Von Jesper Klein, 08.11.2018

Tutti frutti

Was passt besser zur Musik des Barockkomponisten Francesco Geminiani: eine Passionsfrucht oder gelbe Bohnen? Das Cover der neuen CD des Ensembles „Café Zimmermann“ wirft zahlreiche Fragen auf. Zum Beispiel die, warum wir Musik so oft mit Kulinarik zusammenbringen.

Wenn ein Label das Cover einer Platte ändert, muss es dafür einen Grund geben. Es muss einen Grund geben, warum Option B vermeintlich besser zur Einspielung passt als Option A. Auf dem Cover der neuen CD des französischen Ensembles „Café Zimmermann“ sollten, so zeigen es die Vorschaubilder im Internet, eigentlich gelbe Bohnen abgebildet sein. Das finde ich interessant. Warum gelbe Bohnen? Was haben sie mit dem Barockkomponisten Francesco Geminiani zu tun? Oder mit dem Ensemble, das immerhin auf den kulinarischen Namen „Café Zimmermann“ hört, benannt nach dem Zimmermannschen Kaffeehaus in Leipzig, einer historischen Aufführungsstätte? In einem Café gibt es aber ja selten gelbe Bohnen. Allerdings handelt es sich nicht um irgendwelche Bohnen, sondern um Bohnen auf einem Gemälde der Barockmalerin Giovanna Garzoni. Der Komponist Geminiani verdiente sein Geld auch als Kunsthändler. Gibt es da eine Verbindung?

Fragen über Fragen. Sie gehen mir solange durch den Kopf, bis ich die Platte tatsächlich in den Händen halte. Dann die Überraschung: Auf dem Cover sind gar keine Bohnen abgebildet, sondern eine halbierte Passionsfrucht und zwei Physalis! Passt eine Passionsfrucht besser zur Musik von Geminiani als die gelben Bohnen? Hatte der Komponist vielleicht eine Vorliebe für Obst? Die Jesuiten, die die Frucht nach Europa brachten, sahen in der Blüte der Passionsfrucht das Leiden Christi repräsentiert. Passt das in irgendeiner Form zum Leben des Komponisten oder seiner Musik?

Wenn jeder Komponist durch Obst oder Gemüse repräsentiert würde, wäre Mozart womöglich der Apfel. Aber was ist mit Komponisten wie Arnold Schönberg? Wäre der romantische Schönberg ein anderes Obst als der zwölftönige 188 Schönberg? Und welcher Komponist wäre die deutsche Kartoffel? Es ist der Punkt, an dem man sich eingestehen muss: Es gibt keine einleuchtende Verbindung vom Komponisten Geminiani zur Passionsfrucht. Die Frage, warum Lebensmittel auf Plattencovern so beliebt sind, lässt sich hingegen beantworten. Wer ein bisschen durch die Welt der Cover stöbert, findet nämlich häufiger Obst, Gemüse oder sogar Backwaren.

  1. Es ist die wohl einflussreichste Kompositionstechnik des 20. Jahrhunderts. Als ihr Begründer gilt Arnold Schönberg, der von einer Gleichberechtigung aller Töne träumte. Es sollen immer erst alle zwölf Halbtöne einer Oktav erklingen, bevor wiederholt wird. Solche Reihenprinzipien stehen im Vordergrund, Tonalität ist nachgeordnet. Was auch heute noch viele Menschen davon abhält, sich dieser Musik zu öffnen. (MH)

