Von Silja Vinzens, 02.07.2020

Durchatmen

Weg von spärlich bestuhlten Sälen, hinaus in die Freiheit: Das Internationale Musikfestival Koblenz reagiert auf die Krise und präsentiert sein Programm dieses Jahr kurzerhand an den schönsten Plätzen des Rheintals. Was sich Leiter Benedict Kloeckner dazu ausgedacht hat, verrät er im Interview.

„Ich habe mitbekommen, wie es in manchem Konzertsaal kurz nach Auflösung der strengen Regeln aussah und finde, dass das schon etwas Beklemmendes hat. “

Benedict Kloeckner

niusic: Mehrere Wochen hintereinander ohne Konzert und ohne Publikum: Konnten Sie die Zwangspause produktiv nutzen?

Benedict Kloeckner: Das war ein Prozess. Als die ersten Konzerte ausfielen und so langsam klar wurde, dass man länger nicht mehr auftreten darf, habe ich mir vorgenommen, jeden Tag einen Satz aus einer Bach-Suite im Livestream zu spielen. Das war ein gewisser Bühnenersatz – zum einen, weil ich finde, dass Bach unglaublich tröstliche Musik geschrieben hat und zum anderen, weil ich dadurch in Form geblieben bin und ein Ziel hatte, auf das ich hinarbeiten konnte. Bei 36 Sätzen insgesamt war ich im ersten Monat des Lockdowns also zunächst beschäftigt. Aber als das dann vorbei war und ich es ein paar Tage hab ruhiger angehen lassen, da habe ich nicht nur das Bühnenerlebnis selbst, sondern vor allem auch das gemeinsame Spielen mit anderen Musiker:innen vermisst. Ich habe zwar auch ein paar Projekte gemacht, bei denen man einen Track aufgenommen hat und der andere seine Stimme digital mit einem zweiten Track hinzugefügt hat, aber das ersetzt natürlich niemals das Live-Musizieren und die Möglichkeit, spontan aufeinander zu reagieren.

niusic: Viele Festivals verzichten in diesem Jahr ganz auf die Saison. Wann war Ihnen klar, dass das IMUKO trotzdem stattfinden soll?

Kloeckner: Wir haben uns lange Gedanken darüber gemacht, denn es ist natürlich ganz klar, dass die Sicherheit der Menschen – so schön das Livekonzert ist – vorgeht. Am Ende stand ich vor der Frage, was ein Konzerterlebnis wäre, das man verantworten kann und welches trotzdem nicht durch die ganzen Abstandsregeln und einsamen Stühle in einem großen Saal skurril wirkt oder negativ belastet wird. Ich habe mitbekommen, wie es in manchem Konzertsaal kurz nach Auflösung der strengen Regeln aussah und finde, dass das schon etwas Beklemmendes hat. Die wunderschönen Orte am Rhein mit Schlossparks und alten Klöstern waren dann die Antwort. Viele der Betreiber:innen dieser Orte sind selbst durch die Krise in Not geraten und daher sofort unglaublich offen und hilfsbereit gewesen, diese Areale für Open-Air-Konzerte zur Verfügung zu stellen. Für die Umsetzung habe ich mich schnell mit Freunden und Bekannten zusammengetan: einem Tonmeister, der sonst beim Molyvos-Festival, das auch viel unter freiem Himmel stattfindet, im Einsatz ist, und einem Freund von den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, der nun ein großartiges Sicherheitskonzept entworfen hat. So waren wir bald an dem Punkt, zu sagen: Okay, unter diesen Umständen ist das sogar eine Chance, Kammermusikkonzerte mal in einem anderen Format zu präsentieren. Zumal ich glaube, dass viele Menschen wieder richtig Hunger auf Kultur haben. Der Wunsch nach dem Live-Erlebnis ist groß.

niusic: Stichwort „Open Air“: Wie genau werden Sie in diesem Sommer den Wetterbericht verfolgen?

Kloeckner: Extrem genau! (lacht) Zwar haben wir ein paar Alternativmöglichkeiten, aber abgesehen davon wäre es wünschenswert, dass wir griechische Verhältnisse bekommen und es möglichst trocken bleibt.

niusic: Es wird 22 Konzerte geben. Eine ganz schön stolze Zahl. Konnten Sie auf das ursprünglich geplante Programm zurückgreifen oder ist das jetzt alles ganz neu?

