Von Sebastian Herold, 21.02.2019

And The Winner Is ...

Bombast mit Substanz, japanische Trommeln und große Musical-Gefühle – die Filmmusiken, die in diesem Jahr die Chance auf einen Oscar haben, sind erfreulich vielseitig. Wir geben Euch im Schnelldurchlauf schon mal die wichtigsten Infos zu den diesjährigen Kandidaten.

Februar ist Oscar-Zeit. Was liegt da für ein Musikmagazin näher, als den Fokus auf die Filmmusiken zu richten, die bei diesem Hollywood-Großereignis im Rampenlicht stehen? Immerhin finden sich in vielen Filmscores Elemente der klassisch-romantischen Tradition: von der orchestralen oder kammermusikalischen Besetzung bis hin zur Komposition mit Leitmotiven.

Die Oscars stehen als mediales Ereignis der Superlative unter besonderer, auch kritischer Beobachtung. 2016 hatte sich unter dem Hashtag #OscarsSoWhite eine Diskussion über den geringen Anteil nicht-weißer Nominierter entwickelt. Daraufhin nahm sich die ausrichtende Academy of Motion Picture Arts and Sciences vor, die Nominierungen ausgewogener zu gestalten, sowohl im Hinblick auf ethnische Diversität als auch auf Geschlechterverteilung. Ein Jahr später gewann Moonlight den Oscar als bester Film. Auch drei der fünf Filme, deren Musik 2019 für einen Oscar nominiert ist, lassen sich mit #OscarsSoWhite oder auch im weitesten Sinne mit der #BlackLivesMatter-Bewegung in Verbindung bringen.

Wie klingen nun also die Filmscores, die am 24. Februar eine Chance auf den Academy Award haben? Und wie stehen ihre Gewinnchancen?

Black Panther (Ludwig Göransson)

Worum geht’s?
Superhelden dominieren die Kinocharts, ganz besonders die Figuren der Marvel-Comics. Vier der zehn erfolgreichsten Filme des Jahres 2018 in den USA waren (Ko-)Produktionen der Marvel Studios. Black Panther war dort sogar der insgesamt erfolgreichste Film des Jahres. Der gleichnamige Marvel-Held war 1966 der erste afrikanische Superheld im amerikanischen Mainstream-Comic. Regisseur Ryan Coogler erzählt in seinem Film die Geschichte des Black Panther alias T’Challa, der seinem Vater auf dem Königsthron in Wakanda nachfolgen soll, einem fiktiven afrikanischen Staat, der seine reichen Vorkommen des wundersamen Vibranium vor der Welt verbirgt. Es geht um Identität, Unterdrückung, aber auch Nationalismus.

Wie klingt’s?
Ludwig Göransson hat im Vorfeld gründlich recherchiert und die Musik zweier westafrikanischer Volksstämme in seinen Score integriert. Seine Filmmusik ist einerseits eine konventionelle Superheldenmusik, was die Lautstärke und die pathetische Grundhaltung angeht. Aber trotz der bombastischen Oberfläche vermeidet er musikalische Klischees. Statt eine glatte Heldenfanfare einzusetzen, schichtet er für das Hauptthema des Protagonisten die Klänge afrikanischer „talking drums“, die dessen Namen imitieren, royale repetitive Blech-Salven und ein aufstrebendes Thema, das auch schon mal eine harmonisch ungewohnte Wendung nimmt. Und statt eines gedämpften Klaviersounds mit der extra-gefühlvollen Überdosis Hall schreibt Göransson eine eindringliche Streicherphrase, die mit dem verstorbenen Vater der Hauptfigur verbunden ist.

Oscar-Chancen?
Nicht schlecht. Die Verbindung von Superhelden-Tradition und neuen Ideen könnte der Jury gefallen. Aber es gibt noch andere vielversprechende Kandidaten.



