbohrtheit, würde wieder dazu führen, dass Leute im Konzert sitzen, die das Gefühl haben, nichts zu verstehen, nicht angesprochen zu werden, aber gleichzeitig 50 Euro und Lebenszeit zu opfern.

niusic: Neuerdings wird bei den „Dialogen“ viel moderiert. Für mich sind da auch manchmal Plattitüden gefallen, Träumen, Reisen und so weiter. Sehen Sie da eine Gefahr, dass eben die richtigen Worte fehlen?
Fladvad-Geier: Ich will nur der Gefahr entgehen, Stücken eine Deutung aufzudrücken. Alles andere ist erlaubt. Vor Flapsigkeit, Einfachheit und Plattitüde habe ich keine Angst. Aber zum Beispiel aufgehende Sterne in Takt 20 anzukündigen, das ist schlecht, denn es zerstört Assoziationen. Klar, der Spagat mit floskelhafter Sprache und Verständlichkeit ist schwer und wir werden öfter mal danebentreten. Aber es geht ja nicht ums Anbiedern, sondern um die Sache. Dialogversuche.

niusic: Nach einem anstrengenden Arbeitstag haben Sie die Wahl zwischen verschiedenen Konzerten: Mozart-Requiem oder Orchesterwerke von Rihm und Saunders?
Fladvad-Geier: Ich würde zu den Leuten gehören, die dann ins Mozart-Requiem gehen. Ich glaube aber fest daran, dass der Veranstalter davor ganz natürlich und gekonnt ein Stück von Rihm programmieren könnte, und die Facetten und Details bei Mozart danach viel hörbarer werden. Warum also nicht kombinieren?

niusic: Also weg, von reinen Neue Musik-Abenden? Ist das die Zukunft der „Dialoge“?
Fladvad-Geier: Nein, es kommt übrigens auch immer darauf an, was für ein Publikum man an dem Abend erwartet. Daraus ergibt sich auch, wie viel und was man wie sinnvoll miteinander kombinieren kann. Nie darf das Bekannte einfach als Belohnung hinter der vermeintlichen Durststrecke Zeitgenössisches kommen, logisch. Wir bei den „Dialogen“ können übrigens, das ist der ausdrückliche Wunsch der Stiftung, in den nächsten Jahren wachsen. Und ich will mehr in die Stadt gehen. An ungewohnten Orten 15 Minuten spielen, dann ganz ohne Erklärungen nur die Musik zu ihrem Recht kommen lassen. Ob das als Werbung funktioniert, oder ein Xenakis am Salzburger Hauptbahnhof nur ein einmaliges Event wird, ist mir dann in dem Moment egal.

© ISM/Wolfgang Lienbacher


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