#abgesagt

Nicht nur Konzertsäle und Opernhäuser mussten wegen der Corona-Pandemie schließen, es werden auch immer mehr Festivals abgesagt. Eine Tragödie, so viel ist klar – aber was bedeutet es denn konkret, wenn ein Festival nicht stattfinden kann? Die niusic-Themenreihe zum Heidelberger Frühling 2020.

Von Lisa Schön, 06.05.2020

Aus der Traum?

Der Heidelberger Frühling ist eines der größten deutschen Klassikfestivals. Nun sind die Spielstätten leer und die Taschen der Künstler:innen ebenso. Gibt das noch Grund zur Zuversicht?

Heidelberg liegt im Dornröschenschlaf. Dort, wo beim Heidelberger Frühling einen Monat lang Konzerte erklungen wären, ist es still geworden. Noch Wochen nach der Absage des Festivals kündigen Plakate die geplanten Konzerte an, auf der Theodor-Heuss-Brücke wehen die hellgrünen Festivalfahnen im Wind. Auch das neu erbaute Festivalzentrum steht wie vergessen am Universitätsplatz – eine Orangerie, geschaffen für Begegnungen, die niemand wahrnehmen kann.
Nun ist der 24. Heidelberger Frühling vorbei, virtuelle Ersatzprogramme haben versucht, die Defizite der Absage in Teilen aufzufangen. Aufreibende Wochen liegen hinter allen, die am Festival beteiligt waren. Was hat die Absage mit Heidelberg gemacht, mit dem Festival und der Musikwelt – hat es sie verändert?

#abgesagt

Nicht nur Konzertsäle und Opernhäuser mussten wegen der Corona-Pandemie schließen, es werden auch immer mehr Festivals abgesagt. Eine Tragödie, so viel ist klar – aber was bedeutet es denn konkret, wenn ein Festival nicht stattfinden kann? Die niusic-Themenreihe zum Heidelberger Frühling 2020.

Es ist vier Wochen vor Beginn des Festivals. Die Sorge, die angekündigten Konzerte könnten durch ein Veranstaltungsverbot gefährdet sein, wird für den Intendanten Thorsten Schmidt allmählich zum Alltag. Am Telefon erzählt er von den sich stündlich ändernden Meldungen in den Nachrichten einer zwiegespaltenen Zeit. Drei Wochen später – eine Woche vor Festivalbeginn, das vom 21. März bis 24. April stattfinden soll – beschließt er, auf den Heidelberger Oberbürgermeister zuzugehen.

Als er aus dem Rathaus zurückkehrt, gibt es schlechte Nachrichten. Der Heidelberger Frühling kann nicht stattfinden. Für das Team, das bis dahin trotz angespannter Stimmung weiter geplant hat, ist das schwer zu realisieren. Es ist derselbe Tag, an dem die Orangerie am Universitätsplatz fertig gestellt wird. An dem sich langsam alles, was über Monate in Feinarbeit konzipiert wurde, zu einem großen Ganzen zusammenfügen sollte. „Da war eine ganz große Traurigkeit, eigentlich eine Starre. Und natürlich war sofort die Frage: Gibt es Kurzarbeit? Werden wir ökonomisch überleben?“ Fragen, die auch Thorsten Schmidt in dieser Lage nicht sofort beantworten kann, trotzdem versucht er, zuversichtlich zu bleiben.

Am selben Tag ist auch Janina Rinck in Heidelberg, sie hat die künstlerische Koordination der diesjährigen Residenz für das Mahler Chamber Orchestra übernommen. Zusammen mit einer Kollegin möchte sie die verschiedenen Orte besichtigen, die das Orchester während des Frühlings bespielt. Das MCO ist „Orchestra in Residence“ und in verschiedenen Formaten für eine ganze Woche eingeplant. Als die beiden mittags empfangen werden, erfahren sie direkt von der Absage. Janina Rinck beschreibt im Gespräch eine surreale Situation. In der Hoffnung, vielleicht doch noch kleine Formate realisieren zu können, machen sie den geplanten Rundgang, doch ihre Hoffnungen zerschlagen sich schnell: „Ich persönlich habe den Freitag danach als Tiefpunkt empfunden, da habe ich realisiert, was da gerade passiert und was alles noch kommen wird.“ Der Rest der Woche ist voll von Konzert- und Tourabsagen.