Kulinarische Metaphern

Musik ist von Natur aus nicht-bildlich, sie ist nicht dafür gemacht, um auf einem Cover abgebildet zu werden. Wie sollte das gehen? Was sollte man zeigen, die Noten? Musik ist „tönend bewegte Form“, sagte der Musikwissenschaftler Eduard Hanslick. Das passt hier sehr gut. Wenn Musik nicht klingend den Weg in unsere Ohren findet, ist sie abstrakt und kompliziert. Sie besteht aus einem Zeichensystem, das so präzise ist, dass Sprache und Bilder eigentlich überflüssig sind. Für eine CD braucht man aber natürlich trotzdem ein Cover. Wir müssen also in die Welt der Metaphern eintauchen. Dass wir beim Essen landen, liegt nahe. Es ist der alltägliche Bereich unseres Lebens, in dem es um einen Genuss geht, wie man ihn auch beim Musikhören erfahren kann. Wir sprechen von „süßen“ Klängen, „scharfen“ Dissonanzen 104 und „geschmackvollen“ Interpretationen. In die andere Richtung funktioniert es genauso, wenn der Koch seine neueste Kreation als „Komposition“ anpreist. Es ist interessant, dass diese sprachlichen Bilder tatsächlich einen Effekt auf unsere Wahrnehmung haben. Wissenschaftler aus Berlin und Princeton fanden 2014 heraus, dass Geschmacksmetaphern die Leser emotional stärker berühren als wörtliche Wendungen. Der Satz „Die Trennung war bitter für ihn“ ruft zum Beispiel stärkere Emotionen hervor als der Satz „Die Trennung war schlecht für ihn.“

  1. Früher gemieden, spätestens im Jazz emanzipiert: die Dissonanz. Wenn Akkorde vor Spannung fast platzen und Intervalle sich reiben, hängt das mit den ungleichen Schwingungsverhältnissen der Töne zueinander zusammen. Dissonanzen streben nach Auflösung in einen konsonanten Klang. Als „starke“ Dissonanzen gelten bis heute die kleine Sekunde, große Septime und der Tritonus, das (nomen est omen) Teufelsintervall. (AJ)

Musik ist von Natur aus nicht-bildlich, sie ist nicht dafür gemacht, um auf einem Cover abgebildet zu werden.

Gut, man sollte es mit der musikalischen Kulinarik nicht übertreiben, dann wird es albern. Es erklärt aber, warum wir häufig beim Essen landen, wenn es eigentlich um Musik gehen soll. Und das interessanterweise nicht erst heute, sondern schon zu Zeiten Geminianis: 1733 sprach der englische Musikhistoriker Charles Burney über Geminianis Concerti op. 3 von „musikalischer Kochkunst“ (es handelt sich um umgearbeitete Violinsonaten von Geminianis Lehrer Angelo Corelli). Zwar spielt das „Café Zimmermann“ gar nicht Opus 3, sondern die schon bei den Zeitgenossen weniger beliebten Concerti op. 7, fantasievoll gearbeitet und voller Überraschungen sind die aber auch. In jedem Concerto findet sich eine ungewöhnliche Idee: Unvermittelt einfallende Chromatik 34 (2. Konzert, 2. Satz), eine mit „LʼArte della fuga“ bezeichnete Fuge 47 (1. Konzert, 2. Satz) oder zwei Flöten, die sich pastoral umgarnen (4. Konzert, 1. Satz). Besonders interessant: Im dritten Konzert schreibt Geminiani je einen Satz in französischem, englischem und italienischem Stil. Beim „Café Zimmermann“ klingt das historisch informiert, aber trotzdem klangschön. Egal ob mit Bohnen oder Passionsfrucht. Guten Appetit!

  1. Die chromatische Tonleiter ist unersättlich und will, dass alle Klaviertasten in einer Oktave nacheinander erklingen. Dadurch entsteht eine Folge von zwölf Halbtonschritten. Sind alle Zwölf gleichberechtigt, müssen Dur und Moll in der Ecke schmollen: Zwölftonmusik hat keine Lust mehr auf die beiden. (CW)

  2. Was für eine barocke Rollenverteilung! Der Dux schreitet ins Stück, er übernimmt die Führung, bis der Comes sein Thema aufnimmt und sich mit der vorgestellten Melodie unter ihn schichtet, während der Dux fortfährt. Beide können nicht ohne einander und nähren sich vom anderen. (CW)




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Francesco Geminiani

Concerti grossi, op. 7

Café Zimmermann

Alpha (Note 1)

© Pixabay
© Cover Bohnen: Galleria Palatina & Appartamenti Reali di Palazzo Pitti, Florence, Italy/Bridgeman Images
© Cover Passionsfrucht: Jane Kingsley / Millennium Images UK


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