#zukunftsbühne

Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.

Von Sebastian Herold, 30.03.2019

Die Alleskönner

Zwischen CD-Perfektion und Authentizität – die Anforderungen an Opernsängerinnen und -sänger sind ständig im Wandel. Wir richten den Blick auf die Aufführenden der Heidelberger Produktion „Castor&&Pollux“. Und erfahren dabei auch, worin Alte und Neue Musik ganz nah beieinander sind.

Die dunkelbraune Holzvertäfelung der Alten Aula der Heidelberger Universität bekommt Konkurrenz. Eine schwarze Metallkonstruktion wurde in den ehrwürdigen Saal gesetzt, sie formiert einen Raum im Raum. Gitterboden; vier mal vier Säulen mit Lautsprechern darin; Verbindungsstäbe, an denen Fernsehbildschirme und Scheinwerfer angebracht sind; am einen Ende eine große Leinwand.

Architektonisch treffen hier ganz unterschiedliche Stile aufeinander: Auf der einen Seite die verzierungsreiche, 1886 im Neorenaissance-Stil gebaute Holz-Aula, auf der anderen die schlicht-funktionale Konstruktion. Beides beeinflusst die Wahrnehmung des jeweils anderen. So ergibt sich ein ganz neuer, eigener Anblick – passend zu den Klängen, die sich hier bald zusammen mit den Zuhörern durch den Raum bewegen werden. Denn die Metallkonstruktion ist das 4D-Sound-Raumklangsystem, das bei der Uraufführung des Musiktheaters „Castor&&Pollux“ am 2. April eine wichtige Rolle spielen wird. Komponist und Videokünstler Lukas Rehm kann damit die Klänge seiner elektronischen Komposition oder auch Live-Aufnahmen am Computer gezielt an verschiedenen Stellen im Raum positionieren.

#zukunftsbühne

Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.

Auf dem Gitterboden proben acht junge Sängerinnen und Sänger einen Chor aus Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“, der Barockoper aus dem Jahr 1737, die die Grundlage der Produktion bildet. Später üben sie Sprechchöre, in denen die Möglichkeiten des menschlichen Gehirns und des Computers reflektiert werden. Die Stimmung ist heiter, gelöst.

Barbara Konrad

Bei den Aufführungen kann sich ein Teil des Publikums auf der Bühne bewegen und menschlichen Gesang, instrumentale und elektronische Klänge aus ganz unterschiedlichen Richtungen wahrnehmen. „Die Sphären fließen ineinander, existieren nebeneinander oder auch mal gegeneinander, im Kampf des Alten gegen das Neue. Man lebt mit beidem und versucht beides unter einen Hut zu bekommen, so wie wir auch in unserem Leben ständig mit Erneuerungen konfrontiert sind“, erklärt Barbara Konrad. Die Geigerin ist die künstlerische Leiterin der Produktion und hat ein neunköpfiges Instrumentalensemble zusammengestellt, das auf historischen Instrumenten spielt.

Die Verstärkung von Opernsängern wird kräftig debattiert. Der natürliche, unverstärkte Stimmklang ist das Ideal.

Neben die Alte Musik und den (etwas jüngeren) alten Saal treten kontrastierend die elektronische Musik von Lukas Rehm, seine Videoprojektionen und die metallene Bühnen- und Lautsprecherkonstruktion. Zwei Welten, die Berührungspunkte haben, aber grundsätzlich voneinander getrennt sind, „so wie die zwei Brüder, Castor und Pollux“, wie Eugène Michelangeli anmerkt, der Leiter des Vokalensembles.

Gesungen wird ohne Verstärkung – unplugged. Das ist nachvollziehbar angesichts des Konzepts der getrennten Sphären. Doch die Thematik ist spannend und umstritten. In den USA sind elektronische Hilfsmittel verbreiteter, und auch hierzulande gibt es durchaus tontechnische Maßnahmen, um akustische Defizite eines Saales auszugleichen. Offen geredet wird darüber selten, in Internetforen wird kräftig debattiert. Der natürliche, unverstärkte Stimmklang ist das Ideal. Doch was spricht eigentlich dagegen, behutsam technische Möglichkeiten zu nutzen, wenn man damit das Erlebnis für das Publikum verbessern kann? Für Eugène Michelangeli ist die Verstärkung der Stimme jedenfalls generell kein Tabu. Vielmehr sei es eine pragmatische Frage des Raumes. Auch, wenn sie bei „Castor&&Pollux“ nicht zum Einsatz kommt, gilt für ihn grundsätzlich: „Wenn es mit Feingefühl gemacht ist, warum sollte man nicht auch damit spielen?“

Natalie Pérez

Die Anforderungen an Sängerinnen und Sänger hätten sich ohnehin schon immer gewandelt, sagt Barbara Konrad, „weil sich auch das Publikum und die Räumlichkeiten geändert haben“. Wenn das Publikum zahlreicher wird, vergrößern sich die Räume und irgendwann kommt man nicht mehr ohne elektronische Verstärkung aus.

