Von Werner Kopfmüller, 25.10.2018

Pas de deux mit Pianist

Daniil Trifonov kann phänomenal Klavier spielen. Daran besteht kein Zweifel. An seiner medialen Darstellung dürften sich hingegen die Geister scheiden. Ein Netzfundstück.

Vor einigen Jahren, auf einem nächtlichen YouTube-Streifzug, stolperte ich zufällig über ein Video des Pianisten Daniil Trifonov. Der Name war mir bis dato unbekannt. Trifonov spielte den berühmten Mephisto-Walzer von Franz Liszt, wie ich dieses weiß Gott vielgespielte Stück noch nie gehört hatte. Ich war fasziniert und gleichzeitig ratlos: Wie macht er das? Wie schafft er es, so Klavier zu spielen? Als ich ihn dann ein Jahr später endlich live hören konnte, fand ich auf meine Frage noch immer keine Antwort. Er macht es einfach.
Trifonovs Aufstieg vom unbekannten Wettbewerbssieger zum Vorzeige-Zugpferd der lahmenden Deutschen Grammophon ist beispiellos. Ob Fan oder nicht: Aus dem Klassikbusiness ist die Marke „Trifonov“ nicht mehr wegzudenken – und das mit gerade einmal 27 Jahren. Im Interview lernte ich ihn als einen ernsten, nachdenklichen Künstler kennen, etwas schüchtern, leicht verspult, aber sehr gesprächsfreudig, wenn das Thema ihn berührte. Bildende Kunst, Rockmusik und Arthouse-Filme – mit Trifonov ließ sich über so ziemlich alles reden.

Outfitwandel vom bubenhaften Newcomer zum urbanen Intellektuellen mit Hipsterbart

Der Outfitwandel vom bubenhaften Newcomer zum urbanen Intellektuellen mit Hipsterbart stört da nicht weiter, weil er Teil des Selbstfindungsprozesses eines jungen Künstlers ist. Heikel wird es allerdings, wenn dadurch eine bestens geölte PR-Maschinerie in Gang gesetzt wird, in deren Getriebe künstlerische Redlichkeit nur ein störendes Sandkorn ist.

Das Promo-Video zu seinem letzten Album „Chopin Evocations“ ist dafür ein Lehrstück.



Ein gewisser Michael Joseph McQuilken zeichnet verantwortlich für dieses filmische Machwerk. Trifonov betritt eine stillgelegte Lagerhalle, in der, warum auch immer, ein Steinway-Flügel steht. Er schreitet zum Instrument, setzt sich, blickt nervös umher. Dann beginnt er zu spielen. Chopins berühmtes Fantaisie-Impromptu, also einen echten Klassikhit. Er spielt sehr schön. Im Dur-Mittelteil entführt uns die Kamera an einen fernen Ort längst vergangener Tage. Ein Typ mit Schnauzer, Dichter von Beruf, wie die Bilder nahelegen, brütet über einem Brief. Der gilt seinem pirouettendrehenden Love lnterest, einer Ballerina. Er jagt ihr hinterher. Aufgewühlt überreicht er ihr das Schriftstück, das sie gnädig aufzunehmen scheint. Meisterhaft die Regiearbeit bei der Überblendung vom Schnauzer-Typen der Vergangenheit zum Trifonov der Gegenwart.

Eine einmalige Geschmacksentgleisung?

Auch bei wohlwollender Betrachtung bleibt dieser aufwendig produzierte Sechsminüter ästhetisch fragwürdig und erzählerisch unsinnig. Das Rezept dahinter ist klar: Man nehme einen Rising Star, stelle ihn ungeachtet seiner schauspielerischen Qualitäten vor die Kamera, kreiere mit viel Aufwand und wenig Schamgefühl ein Hochglanz-Video, das vor Klischees nur so strotzt (in diesem Fall: leidender, liebeskranker Künstler ist gleich Chopin ist gleich Trifonov), und catcht damit ein Publikum, dessen Kaufinteresse allein durch den Höreindruck nicht geweckt wäre. So tickt die schöne Welt des Marketings. Das weiß auch Trifonov. Schade nur, dass er das trotzdem mit sich veranstalten lässt.
Besteht Grund zur Annahme, dass es sich um eine einmalige Geschmacksentgleisung handelt? Eher nicht. Auch für Trifonovs jüngstes Album, „Destination Rachmaninov“, wurde fleißig gedreht. Dazu kriegt Trifonov eine Schiebermütze aufgesetzt und darf als blinder Passagier mit einer alten Dampflokomotive durch die Lande reisen. Zumindest wird nicht getanzt.

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© Dario Acosta/DG


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