Auch für das Team in Heidelberg folgen bezeichnende Tage. Die Mitarbeiter:innen informieren Partner:innen des Festivals, sie erstatten Tickets, sagen Künstler:innen ab, rufen das Catering zurück, stornieren Hotels und Blumenlieferungen, schicken Licht- und Tontechniker:innen nach Hause, laden die Presse aus. Eine hundertprozentige Stornierungsquote für alle Dienstleistenden, die mit dem Festival verbunden sind und eine Honorarabsage an alle Künstler:innen. Gleichzeitig soll ein digitales Ersatzprogramm entstehen. Es ist eine Mammutaufgabe.

Der Tenor Simon Bode, der als Sänger mit einem Kammermusikprogramm beim Festival auftreten soll, erfährt von der Absage von seiner Agentur, anschließend kommt ein offizieller Brief des Festivals. „Und dann hatten wir den Salat.“ Als er am Telefon die Situation beschreibt, muss er an dieser Stelle lachen. Trotzdem ist es natürlich für alle Musiker:innen besonders ernst. „Von Seiten der Künstler:innen ist das für alle schlimm, weil man so passiv ist“, sagt Bode. Sie stehen ohne Honorare da, haben Monate an Geld und Arbeit in die Vorbereitung gesteckt, um jetzt leer auszugehen. Neben dem Festival fällt die Zeit des Veranstaltungsverbots auch in die Karzeit, die sechs Wochen vor Ostern, die für ihn wie für viele andere Freischaffende den Großteil des Jahresgehaltes ausmachen: „Neben dem finanziellen Verlust sind auch die Termine, die man im Kalender hatte, nicht so einfach zu ersetzen. Das meiste kann nicht kurzfristig nachgeholt werden. Dadurch entfällt auch die so wichtige Außenwirkung und die Folgen dieser fehlenden Präsenz wird jede:r einzelne noch lange spüren.“ Außerdem fehlt gerade bei großen Produktionen die gemeinsame Probenzeit, die nun erstmal für eine längere Zeit ausfallen wird.

„Bevor ein Konzert stattfindet, hat man als Künstler:in große Ausgaben. Ob es ist, an einem anderen Ort ein Zimmer zu mieten, Noten anzuschaffen oder Coaches beziehungsweise Lehrende zu bezahlen, auf diesen Kosten bleibe ich nun zum Großteil sitzen. Man hat als Künstler:in nicht nur eine plötzliche Null, sondern auch ein Minus.

Simon Bode

Ähnlich geht es den Musiker:innen des Mahler Chamber Orchestra, auch sie arbeiten freischaffend. Während die fünfzehn Mitarbeitenden des Orchesterbüros in Berlin in Kurzarbeit sind, sind die Orchestermitglieder in über 20 Ländern auf der ganzen Welt zuhause. Abhängig davon, wo sie leben, haben sie unterschiedliche Zugänge zu Hilfsmaßnahmen, während das Management in Berlin versucht, die Politik von Bund und Land Berlin auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Die Unterstützungen werden immer vielseitiger – trotzdem, oder gerade deswegen, gibt es für Janina Rinck und ihre Kolleg:innen wahnsinnig viel zu tun. Obwohl das Pensum, mit den Musiker:innen zu kommunizieren, gleichzeitig sämtliche Absagen und Stornierungen vorzunehmen und in der Politik auf die eigene Lage aufmerksam zu machen schwer vorstellbar ist, vermittelt sie einen positiven Einblick der letzten Wochen, stellt allen Schwierigkeiten auch Lichtblicke gegenüber.