Eine der Sängerinnen, die auf der Gitterbühne Rameau singen und im Chor sprechen, ist Natalie Pérez. Sie schwärmt von der offenen Art, wie hier geprobt werde: Das künstlerische Team achte auf das, was das Ensemble einbringt. An Opernhäusern hingegen müsse man oft genau das tun, was einem gesagt wird. Langweilt sie der gewöhnliche Opernbetrieb? „Nein! Die Musik, die Oper ist so reichhaltig. Davon kann man nicht gelangweilt sein“, sagt sie. „Außerdem ist es nie das gleiche. Aber es ist natürlich auch toll, das Spektrum zu erweitern, andere Ideen hereinzulassen, und daran zu wachsen. Hier mitzumachen ist wie neue Luft zu atmen, man merkt, dass die Welt so viel größer ist als man manchmal denkt.“

Der Gesang und seine Techniken haben sich über die Zeit hinweg ebenso verändert wie die Bau- und Spielart der Instrumente. Wohin könnte sich die Stimme in Zukunft entwickeln, wenn sich tradierte Gesangsweisen mit neuen Impulsen verbinden? In der Praxis müssen sich Sängerinnen und Sänger vor allem für das vorherrschende Opernrepertoire wappnen. Die Konkurrenz ist groß. Und da das Repertoire aus Barbara Konrads Sicht recht beschränkt ist, hält sie es auch nicht für wahrscheinlich, dass sich die Stimme in diesem Kontext alleine weiterentwickeln wird: „Die Sänger werden alles daran setzen, die Stimme so auszubilden, wie der Markt es verlangt. Solange der Markt so ist, dass – ich kann zumindest für Österreich sprechen – die meisten Subventionen an die großen Opernhäuser gehen und die kaum mit Neuem experimentieren, wird sich glaube ich auch die Stimme nicht woanders hin entwickeln.“

„Die historische Aufführungspraxis beeinflusst auch moderne Sinfonieorchester. Der eine lernt vom anderen, und das ist auch gut so.“

Barbara Konrad

Die Erwartungen an junge Sängerinnen und Sänger seien hoch, sagt Natalie Pérez. Müssen sie Generalisten sein? An einem Abend Monteverdi, am nächsten Rihm, und das alles auf Top-Niveau? In der Ausbildung an der Musikhochschule eignen sich Gesangsstudierende die Stile verschiedener Epochen an, vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik. Darüber hinaus können sie eigene Schwerpunkte setzen. Aber man kann nicht alles können: „Wenn man zum Beispiel mit romantischer Violinmusik erfolgreich im Konzertbetrieb ist, bleibt nicht die Zeit, sich mit einem so umfassenden und unterschiedlichen Gebiet wie dem der Renaissancemusik so intensiv auseinanderzusetzen, so dass man zu einem befriedigenden Ergebnis kommt“, sagt Barbara Konrad. Eugène Michelangeli wünscht sich, dass jeder seinen individuellen Weg findet und damit vom Markt und vom Publikum angenommen wird. Die Vielfalt aus Generalisten wie Spezialisten sei bereichernd. So hätten etwa Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis auch Einzug in moderne Sinfonieorchester gefunden, wie Barbara Konrad anmerkt – „der eine lernt vom anderen, und das ist auch gut so.“

Eugène Michelangeli

Dabei gibt es gerade zwischen ganz alter und ganz neuer Musik interpretatorische Schnittmengen: „In der barocken Oper muss sich ein Sänger nicht mit Lautstärke gegen ein großes Sinfonieorchester durchsetzen. Dadurch bleibt Raum für nuanciertere Tongebung, Artikulation, Klangfarben und für das Einfügen von Verzierungen”, erklärt Barbara Konrad. „Es gibt Sänger, die mit den gleichen Techniken der geraden Stimme ohne Vibrato dann auch zeitgenössische Musik aufführen.“

Die Art zu singen hat sich im letzten Jahrhundert rasant verändert. Das hat auch mit den Möglichkeiten aufgezeichneter Musik zu tun, die sich immer stärker ausweiten: „Dadurch, dass wir im Alltag viel mehr mit aufgezeichneter als mit Live-Musik zu tun haben, verändert sich auch unser Verhältnis zur Live-Musik“, sagt Michelangeli. „In der klassischen Musik ist das besonders stark sichtbar. Plakativ gesagt: Alles muss nur noch perfekt, sauber und CD-reif sein.“ Eine eigene Herangehensweise zu finden werde schwieriger, weil man oft schon das perfekte Ideal einer Aufnahme im Hinterkopf habe.

Perfekte Sauberkeit in allen Gesangslagen – was Menschen nur anstreben können, setzen Computer mühelos um. Und computergestützte Interpreten singen längst nicht mehr nur Zukunftsmusik: Hatsune Miku ist die erste rein virtuelle Popsängerin der Welt und füllt ganze Stadien mit leibhaftigen Fans. Könnten virtuelle Wesen oder künstliche Intelligenz irgendwann auch als Opernsänger auf der Bühne stehen? Barbara Konrad scherzt: „Vielleicht sitzt dann auch nur noch künstliche Intelligenz im Publikum …“ Eugène Michelangeli sieht kommenden technischen Entwicklungen jedenfalls mit Gelassenheit entgegen: „Es passiert einfach, und dann bin ich neugierig, wie das klingt!“

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