Von Christopher Warmuth, 17.09.2016

Kampfzone

Es gibt doch noch intelligente Köpfe, die sich in den Grenzbereich zwischen Klassik und Pop wagen. Der Musikbetrieb wird für gewöhnlich überflutet mit Misch-Masch-Crossover, der beide Seiten unbefriedigt zurücklässt. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Matthias Koch, Initiator beim Reeperbahn Festival für eine Klassik-Pop-Nischensektion, hat lange beim französischen Label „naïve“ gearbeitet. Auch dort gibt es zwei Kataloge: Klassik und Pop. Doch Koch will genau die Schnittstelle sein und denkt dabei – anders als der Rest – an beide Seiten.

niusic: Matthias, du sitzt gerne zwischen den Stühlen Klassik und Pop?

Matthias: Ja. Die Möglichkeit dazu hat man nur sehr selten. Normalerweise gibt es zwischen diesen beiden Welten wenig Austausch, selbst bei den großen Labels oder Institutionen kümmern sich die einen dann letztendlich doch um den Klassikkatalog und die anderen um den Pop. Selbst wenn dort Musik der Schnittstelle entsteht, fühlt man sich selten für beides verantwortlich. Es gibt hohe Hemmschwellen. Auf der einen Seite sagen die Pop-Leute natürlich über Klassik, dass sie elitär ist. Da denken viele an Konzerthäuser, die mit schweren Teppichen ausgelegt sind, Prunkbauten. Das alles kann einschüchtern.

niusic: Ok, das Drumherum kommuniziert einen gewissen Moment von Elitarismus. Aber die Musik?

Matthias: Es gibt ja immer diese Provokation der Klassischen Musik, dass man sich, wenn man sich ihr nähern will, das Gefühl der Ohnmacht bekommt. ‚Ich habe keine Ahnung in der riesigen Klassikabteilung in Kaufhäusern, was ich da hören soll‘, oder ‚Ich kenne mich mit Musiktheorie nicht aus‘. Das alles ist natürlich eine Hemmschwelle. Und auch das schüchtert ein.

niusic: Und bei den Klassikleuten in Bezug auf Popmusik?

Matthias: Die sagen eher selten, dass sie die Musik nicht verstehen, sondern stempeln sie – überspitzt gesagt – als Proletariatsmusik ab. Denken eben, dass das Gedudel ist, dass Pop sich sofort dem Ohr ergibt und nichts dahintersteckt. Eben keinen intellektuellen Anspruch hat.

niusic: Das ewig leidige Thema von U- und E-Musik.

Matthias: (lacht) Dürfte ja niemanden wundern, dass ich nicht in Kategorien wie U und E denke.

niusic: Sondern?

Matthias: Musik muss mich ergreifen, berühren, etwas mit mir anstellen. Und ich will Neues hören. Das muss ich nicht immer gut finden, aber ich bin persönlich der Typ, der sehr neugierig ist. Und das wünsche ich mir hier auch beim Reeperbahn Festival. Ich glaube, dass wir hier genau solch ein Publikum haben. Also beide Seiten. Und die will ich zusammenbringen.



„Ich würde mich einfach freuen, einen Raum zu kreieren, in dem Dinge stattfinden, die sich gegenseitig reiben, befruchten, und dass sich so letztendlich etwas bewegt.“

Matthias Koch

niusic: Ich kenne das aus dem Klassikbetrieb, dass da häufig versucht wird, die Pop-Leute für Klassik zu begeistern.

Matthias: Ich will das aber auch umgekehrt. Es geht nicht nur darum, was die Leute danach hören. Natürlich freue ich mich, wenn das Publikum nach einem Konzert mehr von der anderen Seite hört. Aber ich will die Musik dahingehend nicht instrumentalisieren. Ich will nicht sagen, dass das eine nur der „Appetizer“ für das andere ist. Ich will Diskurs. Der muss nicht immer angenehm sein, aber die Leute können nutzen, dass sie auch miteinander über Musik streiten können.

niusic: Wie sieht das konkret aus?

Matthias: Wir machen hier ein Konzert in einem Club mit Olga Scheps und Mahan Esfahani. Da habe ich schon etwas Angst, ob das voll wird …

niusic: Ja? Ist doch gerade total gefragt, Klassik im Club.

Matthias: Ich weiß, dass es in Berlin da sehr viel gibt. Aber bundesweit ist das gar nicht so dicht vertreten. Bei uns kann man halt keine separaten Konzertkarten kaufen, sondern nur Tagestickets für alles. Und ob sich da jemand dazu hinreißen lässt, sich dann Klassik im Club anzuhören, anstatt gleichzeitig zu Pop-Bands zu gehen, ist spannend.

niusic: Matthias Koch, der Mediator der zwei Welten. Hört sich ja schon fast etwas vermessen an …

Matthias: (lacht) Nein, das will ich gar nicht. Ich will Menschen zusammenbringen. Es gibt bei all dem natürlich immer auch den wirtschaftlichen Aspekt. Das ist mein Berufsrisiko. Nur ist mein Motor, das zu tun, nicht, dass ich im pädagogischen Sinne irgendjemanden belehren will. Ich würde mich einfach freuen, einen Raum zu kreieren, in dem Dinge stattfinden, die sich gegenseitig reiben, befruchten, und dass sich so letztendlich etwas bewegt. Was dabei herauskommt, weiß ich selbst nicht. Das ist doch genial!

Reeperbahn Festival 2016

Vier Tage lang brettern Musiker aus allen Genres durch Hamburg: 400 Bands, 700 Programmpunkte. Das ist verrückt. Und das alles funktioniert ohne die wirklichen Stars, maximal Sternchen sind zu sehen. In der elften Ausgabe des „Reeperbahn Festivals“ rechnen die Macher mit 35.000 Gästen. Die Diskussionsveranstaltungen kreieren den Mischcharakter aus Börsentreffen und multistilistischem Festival, Musik, Literatur und Bildender Kunst und Klassik.

Mahan Esfahani und Olga Scheps beim Reeperbahn Festival
Do, 22.09.2016, Resonanzraum

OLGA SCHEPS / 22:00 Uhr
Satie steht auf dem Plan! Er wurde vor 150 Jahren geboren, Scheps ist auf den Geburtstagswahn aufgesprungen und hat eine Platte aufgenommen. Es gibt aber nicht nur Altbekanntes, sondern auch Unbekannteres von Erik Satie.

MAHAN ESFAHANI / 23:45 Uhr
Ein Starrsinniger, ein Cembalo und Bach. Die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach führt Mahan Esfahani originalgetreu am Cembalo auf. Da werden die feinen, mathematischen Melodielinien im Diskolicht glitzern.

© Heiko Sehrsam/Reeperbahn Festival
© Sven Grot


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