Kloeckner: Das ist mehr oder weniger neu entstanden. Wir hatten vor Corona beispielsweise mit Beethovens Tripelkonzert zur Eröffnung geplant, sowas ist natürlich jetzt alles nicht mehr denkbar. Daher haben wir den überwiegenden Teil neu konzipiert. Jetzt gibt es immer an verschiedenen Wochenenden entlang des gesamten Rheins und ein Stück ins Rheingau hinein Programme, die sich teils auch wiederholen werden, um mehr Menschen teilhaben zu lassen. Was dieses Jahr außerdem neu ist: Wir werden alle Konzerte über eine Plattform streamen, da wir die technischen Voraussetzungen durch das Open Air eh schon vor Ort haben.

„Letztendlich beschleunigt Corona ja Entwicklungen, die es vorher schon gab.“

Benedict Kloeckner

niusic: Sie haben auch sechs Komponist:innen von ganz verschiedenen Kontinenten damit beauftragt, ein Werk in Bezug zur Corona-Krise für das Festival beziehungsweise für Solo-Cello zu komponieren. Die Stücke kombinieren Sie dann mit den Cello-Suiten von Bach. Auf was dürfen sich die Besucher:innen da einstellen?

Kloeckner: Ganz unterschiedliche Nationen musikalisch in Zeiten von Corona abzubilden, war der Ausgangspunkt meiner Idee zu diesem Projekt. Mit dabei sind Bongani Ndodana-Breen aus Südafrika, Howard Blake aus Großbritannien, Elena Kats Chernin aus Australien, José Elizondo aus Mexiko, Daj Fujikura aus Japan und Geoffrey Gordon aus den USA sowie Eric Tanguy aus Frankreich. Fünf der Werke habe ich jetzt schon bekommen und glaube, dass das ein ganz spannender Kontrapunkt aus unserer Zeit zu der Musik von Bach wird, mit der die Werke ja bei dem Konzert kombiniert werden. Schön ist es auch, zu sehen, dass jede:r eigene Gedanken zur Krise musikalisch verarbeitet hat. Nicht, dass man jetzt unbedingt sofort heraushört, welches Werk aus den USA kommt und welches aus Frankreich, aber jede:r hat eben eine ganz eigene Tonsprache.

niusic: Denken Sie, dass sich manches – vor allem Digitales – in der Klassikbranche auch über Corona hinaus halten wird?

Kloeckner: Ja, das könnte ich mir durchaus vorstellen. Letztendlich beschleunigt Corona ja Entwicklungen, die es vorher schon gab. Und das Digitale hat sich ja auch früher bereits in der Musik abgezeichnet, die Berliner Philharmoniker haben es mit ihrer Digital Concert Hall vorgemacht. Dass man damit ein großes und viel weiter gefasstes Publikum erreicht, ist sicher auch ein unglaublicher Vorteil.

„Vor allem aber freue ich mich auf das Wiedersehen mit den vielen tollen Künstler:innen und Musikerfreund:innen. “

Benedict Kloeckner

niusic: Kleine und große Festivals haben sich ziemlich gleich zu Beginn der Krise zum Forum Musik Festivals zusammengetan. Sie sind für das IMUKO auch dabei. Welche Erkenntnisse haben Sie aus dieser Zusammenarbeit gewonnen?

Kloeckner: Es ist zum einen sehr spannend, sich mit so vielen verschiedenen Festivalmacher:innen auszutauschen. Zum anderen sind die Probleme bei uns allen sehr ähnlich. Somit hat dieser Verbund verschiedene Vorzüge: den Erfahrungs- und Informationsaustausch, Sicherheits- und Konzertkonzepte zu besprechen und den politischen Einfluss, den man gemeinsam nehmen kann. Denn es besteht natürlich schon die Gefahr des Festivalsterbens, wenn nicht bestimmte Maßnahmen ergriffen werden.

niusic: Zum Schluss noch eine unfaire Frage: Gibt es ein oder zwei Konzerte, auf die Sie sich besonders freuen?

Kloeckner: (lacht) Ich freue mich natürlich auf alle Konzerte. Klar, das Spielen der neuen Kompositionen wird spannend – allein das Gefühl, gerade erst geschriebene Musik aufzuführen, wo die Tinte noch frisch ist, sozusagen. Vor allem aber freue ich mich auf das Wiedersehen mit den vielen tollen Künstler:innen und Musikerfreund:innen.

Über den Künstler und Festivalleiter

Der Cellist Benedict Kloeckner, geboren 1989, konzertiert weltweit als Solist mit Orchestern wie dem Royal Philharmonic Orchestra London, der Deutschen Radiophilharmonie oder auch der Kremerata Baltica. Seit 2014 ist Benedict Klöckner der künstlerische Leiter des von ihm gegründeten „Internationalen Musikfestival Koblenz“, kurz IMUKO, mit hochkarätigen Konzerten und Künstler:innen wie Vilde Frang, Tianwa Yang, Boris Giltburg und dem Münchner Kammerorchester.

Fotos: Anna Becker, Marco Borggreve


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