Von Malte Hemmerich, 13.02.2017

Auf Leben und Tod

Im Monteverdi-Jahr 2017 werden besonders die drei großen Opern des Italieners im Blickpunkt stehen. Dabei hat der Komponist nebenbei auch noch etwas wirklich Einzigartiges geschaffen: einen expressionistischen Opernsketch über einen dramatischen Zweikampf.

An diesem Abend im Jahr 1624 geschieht in einem der zahllosen Adelspaläste Venedigs etwas Wunderbares. Gerade gibt es die Karnevalsfeierlichkeiten in der Stadt. Zu diesem Anlass hat der Komponist Claudio Monteverdi, über zehn Jahre nach seinem vorhergehenden Musiktheaterwerk, dem „Orfeo“, eine kleine Opernszene komponiert. In „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ wird auf kleinstem Raum ein Ritterzweikampf entworfen, es wird gefleht und gestorben. Und das Ganze konzentrierter, expressionistischer und mitreißender als je in einer szenischen Musik zuvor! Die Wirkung ist frappierend:

Das Publikum war so bewegt vom Affekt des Mitleids, dass es den Tränen nahe war. Und es applaudierte, weil es ein Gesang gewesen war von einer noch nie gesehenen oder gehörten Art.

Claudio Monteverdi (Vorwort zum achten Madrigalbuch)

Wie revolutionär Monteverdis kleines Werk wirklich ist, wird auch deutlich, wenn man versucht, es beim Namen zu nennen. Kurzoper? Dagegen spricht der Erzähler, der den Großteil der Handlung berichtet, wie in einem Oratorium. Es wird auch von einer gestischen Tanzperformance berichtet, ballettartig. Ein Kunstwerk ohne Vorgänger und ohne richtigen Nachfolger.
Der Komponist aus Mantua ist also mit diesem Werk, das auf wenigen Strophen aus Torquato Tassos seinerzeit unglaublich beliebtem Kreuzfahrerepos „Gerusalemme liberata“ beruht, wieder einmal ein Vorreiter und mutiger Experimentierer im Bereich der szenischen Musikperformance. Nicht zu vergessen die neuartigen Spieltechniken der Streichinstrumente selbst, die sicherlich ihren Teil zur umwerfenden Wirkung auf das Publikum beisteuerten.

Die Lautmalerei in dieser Musik springt den Hörer schon in der ersten Minute an. Da ist in einer Streicherfigur zu hören, wie die ungläubige Muslima Clorinda vor der Stadt Jerusalem ziellos herumläuft. Dann, wie sich ihr heimlicher Geliebter, der auf der Seite der Christen kämpfende Tancredi, auf einem Pferd nähert. Aufgrund ihrer schweren Rüstungen können die beiden ihre Gesichter jedoch nicht sehen und halten sich für Feinde. Es beginnt ein Kampf auf Leben und Tod. Die nötige Prise Dramatik also!

Text und Musik 0:00-01:15

Der erste Kampf der Kontrahenten ist kurz und heftig. Monteverdi lässt den Erzähler atemlos in Sechzehntelnoten singen und die Streicher spielen, zum ersten Mal in der Musikgeschichte: ein Tremolo 92 . Der Italiener notiert es allerdings noch ganz gleichmäßig, trotzdem sollen sich die Instrumentalisten damals erst geweigert haben den Irrsinn zu spielen. Für die Schläge von Schwert auf Schild zupfen die Streicher ihre Instrumente einen kurzen Augenblick, wohl die Geburt des Pizzicato 76 . Zum Affekt der Trauer und der Freude gesellt sich erstmals der des Zorns.

  1. „Pizzicare“ bedeutet auf Deutsch „Zwicken“. Zum Glück geht´s nur um die Saiten, die beim Pizzicato mit den Fingern gezupft, statt mit dem Bogen gestrichen werden. Jazz-Kontrabassisten pizzen sich gern die Seele aus dem Leib. Aber auch in Oper und Konzert lockerte diese Technik schon immer die gestrichene Eintönigkeit auf. (AV)

  2. Die reinste Zitterpartie frei von Taktschlag und Rhythmus! Streichinstrumente wiederholen unfassbar schnell einen einzigen Ton, Bläser wechseln blitzartig zwischen zwei Tönen, die nur minimal voneinander entfernt sind. Da entsteht eine irrsinnige Spannung, und wir zittern mit. (CW)

Text und Musik 04:55-06:10

Dadurch, dass er seine beiden Akteure nur spärlich dosiert singen lässt, verstärkt Monteverdi die Emotionen, die durch ihre Gesangsszenen hervorgerufen werden. Clorinda hat den Kampf verloren und liegt im Sterben. Ihr letzter Wunsch: die Taufe zu empfangen. Erst danach kann sie zufrieden und in den Armen ihres unglücklichen Geliebten Tancredi sterben. Für einen kurzen Moment steht ihr letzter Ton ohne Fundament, erst dann setzt Monteverdi den Schlussklang. Eine kleine Verschiebung, die uns heutzutage noch auffallen mag, aber damals in Venedig geradezu reißerisch auf die Tränendrüse des Publikums gedrückt haben muss.

Text und Musik 17:30-18:16

Bewiesen hat Monteverdi mit diesem Werk: Es braucht nur eine holzschnittartigste Handlung, die grundlegendsten Emotionen, erzählt mit der richtigen Musik, um das Publikum zu rühren.
Die hier folgende niederländische Inszenierung des „Combattimento“ hält sich streng an die szenischen Anweisungen Monteverdis. Und scheint der Erzähler hier nicht auch der Komponist höchstselbst zu sein?



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