„Das Gemeinschaftsgefühl, das man auf Tour immer hat, hat es in diese Krisenzeit geschafft – und es nochmal bestärkt.“

Janina Rinck

Die Musiker:innen des MCO erhalten gerade keine Bezahlung, trotzdem beteiligen sie sich an der neu entwickelten #KeepPlaying-Kampagne des Orchesters. Sie stellen Videos online, starten Spendenaufrufe. „Das Gemeinschaftsgefühl, das man auf Tour hat, hat es in diese Krisenzeit geschafft – und es nochmal bestärkt“, sagt Janina Rinck zuversichtlich. Nun plane man bereits neue Konzerte und habe Zeit zu überlegen, wie die bestehenden Strukturen an die Zukunft angepasst werden könnten. Das Programm in Heidelberg war geprägt von der künstlerische Zusammenarbeit mit Pekka Kuusisto und VOCES8, unterschiedlichste Formate wie eine musikalische Stadtführung und Pub Crawls waren an wechselnden Orten in der Innenstadt geplant, nun gehen die Konzepte zum Großteil verloren. „Man wird sicherlich das Programm zu Teilen nochmal verwenden können, aber es war eben maßgeschneidert“, sagt Rinck. Dennoch, ganz geht das Erarbeitete aus ihrer Sicht nicht verloren: „Eines unserer großen Anliegen war, auch für Heidelberg, dass weibliche Komponistinnen gespielt werden. Das ist ja auch ein Prozess, gängige Schemata neu zu denken. Es ist natürlich unglaublich schade, dass man das Ergebnis jetzt nicht präsentieren kann, aber auch, wenn es nicht hörbar wird, trägt es zur Entwicklung des Orchesters bei.“ Und prägt das Denken zukünftiger Projekte.

Auch Thorsten Schmidt sieht diese Zeit nicht als Stillstand, sondern als Raum für neue Perspektiven: „Man kann sich hinsetzen und zuerst einmal sagen: Es ist alles ganz fürchterlich. Aber man kann auch versuchen, weiterzudenken. Ich bin nicht der Freund von ständigen Livestreams. Es geht schon jetzt darum, zu überlegen, welche Chancen es noch für die Musikvermittlung gibt.“ Für ihn und das Team wird gerade klar, was das Festival ausmacht: „Viele Menschen schreiben, dass ihnen ihr Jahreshöhepunkt weggefallen ist, weil sie sonst vier bis fünf Wochen jeden Tag etwas Neues erfahren, Menschen treffen und Musik erleben.“ Das Festival ist zur sozialen Institution geworden. Thorsten Schmidt möchte aus den Erkenntnissen lernen und sie in die Planung fürs nächste Jahr übernehmen.

„Das ist eigentlich wie eine Transformationsphase. Vom Schock über Krisenbewältigung hin zur Chancenentwicklung. Schock – Bewältigung – Chance, das sind die Begriffe, die mir dabei einfallen.“

Thorsten Schmidt

Die Zuversicht ist gestützt von der einer großen Solidarität, die seit Beginn der Krise in die Musikwelt zu spüren ist. Es geht nicht um Einzelfälle, sondern eine gesamtgesellschaftliche Situation. Ein unausgesprochener Konsens, auch für Janina Rinck: „Ich hatte selten das Gefühl, so vernetzt zu sein, dass so viele Leute am gleichen Strang ziehen und sich auch hörbar machen wollen. Kulturschaffende haben Zeit, innezuhalten und zu zeigen, dass es sich lohnt, sich für ihre Sache einzusetzen.“ Es soll nicht darum gehen, zum Zustand vor der Krise zurückzukehren, sondern neue Impulse zu geben.

„Ich glaube, man muss sich auf die Chancen besinnen. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll wäre, zu einem ‚Es muss so werden wie früher‘ zurückzukehren. Eher dass man überlegt, was wirklich wichtig ist, um sich anders mit dem, was jetzt kommt, auseinanderzusetzen.“

Janina Rinck

„Ich glaube“, sagt Simon Bode, „es ist wichtig, dass man nicht ausbrennt, sondern versucht, diese Zeit mit etwas Schönem zu verbinden. Das Wichtigste ist, nicht in Panik zu verfallen, die Zeit zu nutzen, und sich bereit zu halten, um, wenn es wieder losgeht, etwas beitragen zu können. Und vielleicht“, sinnt er nach, „haben wir auch darüber hinaus die Chance auf echte Solidarität, wie können wir als Gemeinschaft etwas aufbauen, das uns später hilft? Das wäre ja das hehre Ziel von so einer Krise.“ Und der nächste Frühling kommt bestimmt.

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