BlacKkKlansman (Terence Blanchard)

Worum geht’s?
In einer Zeit, in der sich der US-Präsident bisweilen nicht sehr deutlich von den Anhängern einer Vorherrschaft der Weißen abgrenzt, wirft Spike Lee einen Blick zurück in die 1970er-Jahre und verfilmt die Erlebnisse von Ron Stallworth. Er war damals der erste afroamerikanische Polizist in Colorado Springs und ermittelte zusammen mit einem Kollegen undercover gegen den Ku-Klux-Klan. Das kann absurd witzig sein, etwa wenn Ron mit seinem echten Namen beim Klan anruft und sich mit Anführer David Duke über Nicht-Arier auslässt. Doch die Komik wird von Irritationen überschattet. Am Ende steht das Entsetzen über die realen Folgen des Extremismus wie 2017 in Charlottesville.

Wie klingt’s?
Der Jazz-Trompeter und Komponist Terence Blanchard verbindet klassische orchestrale Filmmusik-Klänge mit zeittypischen Funk- und Soul-Elementen; Ron erhält ein eingängiges Motiv mit E-Gitarre und Drums. Manchmal schafft es die Musik, eindringlich und harmonisch reibungsvoll das Unbehagen gegenüber dem Klan und seiner Ideologie zu artikulieren, am eindrucksvollsten im beklemmenden Schlussstück „Photo Opps“. Aber manchmal ist sie auch nah dran an fast banaler, konventioneller Untermalung.

Oscar-Chancen?
Im Vergleich mit den anderen, individuelleren Scores eher gering.



Gute Filmmusiken lösen sich zuweilen von ihrem ursprünglichen Medium und erlangen eigene Bleibtheit, etwa, wenn sie das Lebensgefühl einer Zeit einfangen. Manche sinfonischen Scores sind so gut gemacht, dass sie als eigens arrangierte Suiten Einzug in die Konzertprogramme von Orchestern finden. Seit längerem erobern auch wieder Filmvorführungen mit Livemusik den Konzertsaal, wie bereits in der Frühzeit des Kinos. Und sie sprechen ein anderes, nicht zwangsläufig konzertgewohntes Publikum an, denn im Konzertsaal wird das Orchester durch den Live-Aspekt zur Hauptattraktion. Welche Tücken man beim Dirigieren von Scores beachten muss, darüber haben wir mit dem Komponisten und Dirigenten Benjamin Pope gesprochen. Im März dirigiert er Filmlivekonzerte jenes ersten „Star Wars“-Films, mit dem John Williams einem ganzen Genre eine neue Tonsprache gab.

Interview mit dem Komponisten und Filmmusik-Dirigenten Benjamin Pope

If Beale Street Could Talk (Nicholas Britell)

Worum geht’s?
Wiederum 70er-Jahre, diesmal in Harlem: Regisseur Barry Jenkins hat einen Roman von James Baldwin verfilmt, einer der prägenden Figuren der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Es ist die Liebesgeschichte von Tish und Fonny. Als Fonny unschuldig ins Gefängnis kommt, versucht Tish, seine Unschuld zu beweisen, bevor ihr gemeinsames Kind geboren wird. In Deutschland kommt der Film unter dem Namen Beale Street am 7. März in die Kinos.

Wie klingt’s?
Schon für Moonlight hatte Nicholas Britell eine wunderbar sensible (und ebenfalls oscarnominierte) Filmmusik geschrieben. Auch für Jenkins‘ neuen Film vertraut Britell ganz auf die Wirkung der ruhigen Töne. Mit gedämpften Streichern, Klavier und einzelnen anderen Instrumenten schafft er eine Musik, die das Potenzial hat, beim Kinogänger tiefe Gefühle zu erzeugen, ohne dafür mit Klischees die Tränendrüse zu strapazieren. Und ähnlich wie Chirons musikalisches Thema in Moonlight zieht sich in Beale Street vor allem ein markanter Klang durch den ganzen Score: träumerische Bläser-Akkorde mit Jazz-Anklängen (wie in „The Children Of Our Age“). Es bleibt spannend zu sehen, wie Britells Musik mit dem Film zusammenwirkt. Sie macht jedenfalls enorm neugierig.

Oscar-Chancen?
Gut! Die Dichte und Intimität dieser Musik könnte die Oscar-Jury überzeugen. Es wäre ihm zu wünschen.



Isle Of Dogs (Alexandre Desplat)

Worum geht’s?
Japan, in der nahen Zukunft. Nach Ausbruch einer Hundegrippe werden alle Hunde verfolgt und auf Trash Island isoliert. Der Junge Atari macht sich auf den Weg zur Insel und gemeinsam mit einer Truppe von zotteligen Vierbeinern auf die Suche nach seinem Hund Spots.

Wie klingt’s?
Passend zum eigenwilligen Stop-Motion-Animationsstil des Films hat Alexandre Desplat eine ebenso individuelle und markante Musik geschrieben. Sie ist fast permanent von japanischen Taiko-Trommelschlägen im Vierer-Metrum durchzogen, dazu kommen schräge Flöten-Einwürfe, ein gezupfter Kontrabass oder auch ein finsteres Männerchor-Motiv. Der motorische Grundrhythmus schafft Kontinuität, treibt die Handlung spannungsreich voran und ergänzt die symmetrischen Filmbilder. Der Musik gelingt auf ganz eigene Weise ein Spagat zwischen bloßer Untermalung und starker Eigenrolle: Sie drängt sich nicht in den Vordergrund, ist aber doch aus sich heraus so besonders, dass sie auch unabhängig vom Film faszinieren kann.

Oscar-Chancen?
Eher gering. Die Musik ist zwar wirklich originell, aber große Gefühlsspektren werden nicht bedient. Außerdem hat Desplat die Trophäe in den letzten Jahren schon zweimal gewonnen.



Mary Poppins Returns (Marc Shaiman)

Worum geht’s?
Das Original von 1964 ist eine Film- und Filmmusiklegende: Mary Poppins, das Kindermädchen, das die Kinder der Familie Banks eigentlich streng erziehen soll, zeigt den Kindern, wie man sich die Arbeit mit ein bisschen Kreativität versüßen kann – und dem geschäftigen Vater, dass er die Energie und Fantasie seiner Kinder viel stärker unterstützen sollte. In der Fortsetzung kehrt Mary Poppins zurück, diesmal zu den nun erwachsenen Banks-Kindern samt Nachwuchs, die sich gegen die Zwangsräumung ihres Elternhauses wehren müssen.

Wie klingt’s?
Marc Shaiman hat eine bezaubernde, opulent orchestrierte Musik komponiert, die sich vor der Musik des alten Films nicht verstecken muss. In manchen Filmkritiken war zu lesen, die Songs seien nicht so eingängig, nicht so ohrwurmtauglich wie die des alten Films. Wer das behauptet, hat vielleicht ein Lied wie „Lovely London Sky“ noch nicht zwei- oder dreimal gehört. Einmal hören macht ohnehin selten einen Ohrwurm, sondern idealerweise Lust aufs Wiederhören. Und dass wir die Lieder des alten Films so sehr im Ohr haben, ist kein Wunder, weil sie seit Generationen in der Popkultur und im allgemeinen musikalischen Gedächtnis verankert sind.

Oscar-Chancen?
An sich gut. Aber vielleicht entscheidet sich die Jury auch lieber für einen aktuelleren künstlerischen Ansatz statt für eine Musical-Hommage, die eher in die Vergangenheit schaut, und deren Vorgänger auch damals schon oscarprämiert wurde. Verdient hätte es die Musik trotzdem.



Die Oscar-Verleihung 2019

Wer spät zu Bett geht bzw. sehr früh aufsteht, kann die diesjährige Oscar-Verleihung im Fernsehen verfolgen: Pro7 überträgt die Veranstaltung in der Nacht vom 24. auf den 25. Februar ab 2 Uhr.

Fonny (Stephan James) und Tish (KiKi Layne) beim Tanzen, Szene aus "Beale Street" © Tatum Mangus Annapurna Pictures DCMc
© Pixabay


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